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Ungeliebter Problemloser

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Das Ende der jüdischen Salons im Berlin des frühen neunzehnten Jahrhunderts hat frappante Ähnlichkeit mit späteren Geschehnissen. Die Amerikanerin Deborah Hertz beschreibt in einem Buch Aufstieg und Niedergang einer faszinierenden kulturellen Ausnahmeerscheinung.

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Das Ende der jüdischen Salons im Berlin des frühen neunzehnten Jahrhunderts hat frappante Ähnlichkeit mit späteren Geschehnissen. Die Amerikanerin Deborah Hertz beschreibt in einem Buch Aufstieg und Niedergang einer faszinierenden kulturellen Ausnahmeerscheinung.

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Der Titel „Die jüdischen Salons im alten Berlin", das Thema, die Zeit der Rahel von Varnhagen, das läßt manchen vielleicht einen historischem Schinken erwarten. Doch das Buch von Deborah Hertz ist keiner, sondern eine aufregende Lektüre.

Wie sich die Bilder gleichen: Intellektuelle, Dichter, die sich zuerst unmerklich, dann immer deutlicher von ihren jüdischen Freunden distanzieren. Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und Jüdinnen, in die zuerst ein leiser Mißton gerät und die dann plötzlich abbrechen. Zugleich stirbt ein weltoffenes Klima. Die Juden werden isoliert, die Umgebung entdeckt ihre nationale Identität.

So geschehen in Deutschland am Vorabend der Machtergreifung der Nazis. So geschehen in Osterreich ab dem „Juliabkommen" mit Hitlerdeutschland 1936, einer Vorstufe des Anschlusses. (50 Jahre später kehrt schon wieder ein Teil Österreichs, unter ganz anderen Bedingungen als 1936, aber doch mit deutlichen Parallelen, zur verdrängten „nationalen Identität" zurück.)

Aber schon in den Jahren nach 1806 rückten deutsche Literaten, deutsche Intellektuelle von ihren jüdischen Freunden ab, starb ein weltoffenes Klima.

Aus der Enge entfliehen

Wie sich die Bilder auch darin gleichen: Zuerst hatte man den Abfall der Juden von ihrer Religion zur Bedingung für ihre gesellschaftliche Akzeptanz gemacht - als sie die Bedingung erfüllten, Erfolg hatten und der Neid erwachte, machte man ihnen ebendiese geforderte und von ihnen erbrachte Anpassung zum Vorwurf.

Deborah Hertz beschreibt Berlin in den letzten Lebensjahren Friedrichs des Großen als explosiv gewachsene Stadt, in der ökonomische Entwicklung und gesellschaftliche Stabilität drauf und dran waren, miteinander in Konflikt zu geraten. Noch war Grundbesitz die gewinnbringendste Einkommensquelle und der Status des Adels nicht angetastet. Um die industrielle Entwicklung zu fördern, hatte man aus Wien (1671) und Frankreich (1685) vertriebene qualifizierte Juden als Händler ins Land gerufen, obwohl Preußens Herrscher die Juden haßten. Sie sollten die Gans werden, die goldene Eier legte.

Hundert Jahre später waren sie die einzige verhältnismäßig reiche Schicht neben dem Adel, aber solange sie zugleich auch verachtet, entrechtet und in eine starre Kastenordnung eingebunden gewesen waren, hatte dies keine Rolle gespielt. Dies trotz des zahlenmäßigen Gleichgewichts, der Aijteil des Adels und der Juden an der Gesamtbevölkerung Berlins betrug jeweils rund zwei Prozent. In dem historischen Moment, in dem sich dies änderte, um 1780, entstanden die jüdischen Salons.

Sie waren eine faszinierende Ausnahmeerscheinung. Ausgerechnet in der Hauptstadt Preußens mit seiner starren Hierarchie hatten Juden ein gesellschaftliches Ansehen wie nirgends sonst errungen. Aber nicht die jüdischen Gelehrten, Ärzte und Bankiers selbst, sondern deren Töchter wurden zum Mittelpunkt der neuen Salonkultur.

Salon wurde zum Synonym für das Überschreiten von Schranken, die Adelige und Bürger, Christen und

Juden, Männer und Frauen trennten. Der jüdische Salon wurde für ein Vierteljahrhundert zum Ort der Begegnung, Aufklärung und Liberalität - und der Emanzipation der Frau. Er wurde aber auch zu einem Brük-kenkopf der französischen Kultur in Preußen und vordergründig gesehen wurde ihm ebendies zum Verhängnis.

