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Ungewöhnliche Signale

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„Gromyko hat sicher erkannt, wie groß die Solidarität der Europäer mit Amerika ist”, kommentierte Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky den Gesprächsreigen, der sich anläßlich der Staatsvertragsfeierlichkeiten in Wien auch zwischen dem sowjetischen Außenamtschef und den Außenministern der Vereinigten Staaten (Edmund Muskie), der Bundesrepublik Deutschland (Hans-Dietrich Genscher) und Großbritanniens (Lord Carrington) ergeben hatte.

Hatte Kreisky aus seinen Kontakten mit den Außenministern der wichtigsten Mitgliedsstaaten der westlichen Allianz offensichtlich Anzeichen einer verstärkten Solidarität registriert, scheint das Verhältnis zwischen Westeuropa und den USA aber doch nach wie vor alles andere als spannungsfrei, geschweige denn herzlich zu sein.

Seit der Geiselnahme in Teheran und dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan sind die Vorwürfe von jenseits des Atlantiks über mangelnde europäische Bündnistreue zusehends schärfer geworden, wurde in der amerikanischen Öffentlichkeit mit zuweilen harter Kritik nicht gespart:

Die Amerikaner fühlen sich von ihren europäischen Partnern im Stich gelassen, weil einige von ihnen die Afghanistan-Invasion der Sowjets als eine Art Betriebsunfall der sowjetischen Außenpolitik hinstellen und die globalen Auswirkungen dieses Gewaltaktes nicht wahrhaben wollten.

Washington aber würde von den Westeuropäern wegen seiner Antwort auf den sowjetischen Expansionismus der Vorwurf einer „Uberreaktion” gemacht, durch die Moskau unnötigerweise provoziert wurde.

Bei dieser Interpretation der Dinge aber stünden plötzlich die USA als Aggressor da, der die weltpolitische Lage destabilisiere und die Gefahr eines Dritten Weltkrieges heraufbeschwöre: als ob die USA und nicht die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert sei.

Enttäuscht sind die Amerikaner natürlich auch, weil sich die Westeuropäer nur zögernd und halbherzig den Wirtschaftssanktionen gegen den Iran angeschlossen haben. Die am 18. Mai in Neapel beschlossenen abgestuften Sanktionen durch die Außenminister der EG-Staaten, mit denen die Freilassung der seit 4. November 1979 in Iran festgehaltenen amerikanischen Geiseln erwirkt werden soll, dürfte den amerikanischen Unmut in dieser Hinsicht allerdings etwas dämpfen.

So ist ja in Washington auch mit Zufriedenheit registriert worden, daß sich die Vollversammlung des Nationalen Olympischen Komitees der Bundesrepublik Deutschland am 15. Mai mit der Mehrheit von 59 Stimmen bei 40 Gegenstimmen für einen Boykott der Olympischen Spiele in Moskau ausgesprochen hat.

Um so mehr muß die französische Politik den Amerikaner gegen den Strich gehen. Nicht nur deshalb, weil die Franzosen bei den Moskauer Sommerspielen mit dabei sind: Vielmehr dürfte Washington das überraschende Treffen des französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Leo-nid Breschnew in Warschau vom 18. und 19. Mai ärgern, dem nur bescheidene Konsultationen mit den Verbündeten Frankreichs vorausgegangen sind: Die Alleingänge Frankreichs könnten das westliche Bündnis wieder einer ungewöhnlich harten Belastungsprobe aussetzen.

Delikat ist dieses angespannte Verhältnis zwischen Westeuropa und Arnerika, aber auch für die österreichische Außenpolitik.

Tatsache ist: Wie immer Österreich sich in der derzeitigen weltpolitischen Situation verhält, eine der beiden Supermächte wird sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Für die österreichische Diplomatie gilt es deshalb, so zu agieren, daß die Schläge jeweils nicht zu hart ausfallen.

Den Amerikanern gegenüber scheint man am Wiener Ballhausplatz, im Bundeskanzleramt und im Außenministerium, jedenfalls weniger Skrupel zu haben. Dementsprechend schärfer fallen die Stellungnahmen des Bundeskanzlers und des Außenministers aus, wenn sie die amerikanische Außenpolitik betreffen.

Bei Gesprächen mit österreichischen Diplomaten ist deutlich zu erkennen, daß selbst im Außenministerium ein gewisses Unbehagen über den derzeitigen österreichischen Kurs gegenüber den Vereinigten Staaten herrscht: überraschend dabei, daß dieses Unbehagen offensichtlich quer durch die Parteien geht.

Konkrete Ansätze der Kritik: Da würden von höchster Ebene immer wieder Signale ausgesendet, die Zuhörer im Osten und in der Dritten Welt fehlinterpretierten, die USA aber irritieren müßten.

Eines dieser eher ungewöhnlichen „Siignale” der österreichischen Außenpolitik war etwa die österreichische Unterstützung für die Sicherheitsratskandidatur Kubas - eine Angelegenheit, durch die die Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ die gemeinsame österreichische Außenpolitik gefährdet sahen.

Auch im amerikanischen Außenamt wurde dieses österreichische Verhalten bedauert und vom damaligen amerikanischen Botschafter in Wien, Milton A. Wolf, dem österreichischen Außenminister Willibald Pahr mitgeteilt, daß Washington diesen Schritt Österreichs nicht verstehe.

„Unterschwellige antiamerikanische Töne” entdeckte vor kurzem auch die „Neue Zürcher Zeitung” im Wiener Außenministerium und zwar im Zusammenhang mit der Äußerung von Außenminister Pahr, der das amerikanische Reiseverbot in den Iran kritisierte und von „unterschiedlichen Vorstellungen über die Menschenrechte in Österreich und den USA” sprach.

Daß das neutrale Österreich sich nicht an den Wirtschaftssanktionen gegen den Iran beteiligt und ein Olympia-. Team nach Moskau entsenden wird, scheinen US-Diplomaten noch zu verstehen. Ohne Zweifel dürften aber die verschiedenen „Signale” aus dem österreichischen Außenministerium bei den Amerikanern Befremden, ja Verärgerung ausgelöst haben.

Die amerikanische Botschaft in Wien, auf die österreichische Politik gegenüber den USA angesprochen, gibt sich vielsagend schweigsam: „No-comment” („Kein Kommentar”).

Daß es nicht nur zwischen den USA und ihren Verbündeten in Europa, sondern auch zwischen den USA und dem neutralen Österreich kriselt, dürfte jedenfalls auch Bundeskanzler Kreisky aufgefallen sein.

Er warnte anläßlich seines Besuches in der Bundesrepublik Deutschland erst unlängst vor einem Antiamerikanismus („Den können wir uns nicht leisten”) und unterstrich bei seinem Gespräch mit dem neuen amerikanischen Außenminister Muskie in Wien nachdrücklich die Sympathie Österreichs für die USA.

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