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Unhaltbare

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Es ist ein spezifisches Merkmal der Gegenwart, vielleicht ein Charakteristikum hochentwickelter Kulturen überhaupt, daß allmählich alles, ips- besondere jede Art von Autorität und Institution, fragwürdig erscheint, daß sie radikal nach ihrem Grund und Recht befragt werden. In diesem radikalen Fragen darf man freilich zugleich ein Zeichen intellektueller Lebendigkeit und Wachheit sowie das Ethos der Aufrichtigkeit und Redlichkeit sehen, wenn das pessimistisch-skeptische Resultat, Autorität und Institutionalität seien in jedem Fall von Übel, nicht von vornherein feststeht und die Argumentation nicht nachträglich nur das „beweist“, worauf ihr Autor schon von Anfang an fixiert war. Es war mindestens seit dem 2. Vatikanischen Konzil mit ziemlicher Sicherheit voraussagbar, daß der allgemeine „Fragestrom“ der Gegenwart auch jenes letzte Bollwerk der Autorität,

den Primat und die Unfehlbarkeit des Papstes in seinen Sog hineinreißen werde. Gleichzeitig war fast vorauszusehen, daß dieses Thema in systematischer Weise anzugehen jener Theologe versuchen würde, der durch das Aufgreifen „heißer Eisen“ berühmt geworden ist, der Tübinger katholische Dogmatiker Hans Küng. Bereits in seinen Werken „Strukturen der Kirche“ (1962), „Die Kirche“ (1967) und „Wahrhaftigkeit. Zur Zukunft der Kirche“ (1968) hatte er verschiedene Aspekte des kirchlichen Autoritarismus einer mitunter heftigen Kritik unterzogen. In seinem neuesten Buch: „Unfehlbar? — Eine Anfrage“ versucht er, die Unhaltbarkeit der These von der Unfehlbarkeit des Papstes, der Konzilien, des ordentlichen Lehramts der Kirche und der Schrift mit zahlreichen historischen, philologischen, logischen und theologischen Argumenten nachzuweisen. Versammelnde Mitte aller Wahrheiten und unfehlbar sei nur Gott, der sich in und durch Jesus Christus bezeugt habe. Aber Gott, der Wahrhaftige und Unfehlbare, bleibe sich und Seiner Kirche treu, weswegen von einem „Bleiben" derselben in der Wahrheit trotz aller einzelnen satzhaften Irrtümer in der Form von Glaubensbekenntnissen, Glaubensdefim’tionen und Glaubensformeln dennoch gesprochen werden dürfe. Diese „neue“ Sicht der Unfehlbarkeit müsse sich auch in der Ersetzung des Wortes selbst aus- drücken. Küng greift hiefür auf die in der Ekklesiologie verwendeten Termini „Indefektibilität“ und „Per- ennität“ zurück.

Diese kurze Inhaltsangabe des Küngschen Buches zeigt bereits: Sein Anliegen ist im Grunde, also wenn man von der reißerischen Aufmachung der Titelseite (die übrigens den Verdacht nahelegen kann, es handle sich um die Frage der Unfehlbarkeit H. Küngs) und einigen von antirömischem Affekt diktierten Stellen absieht, weder destruktiv noch revolutionär. Auch der „konservativste“ kirchliche Würdenträger oder Theologe muß zugeben, daß es sich bei dem von Christus versprochenen Beistand des Geistes der Wahrheit für die Kirche nicht um eine derselben geschenkte Unfehlbarkeit im Sinne der griechisch- scholastischen Formel der adaequa- tio intellectus et rei handeln kann. Was an Irrtümem und Fehleinschätzungen in der offiziellen Verkündigung der Kirche auf ihrem harten Weg durch zwei Jahrtausende geschehen ist, brauchte Küng nicht zu entdecken, sondern nur einigermaßen systematisch zusammenzustellen, wie dies einem wesentlichen Modus der Durchführung fast aller seiner Bücher entspricht (man vergleiche die lediglich auf zwei Gewährsmännern aufgebaute exegetische Grundlage seines Buches „Die Kirche“ oder das in seinem historischen Teil die Aussagen von Hegel- Interpreten, in seinem diesen nicht konsequent weiterführenden systematischen Teil die christologischen Zeugnisse heutiger Theologen sammelnde Werk „Menschwerdung Gottes“, 1970). Man kann also mit Fug und Recht das Gesamtanliegen des neuesten Küngschen Buches durch das Motto wiedergeben: „Wider den Autoritarismus für eine echte Autorität!“

