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Uninformierte Geschädigte

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„Das Gesetz ist derart kompliziert gemacht, daß es bis heute nicht zur Anwendung gekommen ist. Das war eine politische Augenauswischerei”, ärgert sich der Präsident der österreichischen Richtervereinigung, Udo Jesionek, über die Praktiken rund um die Strafprozeßordnung 1978.

Nach der im Juli 1978 in Kraft getretenen Regelung soll jenen Verbrechensopfern, denen „rechtskräftig eine Entschädigung wegen Tötung, Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung oder wegen einer Schädigung am Vermögen zuerkannt worden ist” (Gesetzestext), ein staatlicher Vorschuß auf die Entschädigungssumme gewährt werden.

Die Väter der Reform wollten rasch und unbürokratisch Hilfe leisten, um den langen Irrweg gerichtlicher Verfahren abzukürzen.

Fazit der gesetzlich verankerten Hilfestellung: „Das Verbrechensopfer wird nicht informiert. Die Anwälte, die davon wissen, wenden das Gesetz nicht an” (Jesionek).

Und auch die Juristen im Ministerium schütteln die Köpfe. Sie kennen ebensowenig den Grund, warum von der Möglichkeit der Bevorschussung kein Gebrauch gemacht wird.

Des Generalanwaltes Karl Marschall „privater Eindruck”: „Bei vielen Leuten ist der Kampf ums Recht nicht ausgeprägt. Aus Angst vor möglichen Kosten und aus Scheu vor dem Gericht stellen die Opfer keine Anträge.”

Mangelnde Information und psychologische Barrieren verhindern den Zugang zum Recht.

So müssen auch immer noch private Institutionen helfend eingreifen, obwohl staatliche Voraussetzungen theoretisch ausreichend vorhanden wären.

Neben der Caritas, dem Roten Kreuz, katholischen und evangelischen Pfarren, unterstützt und berät der „Weiße Ring” seit etwa zwei Jahren Kriminalitätsopfer in Österreich.

Der Gründer der Organisation (gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung von Verbrechensopfern) ist Eduard Zimmermann (Aktenzeichen XY), der schon einige Jahre früher den „Weißen Ring” in Deutschland ins Leben gerufen hat. Ziel des österreichischen Ringes: materielle, ideelle und beratende Betreuung „überall dort, wo das Gesetz nicht ausreicht”.

In seinem ersten, im Jänner, dieses Jahres erschienenen Mitteilungsblatt stellt sich denn auch der „Weiße Ring” als „eine unabhängige, überparteiliche Organisation” vor; „seinem Vorstand gehören führende Persönlichkeiten aus allen politischen Lagern, aus Wirtschaft, Kultur und den Massenmedien an .

Die 400 Mitglieder starke Gesellschaft plant, „im Interesse des Föderalismus für jedes Bundesland Landesleiter zu ernennen” (Mitteilungsblatt). In Kärnten und in der Steiermark existieren bereits solche Filialen.

Um die finanzielle Schlagkraft der Vereinigung - derzeit rekrutieren sich die Geldmittel aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden - zu erhöhen, kämpfen die Verantwortlichen um staatliche Subventionen und streben die Installierung des sogenannten „Bußgeldes” an. Eine Einrichtung, die in der BRD bereits gesetzlich verankert ist.

Danach können Unfall-Autofahrer zwischen zwei Übeln wählen: Erklären Sie sich zur Entrichtung eines Bußgeldes bereit, so können sie sich von der Eintragung in die Unfallkartei loskaufen. Und sie helfen damit jenen Menschen, die aus welchen Gründen immer - einer Unterstützung bedürfen.

Die Gelder dienen nämlich ausschließlich caritativen Zwecken und werden auf die entsprechenden Hilfsvereine verteilt.

„Im besonderen hellen wir jenen Fällen, die vom Gericht bereits abgehandelt und mit dem Argument der Inkompetenz abgewiesen wurden”, will die Generalsekretärin des Weißen Ringes, Johanna Zwerenz, gerade für jene Opfer da sein, die durch den staatlichen Rost fallen. „Es gibt zahlreiche Härtefälle, für die sich weder die Sozial- noch die Pensionsversicherung als zuständig erklären”, weiß sie aus leidvoller Erfahrung zu berichten.

Aber auch der Bund hat für solche Fälle - zumindest vom Gesetz her - vorgesorgt. Mit dem Bundesgesetz vom Juli 1972 - „Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechen” -soll verhindert werden, „daß sozial schwächere, unschuldige Opfer von Gewalttaten infolge des mit der Tat verbundenen Verdienst- oder Unterhaltsentganges, durch Heilungs- oder Prozeßkosten usw. in Not geraten” (Informationstext).

Denn das Bundesministerium für soziale Verwaltung, jene Stelle, die das Gesetz exekutiert, mußte inzwischen ebenfalls zur Kenntnis nehmen, daß „der Unterhalts- oder Verdienstentgang, die Heilungskosten und auch allenfalls die Kosten der Rehabilitation usw. nicht immer durch entsprechende Leistungen der Sozialversicherung abgedeckt” werden.

So sind seit dem Inkrafttreten des Gesetzes bis Ende vergangenen Jahres magere 388 Anträge auf finanzielle Unterstützung gestellt worden, denen mit einem Gesamtbetrag von 7,5 Millionen Hilfsschillingen stattgegeben worden ist.

Allerdings nicht für Sachbeschädigungen. Dafür wiederum müßte das Justizministerium sorgen. Das Sozialministerium leistet lediglich Schadenersatz in Fällen der Tötung, Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung.

Um der Unkenntnis über diese Hilfeleistungen in der Bevölkerung entgegenzuwirken, wurden - so Sektionschef Karl Ernst - die Landesinvalidenämter beauftragt, die Verbrechensopfer zu ermitteln, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und sie kostenlos zu beraten.

Beratung ineffizient?

„Trotzdem sind es wenige, die einen Antrag stellen”, wundert sich auch Oberrätin Annemarie Prockesch, eine Ernst-Mitarbeiterin.

Und ÖVP-Sicherheitssprecher Robert Lichal zieht seine Schlüsse aus Fakten: „Das Leid schlägt nirgends mehr zu Buche. Die Einnahmen aus kriminellen Handlungen sind weitaus höher als jene Beträge, die an die Verbrechensopfer ausbezahlt werden.” Lichal „teilt die Meinung”, daß staatliche Beratungsaktionen wohl angekündigt , werden, daß man aber in Wirklichkeit gar nicht so sehr an dieser Hilfe interessiert sei: „Es wird viel zu weniggetan.”

Etwas stimmt nicht im Sozialstaat Österreich: Private Vereine, Ministerien und ÖVP-nahe Hilfszirkel installieren lokale und mobile Beratungsstellen zuhauf. Und dennoch weiß der Bürger nur wenig von seinem Glück. Entweder dauert der Sickerprozeß derart lange oder die Art der Beratung ist ineffizient.

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