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Ungeschickt, konsequent

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Der Verfasser stellt die Politik des Vatikans im Verhältnis zu Palästina dar seit der Zeit, da durch eine intensivierte jüdische Einwanderung das jüdische Element im Lande neben den Christen und den Muslimen eine entscheidende Rolle zu spielen begann. Das Interesse des Vatikans war konzentriert auf die heiligen Stätten und auf die katholischen und die übrigen christlichen Araber. Die politische Hoheit der islamischen Mehrheitsbevölkerung im Nahen Osten mußte seit den Kreuzzügen hingenommen werden. Ein neues Phänomen für den Vatikan bedeutete der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wieder vehement geäußerte jüdische Anspruch auf Eretz Israel „Land Israel“, das in der nichtjüdischen Terminologie Palästina heißt. Das ausschließliche Interesse des Verfassers für die Politik des Vatikans und für die Motivation dieser Politik hatte zur Folge, daß er das jüdische Verlangen nach Rückkehr in das Land der Väter geistesgeschichtlich nicht mit zu berücksichtigen bestrebt war. Jeder Versuch aber, der die geistige Kraft des Zionismus erst mit Theodor Herzl ansetzt, geht am Wesen des Judentums vorbei. Dieses darzustellen war auch nicht das Thema des Verfassers. Der Rezensent möchte aber zum Ausdruck bringen, daß jedes Urteil, das über die Lage im Heiligen Lande gefällt wird und das an der Tatsache vorbeigeht, daß dieses Land hebräisch „Land Israel“ und nicht Palästina heißt, eine wichtige Komponente für das Verständnis der Zusammenhänge außer acht läßt.

Der Verfasser wies mit Recht auf den Umstand hin, daß im Ersten Weltkrieg Großbritannien, um die Araber zum Aufstand gegen die Türken zu bewegen, den Arabern Versprechungen gemacht hat, die es nach der Meinung der Araber nach dem Ersten Weltkrieg nicht eingelöst hat. Insbesondere die in der Bal-l'our-Erklärung von 1917 den Juden gegebene Zusicherung, unter britischem Protektorat ein Nationalheim im Lande der Väter errichten zu dürfen, wurde von den Arabern weithin kritisiert. Der Vatikan hat diese Intention Großbritanniens mit großer Skepsis verfolgt. So wandte sich schon Benedikt XV. unmittelbar nach der Besetzung Jerusalems durch die Engländer im Dezember 1917 gegen die Möglichkeit, daß jVden Juden in Zukunft im Heiligen Lande eine ihnen auf Grund der gegebenen Umstände nicht zukommende Vorrangstellung eingeräumt werde“ (S. 40). Diese Haltung änderte Benedikt XV. auch noch in den folgenden Jahren seines Pontif ikats.

Als Hintergrund für die vatikanische Politik und zu ihrem Verständnis gibt der Verfasser auch eine gute und einprägsame Übersicht über den geschichtlichen Verlauf im Heiligen Lande, seitdem der Völkerbund 1922 das Palästinamandat an Großbritannien übertragen hatte mit der Auflage, die Balfour-Erklärung durchzuführen. Die Tatsache, daß das Mandat durch den Völkerbund erteilt worden war, war die Voraussetzung, daß es dieses im Jahr 1947 wieder den Vereinten Nationen zurückgeben konnte, was dann noch im selben Jahr den Palästinateilungsbeschluß zur Folge hatte, nach dem Palästina in ein jüdisches und ein arabisches Territorium geteilt und Jerusalem samt Umgebung unter internationale Verwaltung gestellt werden sollte. Von da an konzentrierte sich das Interesse und die diplomatische Aktivität des Vatikans auf das Thema: Internationalisie-rung Jerusalems.

Wie der Verfasser auf S. III ausführt, hätte Pius XII. am 2. Juni 1948, also kurz nach der Ausrufung des Staates Israel am 14. Mai 1948, „dem Zionismus das Recht abgesprochen, sich zur Begründung seiner Ansprüche auf das historische Volk Israel in der Bibel zu berufen“. Pius XII. hat aber dabei zu wenig die Kontinuität jüdischer Geistesgeschichte von der Bibel über den Talmud, die mittelalterlichen Philosophen, Dichter und Schrifterklärer, die mittelalterlichen und neuzeitlichen Mystiker und das nationale Element in der hebräischen Aufklärung bedacht. Gerade hier führte die jahrhundertealte christliche Einstellung, daß zwischen dem biblischen Israel und den heutigen Juden keine Kontinuität bestünde, auch Pius XII. zu einer Beurteilung des Judentums, die diesem nicht gerecht wurde.

Der Vatikan hat seine Politik konsequent weitergeführt. So richtete „nur wenige Tage nach Beendigung des Sechstagekrieges, am 23. Juni 1967, der ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in New York ein Schreiben an diese Organisation, in der das Verlangen der katholischen Kirche nach einem internationalen Status in ganz Jerusalem in Form eines corpus separatum erneuert wurde“ (S. 124).

Der Verfasser betont zu Recht, daß der Vatikan durch seine politischen Interessen seine pastoralen Pflichten nicht vernachlässigt habe. Trotz des Einspruchs verschiedener orientalischer Kirchenfürsten verabschiedete das Zweite Vatikanische Konzil seine berühmte Judenerklärung. Sie wurde am 28. Oktober 1965 mit 2221 gegen 88 bei 3 ungültigen Stimmen angenommen. , JOamit hat auf dem Konzil tatsächlich das Religiöse über das Politische triumphiert. Die Kirche hat es abgelehnt, um eines taktischen Vorteils willen in einer Angelegenheit zu schweigen, von der zu reden die übergroße Mehrheit innerhalb und außerhalb des Konzils die Zeit für reif hielt“ (S. 136).

Der Verfasser gab die vatikanische Politik wieder. In der Intention des Verfassers lag die Information über die vatikanische Politik, nicht die Stellungnahme zur vatikanischen Politik. In diesem Sinn ist das Buch ein unersetzbares Hilfsmittel für jeden, der die Geschichte des Heiligen Landes in den letzten 70 bis 80 Jahren verstehen will. Für den Christen ist die Sorge des Vatikans um die heiligen Stätten und um die Pastoral im Heiligen Lande auch ein vordringliches Anliegen. Es ist sein gutes Recht, diese dem Zugriff der streitenden Parteien entzogen wissen zu wollen. Aber dennoch hätten die vatikanischen Kreise mitbedenken sollen, welche Kräfte im Judentum durch die Jahrhunderte wirksam waren, so daß sie im Zionismus zur politischen Tat werden konnten. Es ist auch bedauerlich, daß weder in den offiziellen Stellungnahmen des Vatikans noch auch in diesem Buche die etwa 5000 hebräisch sprechenden Katholischen Israels Erwähnung finden.

DER VATIKAN UND PALÄSTINA. Von Heribert Franz Köck. Verlag Herold, Wien-München, 158 Seiten, S 182.—.

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