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„Unösterreichisch radikal“

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Was die Jusos in der Bundesrepublik Deutschland für die CDU/CSU, das besorgt in unserem Land für die Opposition der Entwurf eines Arbeitsverfassungsgesetzes. Er ist ein weiteres Anzeichen dafür, daß die sozialistische Regierung die Zeit für gekommen sieht, die Glacehandschuhe abzustreifen. Die ruhige, auf Langfristigkeit bedachte Entwicklung ist — wie die österreichische Korrespondentin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ registrierte — durch diesen Gesetzesentwurf des Sozial-ministeriuras jäh gestört worden: „Seine Bestimmungen sind ganz unösterreichisch radikal.“

Der Entwurf über die Mitbestimmung im Betrieb, der die österreichische Innenpolitik ganz unerwartet polarisiert hat, stammt aus der Werkstätte Vizekanzler Häusers — Sozialminister und immer noch gleichzeitig aktiver Vizepräsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes! Dieser hochexplosive Entwurf bezieht eine gesellschaftspolitische Position, die es fertigbrachte, die drei Bünde der ÖVP unverzüglich in eine gemeinsame Frontenstellung zu bringen. Die Verteidigung der Arbeitsplatzfreiheit und der Verantwortlichkeit des Unternehmers kann auch die beiden Oppositionsparteien nur Schulter an Schulter sehen.

Die Radikalität des Entwurfes hat es sogar zustande gebracht, die österreichische Bisohofskonferenz zu einer überraschend scharfen Stellungnahme zu veranlassen. Diese Stellungnahme ist besonders interessant, weil ihr weder politische noch wirtschaftliche Interessen zugrunde liegen. Sie läßt eine gründliche Durcharbeitung und die Hand fachkundiger Experten erkennen, die mit der Problematik der über-und innerbetrieblichen Mitbestimmung wirklich vertraut sind. Die sehr eingehende Stellungnahme läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Das ist darin begründet, daß die Autoren dem vorliegenden Entwurf „für die Gestaltung der Gesellschaft eine außerordentliche Bedeutsamkeit“ zurechnen und ihrer Meinung nach das geplante Vorhaben über das Ausmaß anderer Reformen der Bundesregierung, wie Strafrecht, Familienrecht und Steuerrecht, weit hinausgeht, die an sich schon genug gesellschaftspolitisches Dynamit enthalten!

Die Bischofskonferenz befaßte sich insbesondere mit jenem Teil des Entwurfes, der die Betriebsverfassung zum Gegenstand hat und neue Wege beschreiten soll. Das Beurteilungskriterium ist — dem Grundgedanken der katholischen Soziallehre entsprechend — die Würde des Menschen als Merkmal seiner Freiheit und seiner Selbstbestimmung. Unter diesem Aspekt befriedigt der Entwurf — wie festgestellt wird — die in ihn gestellten Erwartungen nicht: Die Entfremdung des Menschen am Arbeitsplatz, seine Objektsstellung wird durch das vorgelegte Organisationsmodell weder abgebaut noch beseitigt. Im Gegenteil: das Recht auf Initiative wird

auf einen kleinen Personenkreis mit Repräsentativfunktion konzentriert. Statt einer dezentralen und koordinierenden Zusammenarbeit aller drohe der Aufbau neuer autoritärer Organisationsstrukturen mit einer den betrieblichen Ablauf bürokrati-sierenden und in ihrer Wirkungsweise kaum kontrollierbaren Funktionärshierarchie. Der Arbeitneh-mersohaft sind zwar betriebsverfas-sungsrechtliohe Aufgaben zugeordnet, sie habe aber keine Möglichkeit, den Betriebsrat zur Ausübung der Befugnisse in einer bestimmten Richtung zu bewegen. Die Betriebsvereinbarung — eine der wichtigsten Instrumente der Mitbestimmung — soll ohne die Mitwirkung der unmittelbar Betroffenen beschlossen werden. Dem einzelnen Arbeitnehmer räumt der — nach den Worten der Bischöfe — kollektivistisch konzipierte Regelungsaufbau keinen Platz ein. Die Betriebsverfassung erscheint den Kritikern als ein Organisationsrecht zum Schutze organisierter Interessenvertreter, der einzelne habe in einer solchen Betriebsverfassung keinen Platz. Die Verankerung von Individualrechten des Arbeitnehmers würde dem Leitbild des mündigen Staatsbürgers auch in der Arbeitswelt verbesserte Realisierungschancen eröffnen.

Das Gutachten sieht auch die Gefahr, daß sich die unverkennbar stärkere Polarisierung des politischen Lebens Österreichs in einer Verpolitisierung des Betriebs und des Arbeitsplatzes fortsetzt. Eine auch im Rechtsweg nur schwer zu korrigierende Machtausübung außerbetrieblicher Gruppen werde ermöglicht; die vom Entwurf vorgesehenen Systeme von Zwangsschlichtungsinstanzen, die Schlichtungskommission und die mit bindender Entscheidung ausgestattete staatliche Wirtschaftskommission sei nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern bedeute eine Bürokratisierung und Justifizierung der Wirtschaft in einer mit dem Wesen der freien Marktwirtschaft schwer vereinbaren Art.

Den Gewerkschaften sollen über eine beratende Funktion weit hinausgehende Eingriffe in die privaten Betriebe eingeräumt werden. Die Arbeitnehmerschaft soll nicht nur gehalten werden, ihre Interessenvertretungsaufgaben in Zusammenarbeit mit Gewerkschaft und Arbeiterkammer zu verwirklichen, die beide — anders als der Betriebsinhaber — berechtigt werden sollen, an allen Betriebsversammlungen teilzunehmen. Während Familienangehörige des Betriebsinhabers oder leitender Angestellter (einschließlich Wahl- und Pflegeeltern!) nicht in den Betriebsrat gewählt werden können, sollen dann, wenn mindestens vier Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, auch Vorstandsmitglieder und Angestellte einer zuständigen Gewerkschaft wählbar sein.

