Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ungleichheit unverändert
Wenig schmeichelhaft fällt der Mikrozensus über die Entwicklung der Einkommen in Österreich aus: Ungleichheiten in der Verteilung haben sich alles andere als verkleinert.
Wenig schmeichelhaft fällt der Mikrozensus über die Entwicklung der Einkommen in Österreich aus: Ungleichheiten in der Verteilung haben sich alles andere als verkleinert.
Von einem breiten Gürtel des Wohlstands war einmal die Rede und auch davon, daß überproportionale Einkommensunterschiede über den Weg einer Umverteilung von oben nach unten ausgeglichen werden sollten.
Die politische Absichtserklärung, mit der Österreichs Sozialdemokraten vor beinahe 15 Jahren die Regierungsverantwortung übernahmen, findet indes keine erkennbare Entsprechung in der sozialen Realität.
Vom breiten Wohlstand ist weit und breit nichts zu sehen. Denn die, die schon zuvor den höheren Einkommensgruppen zuzurechnen waren, haben ihren Vorsprung gegenüber jenen kontinuierlich ausbauen können, die den sozialen Bodensatz bilden.
Rechnet man die verlangsamte bis stagnierende allgemeine Wirtschaftsentwicklung dazu, liegt der Verdacht nahe, daß die Wohlstandsmehrung der Besserverdienenden gerade auch in schlechten Zeiten auf Kosten der ohnehin Schwachen zustande gekommen ist.
Indizien dafür finden sich wieder einmal im jüngsten „Bericht über die soziale Lage" des Sozialministeriums. Ergänzend dazu präsentierte das österreichische Statistische Zentralamt am 10. Oktober „Neue Ergebnisse zur Einkommensverteilung", die im Rahmen eines Mikrozensus im Juni 1983 erhoben wurden.
Das wenig schmeichelhafte Ergebnis für die Lohn- und Einkommenspolitik der letzten Jahre:
Zehn Prozent aller unselbständig Erwerbstätigen verdienen weniger als 5.600 Schilling netto im Monat.
Während die obersten zwanzig Prozent der Einkommenspyramide zwischen 1973 und 1983 ihren Anteil am gesamten Volkseinkommen von 37,4 Prozent auf 39,1 Prozent steigern konnten, haben die zwanzig Prozent auf der Schattenseite der Pyramide im gleichen Zeitraum gerade von 6,7 Prozent auf 6,8 Prozent „zulegen" können.
„Die Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen hat sich nicht verkleinert": Nüchtern kommentiert der Sozialbericht 1983 diese Entwicklung.
Aber auch andere Ungleichheiten in der Einkommensverteilung blieben im Zehnjahres vergleich nahezu unverändert.
So erreichen 80 Prozent der berufstätigen Frauen nicht den durchschnittlichen Verdienst männlicher Lohnempfänger. Besonders kraß präsentiert sich die geschlechtsspezifische Diskriminierung unter den Arbeitern:
Drei Viertel der Arbeiterinnen müssen selbst bei gleicher Berufserfahrung mit weniger Lohn rechnen als das in dieser Arbeitnehmergruppe am schlechtesten entlohnte Viertel der Männer.
Ein anderes Beispiel für den wenig erfolgreichen Abbau der
Ungleichheiten in der Lohnentwicklung: der Unterschied zwischen Facharbeitern und Hilfsarbeitern in der Industrie, zwischen niedrigster und höchster Lohnstufe betrug — wie auch in den Jahren zuvor — unverändert fast 50 Prozent.
Daß sich in einem solchen Szenario die Schere zwischen den Arbeiter- und Angestelltenbezügen weiter geöffnet hat, kann nicht mehr verwundern. Die gewerkschaftliche Tarifpolitik hat dem nichts entgegenzusetzen gehabt. Im Gegenteil: Die Lohnsteigerungen der untersten Gehaltsgruppen lagen nur unwesentlich über jenen der Besserverdiener.
In der Bauwirtschaft, so ein Detail aus dem Sozialbericht, blieb der Zuwachs der Ist-Löhne gar um 1,6 Prozentpunkte hinter jenem der Kollektivvertragslöhne zurück.
Wie die Mitarbeiter des Mikrozensus zur Einkommensentwicklung erklärten, war die Auskunftbereitschaft (die Beantwortung der Einkommensfrage erfolgte auf freiwilliger Basis) im allgemeinen zufriedenstellend. Mit einer Einschränkung: Gerade die Besserverdienenden blieben relativ häufig stumm, was ihre persönliche Einkommenssituation betrifft. Daß dabei auch ein wenig schlechtes Gewissen mitgespielt hat, ist nicht von der Hand zu weisen.
Ein schlechtes Gewissen müßte aber angesichts der vorliegenden Ergebnisse in erster Linie jene Politiker und Gewerkschafter plagen, die von mehr Einkommensgerechtigkeit und Solidarität mit den Schwachen reden, in der täglichen Politik über bloße Absichtserklärungen offensichtlich nicht hinauskommen.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!