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Ungenützte Dialog-Chance

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Das Tiroler Bergdorf Alpbach bietet wohl eine zu liebliche Landschaft, um sich ernsthaft mit den Sorgen und Nöten eines Drittweltlandes auseinanderzusetzen, denen vorwiegend extreme klimatische Bedingungen zugrundeliegen.

Die Initiatoren des „Europäischen Forums Alpbach“, das „österreichische College“ unter der Leitung von Otto Molden, haben zwar den Kurort längst in eine „Intellektuellen-Republik“ umgewandelt, und seine Kongresse sind auf hohem wissenschaftlichen Niveau.

Durch „Dialogkongresse“ zwischen Westeuropa und fremden Kontinenten ist das österreichische College seit 1978 bemüht, „nationalen, religiösen und weltanschaulichen Ghettos“ durch Tref fen entfernter Völkerschaften entgegenzuwirken. Eine solche Begegnung letzte Woche zwischen Westeuropa und Indien ergab allerdings nicht ganz, was sich die Teilnehmer davon versprochen hatten, wie auch frühere solche Kongresse mit Beteiligung Schwarzafrikas, Lateinamerikas, Japans, der USA und Südost- asiens auf viel zu wenig Echo stießen.

„Außerhalb einzelner wissenschaftlicher und anderer Kreise weiß man in Westeuropa von Indien nur wenig“, stellte die ins Tirol gereiste indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi schon am ersten Tag dęs Alpbacher Kongresses fest. y

Die große Dame Südasiens ist allerdings nicht allein wegen des Dialogversuchs mit Europa nach Österreich gereist. Sie war ohnehin auf einer lange geplanten Reise nach Skandinavien und auch bei ihrem persönlichen Freund Bruno Kreisky schon längst angemeldet gewesen.

Es war dann dennoch der Verdienst der Organisatoren von Alpbach, daß Frau Gandhi ihr Besuchsprogramm trotz Kanzlerwechsel in Wien nicht geändert hat und sich vor dem Abstecher nach Tirol auch vom neuen Regierungschef Fred Sinowatz und vom Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger offiziell empfangen ließ.

Die indische Regierungschefin reist gerne und viel und wählt sich ihre Gastgeber sorgfältig aus. Zu Alpbach sagte sie deshalb Professor Molden spontan zu, weil dieser mit einem möglichen kleinen Europa-Gipfel gelockt hatte, der Staatsmänner aus der Bundesrepublik Deutschland, aus England, Frankreich und Italien nach Österreich hätte bringen sollen.

Dazu kam es dann nicht. Verschiedene Regierungsneuwahlen und der zeitlich verschobene EG- Gipfel machten Indira Gandhi zur einsamen Wanderin nach Alpbach. Und die internationale Spitzenpolitikerin, Vorsitzende von einhundert blockfreien Ländern, ließ ihrer Enttäuschung freien Lauf.

Was Frau Gandhi Westeuropa und den Industrienationen ganz allgemein sagen wollte, deutete sie auf den früheren Stationen ihrer Reise, in Skandinavien und allenfalls noch in Wien an: Wir sind von der Haltung des Westens in Williamsburg enttäuscht. Wir verlangen eine Wiederaufnahme des Nord-Süd-Dialogs und Dringendmaßnahmen zur Änderung des Währungssystems.

Was soll ein westeuropäisch-in discher Dialog, wird sie sich am vorigen Wochenende in Tirol gedacht haben, der von Vorurteilen und Wirtschaftszwängen diktiert ist? Sie überließ das Diskussionspodium den in Alpbach versammelten Ökonomen und Wissenschaftern, wünschte ihnen viel Glück beim schwierigen Unterfangen und ging auf Souvenirsuche für ihre Enkelkinder.

Nach dem Schweigen Frau Gandhis und dem Fehlen der europäischen Polit-Elite war es für die übrigen Dialogsteilnehmer tatsächlich nicht leicht, sich zu einem spontanen Gespräch zusammenzufinden. Das Europäische Forum hatte sich alle Mühe gegeben, hochrangige Vertreter der Wirtschaft einzuladen, um wenigstens auf diesem Gebiet die beiden fremden Welten einander näherzubringen. Und konkrete Ergebnisse wären in den Geschäftsabschlüssen zwischen den kranken ökonomischen Strukturen Westeuropas und Indiens sicher möglich. Dazu bedarf es aber mindestens zweier Partner.

So mußte Alpbach 1983 ein Versager bleiben. Die Schuld lag auf europäischer Seite. Indien sandte keine geringere Delegation als die namhaftesten Spitzenleute der Wirtschaftsimperien Biria, Modi und Tata, aber auch Regierungsexperten und Bankiers, die sich mit den wichtigsten westlichen Häusern messen können.

Zu dieser Top-Wirtschaftsbe- gegnung Westeuropa-Indien kam es nicht, weil — außer den österreichischen Spitzenleuten wie etwa Salcher, Sallinger und Androsch — nur noch zweitrangige Geschäftsleute aus der Bundesrepublik Deutschland nach Alpbach reisten — sieht man vom Bonner Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ab. Doch Warnkes Ansichten über die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Dritten Welt gehen vom Prinzip der Selbsterarbeitung des jeweiligen Wohlstands einer Region aus und konnten die anwesenden Inder nicht vertrauensvoll stimmen.

So blieb in Alpbach das wissenschaftliche Moment übrig, das bei einem Dialog zwischen zwei fremden Kontinenten nicht unwichtig ist. Indologen, Völkerkundler, Sprachwissenschafter, Strategen, Religionsspezialisten kamen zuhauf und gingen sicher in den wenigsten Fällen ohne Ergebnis nach Hause, die Diskussionen hatten hohes Niveau.

Die Inder wissen, daß die frühen Begegnungen mit den Griechen, die Eroberungen durch die Arier und die lange britische Herrschaft die asiatische Kultur mitgeprägt haben. Doch versuchten sie in Alpbach wiederholt, diese Einflüsse als oberflächlich abzutun, während etwas tiefer der urindische Kern stets durchblickte.

Jedermann gab zu, daß Mahatma Gandhi von seinen Jugendjahren in London geprägt war und mit Fleiß Tolstoi und Ruskin gelesen hatte. Zurück in Indien, glauben heute zumindest viele Inder, habe er sich dann jedoch auf die einheimischen Werte besonnen und alles Fremde abgestreift.

Nur Indira Gandhi legte in ihrem Einführungsreferat in Alpbach Wert darauf, daß im Hause Nehru das Beste aus Ost und West zusammenkam und den Grundstein legte zum modernen Indien. Und dieses heutige Indien führte abschließend in Alpbach trotz heftigem Dialog mit Europa zu vielleicht noch mehr Fragezeichen, als zu Beginn des Kongresses schon bestanden hatten.

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