Als „besonders bedenklich“ wird der Umstand bezeichnet, daß der Gesetzentwurf dem Betriebsinhaber nicht das Recht zugesteht, für den „durchaus nicht selten denkbaren Fall“ mangelnder Ubereinstimmung das Einigungsamt zur Entscheidung anzurufen, sondern dieses Recht nur dem Betriebsrat gibt. Das führe zur berechtigten Sorge, daß dem Unternehmen bei solcher Gesetzeslage nur der Weg offenbleibt, sich dem Willen des Betriebsrates zu beugen oder in diesen wirtschaftlich wichtigen Punkten keinerlei Ordnung im Betrieb herbeiführen zu können.

Weiter sei zu bedenken, daß es der Zusammenführung von Unternehmern und Mitarbeitern kaum dienlich sein könne, wenn gerade in so wichtigen Dingen eine letzten Endes betriebsfremde Einrichtung, wie sie das Einigungsamt nun einmal darstellt, mangels bestehender Einigung dazu berufen sein soll, eine endgültige Regelung zu treffen. Die Zusammenarbeit im Unternehmen setze naturnotwendig voraus, daß dem Unternehmer jene Freiheit in der Unternehmensführung gesichert bleibt, die er benötigt, um das Unternehmen vor Nachteilen zu bewahren. Das heißt, daß ihm und seinem Führungsteam zu freier Entscheidung überlassen sein muß, wofür ihm ein fachlich gesicherter und damit verwertbarer Beistand der betrieblichen Dienstnehmervertreter zur Verfügung steht. Andernfalls erhebe sich die Frage nach der Mitübernahme des Risikos.

Der Gesetzesentwurf sehe auch Eingriffe in die unternehmerische Dispositionsfreiheit vor, die auch zum Nachteil des Unternehmens ausschlagen können: Die Einstellung weiterer Dienstnehmer soll zumindest durch drei Tage .untersagt sein, wenn der Betriebsrat eine Beratung begehrt und sie soll bis zu einer allfälligen Entscheidung des Einigungsamtes in Schwebe bleiben, wenn sie trotz Einspruches des Betriebsrates erfolgt. Alle Einspruchsgründe (Arbeitsplatzgefährdung, Störung des Betriebsfriedens) können auf Irrtümern des Betriebsrates beruhen. Dennoch sollen dem Betrieb bei solchen Meinungsbildungen des Betriebsrates auf jeden Fall Arbeitskräfte versagt bleiben, die der Unternehmer vielleicht mühsam ■ gewonnen hat (und die inzwischen naturgemäß wieder abwandern) und die der Betriebsinhaber für nötig hält.

Die Stellungnahme hält fest, daß die Frage, ob ein Dienstnehmer im Betrieb so gearbeitet hat, daß er befördert werden soll, immer zuvor-i derst eine Fachfrage ist und die Art und Qualität einer Leistung nur jemand beurteilen kann, der fachlich höher steht und außerdem nicht durch persönliche Ambitionen im Urteil getrübt ist.

Der gewiß umfassendste Eingriff in die Entscheidungsbefugnisse des Unternehmers sei im Interventionsrecht des Betriebsrates zu erblicken. Die Tendenz des Entwurfes gehe dahin, das Schicksal eines Unternehmens in noch viel wesentlicheren Punkten als den bisher behandelten nicht nur durch den Betriebsrat mitbestimmen zu lassen, sondern diese Mitbestimmung in eine außerbetriebliche Bestimmung (Schlichtung, staatliche Wirtschaftskommission) zu wandeln. Das hieße, daß der Unternehmerwille ebenso wie jener der zur Mitbestimmung berufenen Dienstnehmer letztlich durch eine staatliche Behörde ersetzt werden soll. Hier werfe sich die im Entwurf völlig unbeantwortete Frage nach den Grenzen der Belastbarkeit unternehmerischer Willensfreiheit und zwangsläufig auch unternehmerischer Risikotragung zu größter Bedeutung auf. Es könne dem Zusammenwirken der in einer betrieblichen Schicksalsgemeinschaft verbundenen Menschen niemals förderlich sein, > wenn gegensätzliche Standpunkte nicht durch Diskussion und eine durch Fachwissen geförderte Einsicht ausgeglichen oder doch angenähert, sondern durch betriebsfremde Institutionen — letztlich durch den Staat — einer Entscheidung zugeführt werden. Hier liege nicht die durch den Gesetzentwurf verfolgte Mitbestimmung des Dienstnehmers, sondern die Mitbestimmung des Staates vor. Dem Zu- und Miteinander der durch den Betrieb miteinander Verbundenen könne dies nicht dienen.

Dieser kritischen Äußerung zum Entwurf eines Arbeitsverfassungsgesetzes kommt um so .größere Bedeutung zu, als über die grundsätzlich positive Einstellung der österreichischen Bischöfe zur echteu Mitwirkung der Arbeitnehmerschaft am Betriebsgeschehen kein Zweifel bestehen kann. Und über die Bedeutung dieses Rechtsbereiches gibt es auch nach dem Wortlaut der erläuternden Bemerkungen keinen Zweifel: Dem Ausbau der Arbeits Verfassung im überbetrieblichen und betrieblichen Bereich sowie der Ausgestaltung der Mitbestimmung kommt für die soziale Struktur und Entwicklung der Gesellschaft entscheidendes Gewicht zu.

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