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Ungeliebte Steuer

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Die Wertschöpfungsabga-be wird seit kurzem wieder diskutiert beziehungsweiseverunglimpft. Zu Recht? Oder ist sie nicht doch ein überlegenswerter Lösungsansatz?

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Die Wertschöpfungsabga-be wird seit kurzem wieder diskutiert beziehungsweiseverunglimpft. Zu Recht? Oder ist sie nicht doch ein überlegenswerter Lösungsansatz?

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Gegenwärtig erfolgt die Finanzierung des Sozialversicherungssystems ausschließlich durch lohnabhängige Abgaben und Beiträge, das heißt in Form von bestimmten Prozentsätzen der Löhne und Gehälter.

Das erscheint auf den ersten Blick auch sinnvoll und gerechtfertigt, weil ja auch Arbeitskräfte beziehungsweise Menschen die Nutznießer dieses Systems sind und nicht das eingesetzte Kapital. Aber eben nur auf den ersten Blick, denn ein solches System birgt die Gefahr von Verzerrungen und Fehlentwicklungen in sich.

Der Umfang des Beitragsaufkommens ist naturgemäß stark von der Zahl der Beschäftigten abhängig. Wenn diese stagniert oder nur mäßig wächst, führt der steigende Finanzbedarf des Sozialversicherungssystems (FURCHE 46/1988) zu einer immer höheren Belastung der Aktiven und damit zu steigenden Lohnnebenkosten für die Unternehmen. Die Verwendung von Arbeit wird dadurch immer teurer, was den Anreiz steigert, durch Rationalisierung und Automation Arbeitskräfte einzusparen. Damit wird aber gerade wieder die Finanzierungsbasis der Sozialversicherung ausgehöhlt. Ein Teufelskreis, der (neben anderen Ursachen) schon seit längerer Zeit dazu führt, daß die Lohnquote—also der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen — ständig sinkt.

Das muß in einem auf diese Größen bezogenen Finanzierungssystem zu tendenziell sinkenden Beiträgen und/oder immer höheren Beitragssätzen führen. Anders gesagt: Das derzeitige System birgt einen hohen Anreiz in sich, die Beiträge zur Sozialversicherung sozusagen wegzura-tionalisieren.

Die Wertschöpfungsabgabe (siehe Kasten) ist nun ein Versuch, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Nicht nur Löhne und Gehälter, sondern die gesamte Wertschöpfung eines Betriebes soll Basis der Beitragsleistung sein.

Diese Abgabe als „Maschinensteuer“ zu bezeichnen ist indes nicht richtig. Das wäre nur dann der Fall, wenn die gesamte Beitragsleistung nur auf die Kapitalverwendung bezogen wäre, so wie es jetzt einseitig für den Arbeitseinsatz gehandhabt wird. Durch die Wertschöpfungsabgabe soll aber eine gleichmäßige Belastung aller zur Wertschöpfimg beitragenden Komponenten erreicht werden.

Die Einwände gegen die „Maschinensteuer“ sind massiv. Der technische Fortschritt, so lautet ein Hauptvorwurf, wird behindert, weil neue Technologien verteuert werden. Das wiederum, heißt es, trifft vor allem die im internationalen Wettbewerb stehende Exportwirtschaft hart.

Dem kann folgendes entgegengehalten werden: Ob es zu Mehrbelastungen von Betrieben kommt, wird vor allem vom Beitragssatz abhängen. Da aber die Bemessungsgrundlage verbreitert wird, kann der Beitragssatz zweifellos gesenkt werden. Ob nun konkrete Betriebe oder Branchen mehr oder weniger stark belastet werden, wird von der jeweiligen Kombination der eingesetzten Faktoren (Arbeits- und Kapitaleinsatz) bestimmt.

Das Boltzmann-Institut hat jedenfalls errechnet, daß sich die Mehr- und Minderbelastungen im Rahmen von zwei bis drei Prozent der Wertschöpfung bewegen. Nach dieser Studie sind es aber interessanterweise gerade nicht die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzten Bereiche, die mit Mehrbelastungen rechnen müssen. Große Teile der Exportwirtschaft, der Fremdenverkehr und die Bauwirtschaft würden sogar zu den Nutznießern einer Wertschöpfungsabgabe zählen. Mit Mehrbelastungen haben hingegen überwiegend geschützte Bereiche wie die Energie-, Geld- und Versicherungswirtschaft zu rechnen.

Von einer generellen Technologiefeindlichkeit, Investitionsbehinderung und damit Wachstumshemmung kann aber schwerlich gesprochen werden. Es ist lediglich die rein arbeitssparende Rationalisierungsinvestition nicht mehr ganz so profitabel. Genau das ist aber im Sinne des Erfinders. Alle anderen Arten von Investitionen (Erweiterung, Erneuerung), sind von anderen Entscheidungsgrundlagen abhängig, nämlich von Absatz- und Gewinnerwartungen und nicht von relativ geringfügigen Steuermehrbelastungen.

Zu befürchten ist allerdings ein gewisser — wenn auch nicht übermäßig hoher — Preisauftrieb bei Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, weil mögliche Mehrbelastungen wahrscheinlich rasch und effektiv über die Preise an die Konsumenten weitergewälzt werden.

Eine Wertschöpfungsabgabe wird zweifellos nicht das Allheilmittel für die Finanzierungsprobleme der Sozialversicherung sein. Als Beitrag zur längerfristigen Sicherung ist sie jedoch über-legenswert und sollte nicht kurzerhand vom Tisch gewischt werden.

Österreich wird keinen Alleingang unternehmen, doch werden ähnliche Überlegungen auch in der Bundesrepublik, in Frankreich und in Belgien angestellt.

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