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Ungute Bundesgenossen

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In einem ersten Bericht aus der Türkei (FURCHE Nr. 48 vom 28. November), hat unser Nahost-Korrespondent Heinz Gstrein die äußerst delikate soziale und wirtschaftliche Situation dieses Landes durchleuchtet. Die- sesmal untersucht Gstrein die politische Lage, die sich seit dem Regierungswechsel vom 14. Oktober, als der Sozialdemokrat Bülent Ecevit abgewählt und Süleyman Demirel von der Gerechtigkeitspartei an die Macht kam, ja in einer völlig neuen Konstellation darstellt:

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In einem ersten Bericht aus der Türkei (FURCHE Nr. 48 vom 28. November), hat unser Nahost-Korrespondent Heinz Gstrein die äußerst delikate soziale und wirtschaftliche Situation dieses Landes durchleuchtet. Die- sesmal untersucht Gstrein die politische Lage, die sich seit dem Regierungswechsel vom 14. Oktober, als der Sozialdemokrat Bülent Ecevit abgewählt und Süleyman Demirel von der Gerechtigkeitspartei an die Macht kam, ja in einer völlig neuen Konstellation darstellt:

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In der Türkei gibt es heute schon wieder solche, die gerade in Kemal Atatürks Leistung, Islam und osmanisches Erbe durch nationalen Laizismus und europäische Kulturanleihen ersetzt zu haben, den gottlosen Anfang vom heutigen Ende kommunistischer und vor allem faschistischer Auswüchse erblicken wollen. So Necmeddin Erbakan und seine 21 Abgeordneten von der „Milli Selamet Partisi“, der „Nationalen Heilspartei“, die in diesem Jahr ostentativ den Trauerfeiern am Atatürk-Mausoleum von Anit-Kabir femgeblieben sind.

Für sie kann die zerbrochene türkische Einheit nur auf dem Fundament islamischer Weltanschauung und Lebensart, die Linksextreme wie Nationalradikale gleichermaßen ausschließt, wiederhergestellt werden. Und in gemäßigter Form herrscht diese Ansicht selbst in den Reihen der neuen Regierungspartei vor, der „Adalet Partisi“, der „Gerechtigkeitspartei“ von Süleyman Demirel, allen Lip

penbekenntnissen zum „großen Kemal“ zum Trotz.

Die frischgebackene Rechtsregierung dieser „Gerechtigkeitspartei“ muß ihre knappe parlamentarische Mehrheit den volksrepublikanischen Sozialdemokraten des am 14. Oktober abgewählten Bülent Ecevit gegenüber aber nicht so sehr auf diese Panislamisten Erbakans, der nur bedingt mitmacht, sondern neben der kleinen Ordnungspartei, der „Nisam“, vor allem auf die Pantürkisten eines Arpaslan Türkesch stützen.

Seine einem türkischen Rassismus verschworene, noch in Weltkriegszeiten als Weggenossin des Nationalsozialismus gegründete „Partei der nationalen Aktion“, hat ihr Stimmpotential bei den Oktoberwahlen zwar nicht vermehren können. Demirels Angewiesenheit auf ihre parlamentarische Unterstützung hat diese alten Kämpfer für ein gro'ßtürkisches Reich vom Balkan bis zum Himalaja aber zum entscheidenden Zünglein an der Waage werden lassen.

Allerdings stellt Türkesch diesmal keine Minister wie früher in der Koalition der nationalen Front mit Demirel, in der er sogar dessen Vizepremier gewesen war. Dennoch hat er wichtige Machtpositionen

in den Ministerien überantwortet bekommen. So wird nach außen das Bündnis der bieder-konservativen Bürger und Bauern von der „Adalet“ mit dem türkischen Hitler Türkesch verschleiert, seiner tatsächlichen Mitregierung jedoch Tür und Tor geöffnet.

In den paar Tagen zwischen Verlautbarung dieser heimlichen Koalition Demirels mit den beiden großen radikalen Gruppen und zwei weiteren Miniparteien der äußersten Rechten und der endgültigen Bekanntgabe seines Ministerteams, gab es an allen Schaltstellen der Macht einen sofortigen Wechsel von den bisherigen Linken der republikanischen Volkspartei zur neuen Rechten.

Auch der Rechtsterror hat in den letzten Tagen gefährlich zugenommen, sichtlich ermutigt durch die neue Regierungskonstellatioh. Während die gesamte Linke am 14. Oktober nur vier Prozent der Stimmen zusammenkratzen konnte, auch vom Terror her weniger systematisch und

eigentlich nur durch ihren „Revolt tionären Gewerkschaftsbund“ (Disl von Bedeutung ist, droht von den fs natischen Pantürkisten wie unbe lehrbaren Panmuslimen die eigentl ehe Gefahr. Sie haben Millionen Ak tivisten und noch mehr Sympathi santen.

Demirels vom Volk an und für sic] mit Vorschußlorbeeren bedacht Minderheitsregierung der rechte! Mitte wird daran siegen oder stürzen wie sie ihrer unguten Bundesgenos sen Herr zu werden und ganz konkre mit dem Rechtsterror fertig zu wei den vermag. Und sollte es der „Ge rechtigkeitspartei“ dazu an Stärk oder auch am guten Willen fehlen, sgeben selbst die türkischen Sozial demokraten deshalb die Hoffnun; nicht auf.

Für uns paradox, sehen sie in eine Intervention der Armee die Rettuni von Fortschritt und Demokratie - je ner Generäle, die als einzige redlich- Grabwächter und Erbverwalter übri; geblieben seien.

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