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Ungewisse Zukunft der einsamen Supermacht
Die Debatte um die Zukunft amerikanischer Präsenz in der Welt ist gekennzeichnet von einer weiten Meinungsbandbreite innerhalb von zwei Polen. Auf der einen Seite sind die Niedergangstheoretiker, die einen Rückzug amerikanischen globalen Engagements sehen wollen. Auf der anderen Seite befinden sich verschiedene idealistisch beziehungsweise realpolitisch veranlagte Spielarten, die die USA auf dem Höhepunkt ihrer Macht sehen, geeignet für die Rolle des Weltpolizisten.
Die Debatte um die Zukunft amerikanischer Präsenz in der Welt ist gekennzeichnet von einer weiten Meinungsbandbreite innerhalb von zwei Polen. Auf der einen Seite sind die Niedergangstheoretiker, die einen Rückzug amerikanischen globalen Engagements sehen wollen. Auf der anderen Seite befinden sich verschiedene idealistisch beziehungsweise realpolitisch veranlagte Spielarten, die die USA auf dem Höhepunkt ihrer Macht sehen, geeignet für die Rolle des Weltpolizisten.
Der bekannte Yale-Historiker Paul Kennedy hat mit seinem Bestseller „Aufstieg und Niedergang der Großmächte" in der Mitte des 1988er Wahlkampfes die Diskussion um den langsamen Niedergang amerikanischer Macht entfacht. Zahlreiche Vertreter dieser Untergangsmentalität verlangen immer lautstarker die sogenannte „Friedensdividende". Das Ende des Kalten Krieges sollte zu einer einschneidenden Kürzung des amerikanischen Verteidigungsbudgets führen.
Die internen amerikanischen Probleme sind enorm. Wachsende Armut in den Städten und auf dem Land, Drogenprobleme, Kriminalität, Arbeitslosigkeit und ein erschreckender Zerfall des Erziehungssystems sind schier unlösbare Fragen, die nur mit einem „Marshallplan für Amerika" gelöst werden können. Das fatalste Erbe, das Ronald Reagan, der den Amerikanern beinahe jeden Bären aufbinden konnte, hinterlassen hat, ist die Statistik, daß die reichsten 2,5 Millionen Amerikaner so viel verdienen, wie die ärmsten 100 Millionen.
Angesichts dieser gesellschaftlichen Spannungen und wirtschaftlichen Probleme vermögen die USA im Zeitalter des Verlusts amerikanischer Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten und schwindender Ressourcen ganz einfach die im Kalten Krieg zur Regel gewordene weltweite Hilfestellung an unterprivilegierte Völker nicht länger aufrechtzuerhalten.
Notstandsgesellschaft
Als die demokratischen Abgeordneten Les Aspin und Dick Gephardt vor kurzem vorschlugen, ein bis drei Milliarden Dollar dem Verteidigungshaushalt abzuschneiden und als „humanitäre Hilfe" an die Republiken des auseinanderfallenden Sowjetreiches zu geben, entbrannte ein Sturm der Entrüstung in den Reihen der Republikaner. Es sind aber nicht nur Republikaner, die zu einem neuen Isolationismus neigen und sich gegen jede Art von „Marshallplan" für die ehemaligen Sowjetrepubliken aussprechen. Thomas Downey, ein Demokrat aus dem Staate New York, meint, Hilfe für die Sowjetunion sei gut und recht, aber es gäbe in den USA selbst eine wachsende Notstandsgesellschaft. Die Arbeitslosenhilfe für Millionen von jobsuchenden Amerikanern müsse erneuert werden, vom wachsenden Notstand der amerikanischen Kinder gar nicht zu reden. Der Abgeordnete Barney Frank, ein liberaler Demokrat aus Massachussetts, will Einsparungen im Verteidigungshaushalt nicht in traditioneller Militärhilfe verschwendet sehen, sondern damit gezielt weltweit die neuen Demokratien unterstützt wissen.
