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Unmenschlich und zutiefst pervers

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Die Todesstrafe ist eine schreckliche Realität in der Welt von heute. Nach wie vor befördert die Justiz in zahlreichen Ländern Straftäter per Gesetz vom Leben in den Tod.

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Die Todesstrafe ist eine schreckliche Realität in der Welt von heute. Nach wie vor befördert die Justiz in zahlreichen Ländern Straftäter per Gesetz vom Leben in den Tod.

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Zuerst ist die Frage zu beantworten, ob die Todesstrafe für die Österreicher des Jahres 1985 überhaupt noch ein Thema ist, da wir in einem Land leben, dessen Verfassung die Todesstrafe in jeder Form und für jede Art von Verfahren abgeschafft hat (Artikel 85, Bundes-Verfassungsgesetz).

Die Monatszeitschrift der österreichischen Sektion der Gefangenenhilfsorganisation Am-nesty International (ai), die einen so bewundernswerten und unermüdlichen weltweiten Kampf gegen die Todesstrafe führt, berichtet in ihrer Mai-Nummer 1985:

„Im Februar erfuhr ai von 142 Todesurteilen, die in 16 Ländern ausgesprochen wurden. An erster Stelle lag dabei die Türkei mit 22 zur Hinrichtung verurteilten .Separatisten', gefolgt von Kenia mit elf Todesurteilen, die noch nicht vollstreckt wurden. Vollzogene Exekutionen registrierte ai gleichzeitig in neun Staaten, in denen 93 Menschen hingerichtet wurden. Dabei führte der Iran mit 68 bekannt gewordenen Exekutionen vor Nigeria mit zehn und der Volksrepublik China mit fünf Vollstreckungen von Todesurteilen” (ai-Informationen, Nr. 5, Mai 1985).

Das sind nur die von Amnesty International erfaßten Todesurteile und Hinrichtungen! Hinzu kommt die Dunkelziffer nicht bekanntgegebener oder nicht erfaßter Todesurteile und Hinrichtungen in vielen Ländern in mehreren Kontinenten. Hinzu kommen die „extra legal executions” durch die „Todesschwadronen”, die vor allem in den Militärdiktaturen Lateinamerikas ihr entsetzliches Handwerk betrieben haben oder noch betreiben!

Nach Mitteilungen von Henry Schwarzschild von der „American Civil Liberties Union” sind seit der Reaktivierung der Todesstrafe in 37 der 50 Bundesstaaten der USA (1976) 39 Menschen in den Vereinigten Staaten von Amerika hingerichtet worden. Zur Zeit warten in den Todeszellen 1.500 Häftlinge auf ihre Hinrichtung, und jährlich kommen durchschnittlich 250 hinzu („Arbeiter-Zeitung” vom 18. März 1985).

Leser österreichischer Tageszeitungen konnten vor einigen Monaten ein aufrüttelndes „Pressefoto” auf sich einwirken lassen, das rund um die Welt ging: Eine Gruppe amerikanischer Polizisten klatschte fröhlich lachend Beifall, als der Leichenwagen mit dem toten Körper des wegen Tötung eines Kollegen hingerichteten 33jährigen James David Rau-lerson das Staatsgefängnis von Florida verließ. Die „Oberösterreichischen Nachrichten” (vom 1. Februar 1985) brachten das Bild mit der zutreffenden Beschriftung .Applaus nach der Hinrichtung”.

Es kann kein Zweifel bestehen: Die Todesstrafe ist eine schreckliche Realität in der Welt von heute — in zahlreichen Ländern der Erde.

Zu den Ländern, in denen die Todesstrafe — nach wie vor — verhängt und vollstreckt wird, gehören unter anderen die USA, Südafrika, Japan, die Türkei, Indien, die UdSSR, die Volksrepublik China und alle kommunistischen Staaten. Hinzu kommen die Staaten, die sich zum islamischen Recht bekennen.

