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Unklare Marschrichtung

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Mit einem Parteitag des Triumphes für Helmut Kohl, den nunmehr endgültig nominierten Kanzlerkandidaten, übertünchten die Unionsparteien CDU und CSU in Mannheim eine der kritischsten Phasen ihrer jüngsten Parteigeschichte. Denn etwas mehr als ein Jahr vor der entscheidenden Bundestagswahl von 1976 befinden sich die Unionsparteien in einem kläglichen inneren Zustand. Selbst wohlgesonnene Kommentatoren kommen zu dem Schluß, daß es bei diesem Zustand der Unionsparteien schon eines sehr schlechten Jahres für die Regierungskoalition be dürfe, damit diese die Bundestagswahl verliere.

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Mit einem Parteitag des Triumphes für Helmut Kohl, den nunmehr endgültig nominierten Kanzlerkandidaten, übertünchten die Unionsparteien CDU und CSU in Mannheim eine der kritischsten Phasen ihrer jüngsten Parteigeschichte. Denn etwas mehr als ein Jahr vor der entscheidenden Bundestagswahl von 1976 befinden sich die Unionsparteien in einem kläglichen inneren Zustand. Selbst wohlgesonnene Kommentatoren kommen zu dem Schluß, daß es bei diesem Zustand der Unionsparteien schon eines sehr schlechten Jahres für die Regierungskoalition be dürfe, damit diese die Bundestagswahl verliere.

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Vordergründig ist die Hauptur-sache für das Desaster der Unionsparteien der leidige Streit zwischen der bayerischen CSU und ihrer Schwesterpartei, der CDU. Dieser Streit ist besonders deshalb so dominierend, weil er in Franz-Josef Strauß seine Personalisierung gefunden hat.

Dieser überaus kluge und dynamische, aber doch auch geleigentlich unberechenbare Politiker war es, der den Konflikt zwischen angeblichen Schwesterparteien, die bestenfalls noch als Stiefschwesterparteien zu bezeichnen sind, offen zutage treten ließ.

Schon früh die Qualitäten aller CDU-Kanzlerkandidaten kritisch beurteilend, fand Strauß für Kohl nur wenige gute Worte. Strauß verbreitete schließlich, nach einigem Zögern, den Gedanken an eine eigene Kanzlerkandidatur und ließ sich von seiner Partei bestätigen, daß er der beste Kandidat für das höchste Regierungsamt sei. CDU-Generalsekretär Biedenkopf, der die Entscheidung für Kohl noch vor dem Parteitag in Mannheim unter Dach und Fach haben wollte, betrieb die Kanzlerkandidatur Kohls mit Zielstrebigkeit.

Daß die beiden verbündeten Parteien sich freilich nach ihrer Entscheidung für Kohl nur auf ein Kommunique einigen konnten, in dem augenzwinkernd Strauß als der eigentlich bessere Mann genannt wird, zeigte schließlich, daß der Konflikt zwischen den Unionsparteien weit über taktische Erwägungen hinausging.

Der Streit war so weit gediehen, daß man sich nicht mehr scheute, ihn vor der Öffentlichkeit auszutragen und das zu einer Zeit, da eigentlich in Anbetracht des bevorstehenden Wahlkampfes Einigkeit mehr als notgetan hätte. Auch auf dem Mannheimer Parteitag der CDU schwelte der Konflikt weiter und entlud sich in einer reichlich kühlen Behandlung des bayerischen Unionsvorsitzenden. Den verheerenden Eindruck völliger Uneinigkeit wollten die Männer der Union offensichtlich gar nicht mehr vermeiden.

Allerdings ist der momentan schlechte Zustand der Unionsparteien mit dem Konflikt zwischen den beiden Parteien noch lange nicht erklärt. Die CDU ist auch in sich zerstritten oder zumindest in entscheidenden Fragen uneins. Zwar hat ihr Generalsekretär Biedenkopf, der sich immer mehr zur geistigen Führungskapazität der CDU entwickelt, ein eindrucksvolles Programm dargelegt, das neue Wege weisen könnte.

Der bisher vor allem von der SPD betonte Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit wird bei Biedenkopf abgelöst vom Gegensatz zwischen Starken und Schwachen, wobei Biedenkopf darauf hinweist, daß diese „Starken“ auch Vertreter der Arbeitnehmer, etwa Gewerkschaften, sein können, während die Armen, Alten und Bedürftigen in solchen Interessenvertretungen der „Arbeit“ keine Fürsprache haben.

Es muß allerdings fraglich bleiben, wie weit die ziemlich schwerfällige CDU, vor allem deren Bundestagsfraktion, diese von Biedenkopf angesprochene „Neue soziale Frage“ politisch aufzuarbeiten und in Programme umzusetzen vermag. Ein guter Teil der CDU vermag wohl hier ihrem Generalsekretär nicht zu folgen. Die Unfähigkeit der CDU, in wichtigen Punkten, wie Mitbestimmung, berufliche Bildung, Bodenrecht oder Vermögensbildung, zu einheitlichen Aussagen zu kommen, beweist dies.

Bei der CSU wird diese Schwäche nicht so deutlich, da diese, dem Konzept ihres Vorsitzenden folgend, sich vorerst weniger mit der Ausarbeitung eigener Pläne und Alternativen aufhält, sondern vor allem eine scharfe Kritik der Regierungsarbeit in den Mittelpunkt stellt.

Wie weit die beiden Unionsparteien in diesem Zustand, untereinander zerstritten und in ihrer politischen Marschrichtung unsicher, einen erfolgreichen Wählkampf 1976 führen können, bleibt ein großes Rätsel. Optimisten in den Uhionskreisen meinen, daß gerade der jetzige Konflikt ein Zeichen der Stärke sei, wie die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der SPD während einer Stärkephase dieser Partei stattfanden und erst jetzt wieder, unter dem Druck zunehmender Schwierigkeiten, Geschlossenheit bei den Sozialdemokraten einkehrte. Dabei sollte aber nicht übersehen werden, daß der Kanzler Brandt über diese Uneinigkeit stolperte und die SPD damit in ihre tiefste Krise rutschte. Gerade jetzt können sich die Unionsparteien keine Krise leisten, wollen sie wieder den Kanzler stellen.

Wirklich sichern könnte einen Unionssieg wohl nur ein weiterer wirtschaftlicher Abstieg, verbunden mit fortgesetzer Hilflosigkeit der Regierungsparteien. Allein daraus, daß noch keine Anzeichen für eine Belebung der Konjunktur sprechen, dürfen die Unionsparteien aber noch keine Hoffnung schöpfen. Denn es wird nicht nur darauf ankommen, auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinzuweisen, die ohnedies jeder spürt, um einen Bundestagswahlkampf zu gewinnen. Dazu wird auch gehören, einen Weg aufzuzeigen, der aus der konjunkturellen Talsohle herausführt.

Hier aber tun sich die Unionsparteien noch immer schwer. Statt auch eventuell unpopuläre Stabilisierungspläne vorzulegen, arbeiteten die Delegierten des jüngsten CDU-Parteitags, im Gegenteil, noch kostenträchtige, zur Zeit völlig unrealisierbare Reformprogramme im sozialen Bereich aus.

Mit der zunächst so glanzlos verlaufenen Personalentscheidung für Kohl haben die Unionsparteien erst den kleinsten Schritt auf dem Weg zur Macht getan. Die viel schwierigeren weiteren Schritte lassen vorerst auf sich warten.

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