Amerika, HorJ der Freiheit und demokratisches Vorbild für die Welt, hat eine
Verantwortung, den Export der Demokratie zu forcieren. Larry Diamond, ein Forscher am konservativen Hoover-Institut in Kalifornien, plädiert in einem vielbeachteten Aufsatz dafür, die weltweite Unterstützung von demokratischen Bewegungen „zum zentralen Angelpunkt" amerikanischer Außenpolitik zu machen. Diamond unterwirft dabei Bushs „neue Weltordnung" einer eingehenden Kritik. Sie sei nichts anderes als traditionelle Großmachtpolitik, nämlich die „alte Obsession mit Ordnung, Stabilität und Machtbalance", was auf Kosten der traditionellen amerikanischen Prinzipien Freiheit und Selbstbestimmung für die Völker gehe.
Bushs langsames und sorgfältiges Vorgehen in der Frage der Anerkennung der Unabhängigkeit der baltischen Republiken ist ein Beispiel vertauschter amerikanischer und europäischer Rollen; kritisieren die sonst so pragmatischen Europäer doch gewöhnlich die „idealistische" amerikanische Außenpolitik als eine Politik der moralisierenden Prinzipien. Es ist ja bekanntlich seit langem bewährte Methode amerikanischer Außenpolitik, politische Machtinteressen in die hehren Hüllen von moralisierendem „Exceptionalis-mus" zu kleiden".
Unipolares Zeitalter
Daneben gibt es aber harte Realpolitiker vom Schlage eines Leitartiklers Charles Krauthammer. Er sagt, daß Amerika den Kalten Krieg gewonnen habe. Großbritannien, Frankreich seien zweitklassige Mächte, Deutschland und Japan erstklassige Wirtschaftsmächte ohne Willen zur politischen Macht - und deshalb eigentlich auch zweitklassig; und die Sowjetunion befinde sich im Niedergang. Da bleibe dann nur noch die „einsame Großmacht" USA übrig, den Weltpolizisten zu spielen, wie der Golfkrieg so klar zeigte. Im Golfkrieg - so Krauthammer - sei der Mythos eines neuen Zeitalters der „kollektiven Sicherheit" zu Grabe getragen worden. Der angebliche Multilateralismus der UNO-Koalition im Golf sei ein „Scheinmultilateralismus" wie schon seinerzeit im Koreakrieg gewesen. Das neue internationale System, das dem bipolaren Zeitalter des Kalten Krieges folge, sei in Wirklichkeit ein „unipolares", mit den Vereinigten Staaten als einsamer Supermacht auf dem Höhepunkt der Macht. Krauthammer verlangt, daß amerikanische Interessen in der Welt und amerikanische Werte nach wie vor wichtiger Bestandteil jeglicher Vorstellung einer,,Neuen Weltordnung" bleiben müssen.
Die Pfeife Amerikas
Krauthammer kann Jeane Kirkpatricks realistischem Aufruf wenig abgewinnen, die in einem „Foreign Affairs"-Leitartikel vorschlägt, Amerika müsse lernen ein Macht, keine Supermacht zu sein. Für den gebürtigen Österreicher Henry Grunwald - wie viele Einwanderer ein 110-prozentiger Amerikaner - klingt Kirkpatricks Rezept, Amerika möge den Status einer normalen Nation akzeptieren, wie ein Ausverkauf des amerikanischen Weltherrschaftsanspruches. Grunwald findet es in einem Beitrag im „Time-Magazine" schockierend, daß die Amerikaner bezüglich ihrer besten Ideale eine Bankrotterklärung zu dem Zeitpunkt abgeben, da die ganze Welt nach der Pfeife amerikanischer wirtschaftlicher und politischer Ideale zu tanzen beginne.
Wenn Bush seiner pragmatischen Außenpolitik, seiner „neuen Weltordnung" auch traditionelle idealistische Zielvorstellungen einzuhauchen vermag, könnte das die Zielrichtung der amerikanischen Außenpolitik und die Stellung der USA in der Welt weit ins nächste Jahrhundert hinein bestimmen -sollten die Amerikaner bis dahin nicht wie die Russen infolge innerer Auszehrung in die Mittelmäßigkeit versinken, ausgelöst durch die Überschuldung bei der Verteidigung ihres weltweiten Nachkriegs-Empires.
Der Autor unterrichtet amerikanische Geschichte und internationale Beziehungen an der Universität von New Orleans. Dies ist der zweite und letzte Beitrag zum Thema „Wandel der US-Außenpolitik".
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