Etliche Faktoren schufen um 1780 die Entstehungsbedingungen für eine Institution wie den jüdischen Salon: Das Zusammentreffen jüdischer, bürgerlicher, intellektueller und weiblicher Emanzipationswünsche. Die weltliche Erziehung und finanzielle Unabhängigkeit der jungen Jüdinnen aus reichem Haus. Das Fehlen eines Ortes, an dem Adelige und Bürgerliche miteinander verkehren konnten. Der Zustrom von Intellektuellen in eine Stadt ohne Universität und große Verlagshäuser. Der Salon wurde zum Brennpunkt der Interessen all jener, die Fesseln abzustreifen und Schranken zu durchbrechen hatten. Für verarmte oder verarmende Adelige, deren es in Berlin genug gab, wurde er auch zum finanziellen Problemloser. Sehr oft durch Heirat. Nach Rahel Levin, später von Varnhagen, heißt die ganze Epoche da und dort noch heute „die Rahel-Zeit".

Salons gab es längst in vielen Städten - möglicherweise entstand die frühe, einzigartige Blüte des jüdischen Salons gerade deshalb in Berlin, weil infolge der sozialen Immobilität und der starren gesellschaftlichen Schranken das Bedürfnis nach einem solchen Treffpunkt hier besonders groß war.

26 Jahre später wandte sich der in der Konfrontation mit Napoleon auf-

brechende Nationalismus gegen alles Französische, damit auch gegen den jüdischen Salon und machte ihm den Garaus. Vor allem aber hatte wohl der Mohr, sprich: Jude, seine Schuldigkeit getan, seine integrative Aufgabe erfüllt, Entwicklungen in Gang gebracht, wurde als Mittler nicht mehr gebraucht und konnte gehen: geradezu eine archetypische Situation.

Bezeichnend ist der Zeitpunkt der ersten Angriffe auf den jüdischen Salon. Sie erfolgten 1803, also drei Jahre vor der Erniedrigung Preußens durch Napoleon.

Der Jurist Karl Wilhelm Grattenau-er leitete mit einem berüchtigten Pamphlet die Mutation religiös moti-

vierten Judenhasses zum Rassenantisemitismus ein. Er wetterte gegen die - kurz vorher noch allgemein von ihnen geforderte - Assimilation der Juden, forderte den Trennungsstrich zwischen Juden und modernem Staat und ließ keinen Zweifel daran, daß es der Erfolg und Reichtum der jüdischen Aufsteiger war, was ihm auf die Nerven ging.

Anzügliche Bemerkungen, die vorher hinter vorgehaltener Hand gefallen waren, wurden nun auch öffentlich möglich und üblich. Wie sich die Bilder gleichen. Man muß an Österreich im Jahre 1986 denken.

Und wie später in Deutschland und Österreich, wurden im schärfer werdenden Klima die Charaktere und die Haltungen sichtbar. Auch erkennt man, wie fest trotz der Aufklärung antisemitische Vorurteile verwurzelt waren. Manche Geistesgröße schneidet dabei nicht gut ab.

Antisemitische Intellektuelle

Clemens von Brentano und Heinrich von Kleist schwangen in der „Christlich-Deutschen Tischgesellschaft", einem antisemitischen Gegensalon, der Frauen und Juden, auch konvertierte, ausschloß, antisemitische Reden. Selbst verarmte Adelige, verteidigten sie als geschworene Gegner der Französischen Revolution die Vorrechte des Adels. Achim von Arnim, einst eng befreundet mit Sara Levy und ihrer Familie, brüskierte diese nun, verweigerte aber das geforderte Duell mit der Begründung, kein Jude besitze die für ein Duell erforderliche Ehre.

Wilhelm von Humboldt ist ein besonders gutes Beispiel für die Ambivalenz von geistig erarbeiteter Toleranz und politischem Eintreten für die Rechte der Juden einerseits, andererseits aber einem trotzdem tiefsitzenden Vorurteil. Er hing zwar sehr an seinem Studienfreund Israel Steiglitz, äußerte sich aber über dessen Familie mit hochmütiger Verachtung. Er pflegte zwar mit seinem Privatbankier David Friedländer freundschaftlichen Umgang, fand es aber sehr ärgerlich, daß dieser mehr Geld verdiente als seine, Humboldts, kaufmännisch erfolglosen Brüder.

Verheiratet mit der antijüdisch eingestellten Caroline von Dacheröden, machte er nach langjähriger Freundschaft mit Rahel Levin abfällige Bemerkungen über sie und ihre Heirat mit Karl August Varnhagen von Ense, trat aber auf dem Wiener Kongreß für die Forderungen der preußischen Juden ein.

DIE JÜDISCHEN SALONS IM ALTEN BERLIN. Von Deborah Hertz, athenäums Programm im Anton Hain Verlag, Frankfurt am Main 1991. Aus dem Amerikanischen von Gabriele Neumann-Kloth. 349 Seiten, Bilder, Ln., öS 374,40

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