Man sieht: Die Todesstrafe ist ein grenzüberschreitendes Weltproblem, das keinen Unterschied des gesellschaftlichen Systems und des politischen Regimes macht.

Seit April 1985 ist der weltweite Kampf gegen die Todesstrafe in ein neues geschichtliches Stadium getreten.

Nach Ratifikation durch fünf Staaaten (Österreich, Dänemark, Luxemburg, Schweden und Spanien) ist das Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention über das Verbot der Todesstrafe zwischen den Unterzeichnerstaaten in Wirksamkeit getreten.

Es ist der erste zwischen den Mitgliedsstaaten verbindliche Vertrag in der Geschichte des Völkerrechts und der Beziehungen zwischen den Staaten, durch den die allgemeine Abschaffung der Todesstrafe beziehungsweise ihre NichtWiedereinführung zu einer rechtlichen Verpflichtung wird.

Diese Verpflichtung steht unter der Kontrolle der Rechtsschutzorgane der Konvention, nämlich der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die im Falle von Verletzungen angerufen werden können.

Artikel 1 des Protokolls lautet: „Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.” per grundsätzlichen Bedeutung dieses ersten Schrittes zur Ächtung der Todesstrafe durch die internationale Staatengemeinschaft tut es keinen Abbruch, daß den Unterzeichnerstaaten das

,,Der Kampf gegen die Todesstrafe ist in ein neues Stadium getreten.”

Recht eingeräumt wurde, durch Gesetz Ausnahmen vom Verbot der Verhängung der Todesstrafe für den Kriegsfall vorzusehen.

Das 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention über das Verbot der Todesstrafe geht auf eine österreichische Initiative bei der XI. Europäischen Justizministerkonferenz im Juni 1978 in Kopenhagen zurück, die an den „Stockholmer Appell” von Amnesty International vom Dezember 1977 zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe anknüpfte.

Wir Österreicher fanden auf dieser und auf den späteren Justizministerkonferenzen bei unseren Vorschlägen die Unterstützung der Justizminister der Bundesrepublik Deutschland, Hans Jochen Vogel und Jürgen Schmu-de, der Schweiz, Kurt Furgler, Schwedens Lennart Geijer und seiner jeweiligen anderen skandinavischen Kollegen, Luxemburgs Robert Krips und Gaston Thorn. Tatkräftig unterstützt haben uns immer auch die Vertreter der jungen Demokratien der iberischen Halbinsel.

Eine Wende brachte schließlich die Abschaffung der Guillotine in Frankreich. Justizminister Robert Badinter, der den Gesetzentwurf für die Aufhebung der Todesstrafe in der französischen Nationalversammlung vertreten hatte, wurde ein verläßlicher Bundesgenosse bei den Bemühungen um die Ächtung der Todesstrafe im Europarat.

Auch die als Beobachter an den Beratungen der Europäischen Justizministerkonferenzen teilnehmenden Vertreter Finnlands und des Vatikans waren Befürworter der europäischen Initiative gegen die Todesstrafe.

Eine große Bedeutung im Kampf gegen die Todesstrafe in Europa hatte auch die große und bewegte Debatte in der Parlamentarischen Versammlung des

Europarates am 22. April 1980. Darin bezeichnete die Versammlung der Vertreter der 21 Mitgliedsstaaten des Europarates die Todesstrafe als unmenschlich und appellierte an die Parlamente jener Länder, welche die Todesstrafe für in Friedenszeiten begangene Verbrechen beibehalten haben, diese Strafe aus ihren Strafrechtsordnungen zu entfernen.

Auch die österreichischen Redner in dieser Debatte, die Abgeordneten zum Nationalrat Hilde Hawliczek (SPÖ) und Sixtus Lanner (ÖVP), sprachen sich nachdrücklich für die völlige Uberwindung der Todesstrafe in Europa aus.

Das Ergebnis der Abstimmung über diese Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates lautete 98 zu 25 ohne stimmenthaltung zugunsten der Empfehlung.