Was allein oder vornehmlich an diesem Buch, das kirchengeschichtlich weithin recht hat und trotz einiger emotionaler Entgleisungen pasto- raltheologisch gut gemeint ist, stört, ist der Mangel an theologischsystematischer Substanz, ist die Dürftigkeit seiner theologischen Grundaussage. Ist doch die Fallibili- tät der Kirche in ihren satzhaften Aussagen auf der einen und das Bleiben der Kirche in der Wahrheit auf der anderen Seite nicht mehr als ein pathetisches Bekenntnis, wenn diese beiden Thesen picht vermittelt, und das heißt in ein begründetes Verhältnis zueinander gebracht’ nirgendwo geschehen. Eine Refle- werden. Dies aber ist in diesem Buch xion auf das hin, was Wahrheit und das Bleiben in ihr noch meinen kann, wenn wesentliche Aussagen des christlichen Glaubens nicht zu stimmen brauchen, fehlt vollkommen. Eine grundlegende These moderner Anthropologie, daß der Mensch und seine Wahrheit und Wirklichkeit, daß sein Denken und Erkennen we sentlich sprachlich verfaßt sind, daß demgemäß christliche Wahrheit auch das Satzhafte tangieren muß, daß das Bleiben in dieser Wahrheit sicherlich nicht ohne ein Minimum wesentlicher Glaubensaussagen möglich ist, die sich in ihrem „Kern“, in dem von ihrem letztlich gemeinten Inhalt und Ziel trotz aller Wandlungen ihres worthaft-begrifflichen Gewandes durchhalten müssen, wenn überhaupt geschichtliche Kontinuität zur Ur- kirche hin bestehen soll, all das scheint Küng sich nicht bewußt gemacht zu haben. Es fehlt bei ihm jegliches Kriterium für das „In-der- Wahrheit-Bleiben“, so daß die Behauptung eines solchen Bleibens als reine Setziung, als emphatisches Abstraktum jeden Erkenntniswertes ermangelt. Auch die verbale Ersetzung des Terminus Infallibilität durch den der Indefektibilität hilft hier keinen Schritt weiter. Gläubige wie Ungläubige werden mit Recht fragen, welcher Art Unzerrüttbarkeit und Beständigkeit (so übersetzt Küng den Terminus Indefektibilität) einer Kirche zukommen soll, die in keiner ihrer wesentlichen Aussagen eine notwendige und unverlierbare Beziehung zur Wahrheit, die Gott ist,

habe. In das „System“ Küngs nicht Eingeweihte werden überdies Indefektibilität in dem Sinne verstehen, daß die Kirche keine Defekte haben kann. Würde ein Logistiker beauftragt, Küngs Buch auf seine Logik hin zu überprüfen, so könnte er zwar die einzelnen Sätze, die Küng als Irrtümer des kirchlichen Lehramtes herausstellt, formalisieren und sie so in ein System bringen, mit der These des In-der-Wahrheit-Bleibens und der der Geistgewirktheit dieses Bleibens, die Küng ohne jede konkrete Anwendung und Konfrontation mit der Wirklichkeit, aufstellt, könnte er jedoch nichts anfangen. Sie wäre für ihn nebulös, metasprachlich, metaphysisch usw. Der Tübinger Ordinarius für dogmatische und ökumenische Theologie hat das brennende Problem der Unfehlbarkeit theologisch nicht gelöst, aber er hat den status quaestionis, die Basis, von der bei jeder Diskussion dieses Problems auszugehen ist, deutlich und mit journalistischer Akribie umschrieben.

UNFEHLBAR? — Eine Anfrage. Von Hans Küng. Benziger-Verlag, Einsiedeln. 204 Seiten. S 8S.30.

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