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Unlösbar wird das einfachste Problem

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Wir verfügen über genug Material, um die charakteristischen Eigenschaften einer Regierung zu beschreiben, die als bürokratisch eingestuft werden kann. Es sind die folgenden sechs Eigenschaften:

Erstens, sie ist in hohem Maß zentralisiert. An dieser Stelle soll festgestellt werden, daß Großbritannien und Frankreich die am stärksten zentralisierten Länder der Welt sind, während die meisten anderen großen Staaten in Provinzen unterteilt sind, die sich zum größten Teil selbst verwalten.

Das zweite Merkmal einer bürokratischen Regierungsform besteht darin, daß die von ihr ernannten Beamten unpersönlich, ohne Namen und ohne Gesicht sind. Jeder Beamte schreibt im Namen der Regierung ...

Die Auswirkung auf den Empfänger ist verunsichernd, da er nicht weiß, an wen er seine Antwort richten soll oder ob sie jemand überhaupt zu Gesicht bekommt. Er schließt daraus, daß er sich an ein System wendet und nicht an eine Person und daß der Beamte, der den Brief unterschrieb, nicht ein Individuum ist, sondern ein kleiner Teil einer komplexen Maschine. Es gehört zum Wesen einer Bürokratie, daß wir nicht wissen, wer eigentlich regiert.

Das dritte Merkmal einer Bürokratie besteht darin, daß ihre Beamten sich auf Ämter verteilen, die sich voneinander unterscheiden, unterschiedliche Einstellungen haben und sich oft feindlich gegenüberstehen.

Wir kennen wahrscheinlich alle die Situation, wenn eine Wasserleitung von der Wasserbehörde verlegt wird, die Aufgrabung wird eingeebnet und die Oberfläche wieder schön gemacht. Einen Monat später wird die Straße vom E-Werk noch einmal abgesperrt, die Aufgrabung wird eingeebnet und die Oberfläche wieder schön gemacht.

In vielen Ländern handelt es sich hier um unterschiedliche Behörden und es gibt überhaupt keine Chance, daß sie sich im vorhinein daraufhin einigen, dieselbe Aufgrabung zu benützen; und noch weniger darauf, daß die Straße ein gemeinsames Leitungsrohr hat, das alle Zuleitungen gemeinsam enthielte. Auf einer höheren Ebene ist die Koordinierung wahrscheinlich noch schlechter...

Das vierte Merkmal einer Bürokratie besteht darin, daß die Beamten starre Vorschriften anwenden, die oft im Widerspruch zum gesunden Menschenverstand stehen. Dahinter steht die Annahme, daß durch große Freiheiten bei der Auslegung und Anwendung der Gesetze, Bestimmungen und Verordnungen der Beamte sowohl Versuchungen als auch persönlichen Angriffen ausgesetzt wäre.

Er kann nur sagen: „Die Baugenehmigung wird verweigert, weil ihr Ansuchen dem Subparagraphen 17, sect; 691, Abschnitt 109 der Verordnung von 1951 widerspricht." Er sagt nicht, daß der unterbreitete Vorschlag unerwünscht war. Er gibt darüber keine Meinung ab. Er verweist nur auf eine Verordnung und versteckt sich wieder in der Anonymität seiner Abteilung.

Das fünfte Merkmal der Bürokratie besteht darin, daß die vorgeschriebenen Verfahren erschreckend komplex sein können. Formulare müssen ausgefüllt, Vorschriften beachtet, Fachausdrücke verstanden und Dokumente abgefaßt werden.

Komplexität hängt von der Größe der Organisation ab, Komplexität hat aber auch die Tendenz, noch komplexer zu werden. Ein Grund dafür ist der Wunsch des Fachmanns, sein Fachwissen zu schützen und das Geheimnis eher größer zu machen als es zu erklären. Ein anderer Grund ist das Zuviel an Personal im Staatsdienst, was zur Schaffung von Arbeit führt, um die Zahl der Beschäftigten zu rechtfertigen. Jeder Fragebogen oder jedes Erhebungsformular wird auf diese Art immer komplizierter werden, um dem betreffenden Amt Arbeit zu beschaffen.

Alle diese fünf Merkmale treffen im sechsten und letzten Merkmal zusammen, nämlich der Ineffizienz auf Grund von mangelndem Zweck und mangelnder Eile. In logischer Folge führt Aufschub zur abschlägigen Antwort, Zentralisierung zur Frustration, Zersplitterung auf verschiedene Ressorts zur Untätigkeit, mangelnde Flexibilität zur Faulheit und Komplexität zum Verfall. Langsam und majestätisch kommt die ganze Regierungsmaschinerie zum Stillstand. Wenig wird versucht, nichts erreicht und sogar das einfachste Problem wird unlösbar...

Um diese Ubelstände zu beseitigen, müssen wir jeden davon durch sein Gegenteil ersetzen, nämlich Delegierung, Verantwortlichkeit, Koordinierung, Flexibilität, Einfachheit und Effektivität. Die Grundlage dieser ganzen Reform ist die Dezentralisierung.

Es ist die Gewohnheit jeder zentralen oder nationalen Regierung - und das gilt besonders für sozialistische Regierungen -, daß sie jede regionale Regierung zu einer reinen Agentur für die Durchführung der Zentralpolitik degradieren. Der Zweck einer antibürokratischen Bewegung wäre es, ganze Gebiete der Verwaltung zu einer rein lokalen Angelegenheit zu machen, in der die Zentralisierung überhaupt nichts zu sagen hat.

Dieser Beilrag ist auszugsweise einem Referat entnommen, das Prof. Parkinson am 26. September in Wien bei der Enquete des ÖVP-Wirtschaftsbun-des „Bürokratie - nein danke!" hielt.

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