Bisher haben 14 Mitgliedsstaaten des Europarates das 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das seit 28. April 1983 in Straßburg zum Beitritt aufliegt, unterzeichnet: Österreich, Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, die Niederlande, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien.

Als einziger Mitgliedsstaat tles Europarates verhängt und vollstreckt heute nur noch die Türkei die Todesstrafe.

Die Erweiterung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch das Verbot der Todesstrafe ist an sich wichtig genug. Noch wichtiger sind die weltweiten moralischen Impulse, die von dieser europäischen Initiative ausgehen. Wir stärken den Aboli-tionisten in aller Welt den Rücken in ihrem schweren Kampf gegen die Todesstrafe in ihren Ländern.

Die Bemühungen um eine Zurückdrängung der Todesstrafe in den Vereinten Nationen bekommen neuen Auftrieb.

Die nationalen Sektionen von Amnesty International verfügen bei ihrer Aktivität gegen die Todesstrafe über feste Grundlagen der Argumentation, wenn sie auf das 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention über das Verbot der Todesstrafe verweisen können.

Es gibt erste hoffnungsvolle Anzeichen beginnender Diskussion über die Todesstrafe in einzelner Kampf gegen die Todesstrafe ist ein Kampf für die Menschenrechte.” nen kommunistischen Staaten, so jüngst in Jugoslawien und in Polen. Auch in Fachgesprächen mit sowjetischen Juristen kann das Problem der Todesstrafe unter neuen Gesichtspunkten erörtert werden.

Dabei steht immer der enge und unlösbare Zusammenhang zwischen den unteübaren Menschenrechten und der Todesstrafe als einer unmenschlichen Strafe mit im Gespräch.

Das österreichische Memorandum, das im Jahr 1978 der XI. Europäischen Justizministerkonferenz in Kopenhagen vorgelegt wurde, hat diesem Gedanken in besonderer Weise Ausdruck gegeben, als es feststellte: „Gerade wer die Vernichtung von Menschenleben auch in gesetzlich sanktionierter Form ablehnt, kann der tiefen Inhumanität des Terrors mit ganzem moralischen Nachdruck entgegentreten.”

So ist der weltweite Kampf gegen die Todesstrafe ein Teü des Kampfes für die Menschenrechte. Der Erfolg des Kampfes für die Ächtung der Todesstrafe—Schritt für Schritt, Meter für Meter errungen — ist ein Stück Hoffnung, daß die Menschen dieser Erde allmählich lernen werden, einander menschlicher zu begegnen.

Es ist ein guter Anlaß, im Jubiläumsjahr des vierzigjährigen Bestandes der Zweiten Republik auch daran zu erinnern, daß die gemeinsame Uberwindung der Todesstrafe in unserem Lande zum Grundkonsens der österreichischen Demokratie gehört.

Wir konnten das Andenken an die Opfer der Militärgerichte des •1. Weltkrieges, der Standgerichte im Unglücks jähr 1934 und an die 1.184 Justifizierungen durch das Fallbeil zwischen 1938 und 1945 allein im „Grauen Haus” in Wien nicht besser ehren, als durch die Beschlüsse der Volksvertretung über die Abschaffung der Todesstrafe am 24. Mai 1950 und am 7. Februar 1968.

So wollen wir weiter unseren Beitrag leisten, bis auch dieses Ziel erreicht sein wird: die weltweite Ächtung der Todesstrafe.

Dabei denken wir an das Wort des großen österreichischen Strafrechtslehrers Ferdinand Kadecha: „Wo die Todesstrafe besteht, da fehlt dem Gewissen eines Volkes eine entscheidende • Schranke gegen die verbrecherische Perversität, über menschliches Leben hinwegzuschreiten.”

In diesem Sinn und in diesem Geist werden wir weiter Amnesty International mit unserer ganzen Kraft bei ihrer großartigen Arbeit gegen die Todesstrafe und für die Menschenrechte unterstützen.

Der Autor ist Bundesminister für Justiz a.D.

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