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Unpolitischer Kampf, politisches Amt

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Erst wenn am letzten Apnilsonntag die ersten Hochredinungen die Computer verlassen, wird Österreich wieder voll einsatzfähige Politiker haben. Bis dahin, bis zum 25. April, dem Tag der Bundespräsidentenwahl, wird die politische Front zwischen Schützengräben verlaufen. Man kämpft für „seinen” Kandidaten — ganz abgesehen davon, daß unter der Hand die PersonalpoUtik weitergeht. Bed der ÖVP auf Grund der Gösinger Beschlüsse — bei der SPÖ auf Grund des zu erwartenden Revirements rund um das Verteidigungsressort. Aber ob nun Franz Jonas oder Doktor Kurt Waldhedm in die Hofburg einziehen wird (oder ein dritter Kandidat etwa einen zweiten Wahlgang erzwingt): hinter der Neuwahl des Bundespräsidenten steht mehr als demokratische Routine einer Pflidit-wahl für den Bürger. Und für man-dien Politiker sind diese Wahlen nicht aliein Jonas- oder Waldheim-Wah-len — sie entsdieiden auch über sein Auf oder Ab.

Etwa für Dr. Karl Sddelnzer, Generalsekretär der ÖVP imd für viele Anwärter auf den Partedobmann. Diese Wahlen werden den ÖVP-Par-teitatgsdelegierten Aufschluß geben, ob Karl Schleinzer (immerhin dann schon fast ein Jahr „Generalstabs-dief”) den Apparat der Volksparted so gut in seinen Händen hält, daß er der richtige Mann ist, der die Volkspartei aus ihrer Malaise herausführen kann. Die Bundespräsidentenwahl als Test: das ist eine durchaus emsthafte Frage auch für die SPÖ, die dann ablesen kann, wie eine Bevölkerung reagiert, die nach 25 Jahren politischen Gleichgewichtgefühls in das kalte Wasser einer linken Schwergewichtigkeit geraten ist. Aber das wäre schon ein Argument für Waldheim. Nützt er es?

Wie es den Anschein hat, wird die Volkspartei den unpolitischesten Wahlkampf ihrer Geechidite führen. Das liegt zum ersten in der Person des Kandidaten, der seinen Abstand von der ÖVP sogar dadurch betont, daß er nie Parteimitglied war. Das liegt zum zweiten in der Konstruktion der Kampagne, die (von einem eigenen Büro am Wiener Rennweg aus) von einer US-Werbeagentur konzipiert ist. Und das liegt zuletzt in der leidigen Situation der ÖVP, mit der ihr Kandidat rechnen muß. Aber das Lächeln des Kandidaten — einem hörenden und fernsehenden Volk präsentiert, mag zuwenig sein, um eine Wediselbewegung auszulösen. Wer lächelt besser — Jonas oder Waldheim? Wer speist mit Präsidenten und Königen bessä>>r — Jonas oder Waldheim? Wer durchschneidet das Eröffnungsband einer Autobahn souveräner — Jonas oder Waldheim? Das wäre nämlich die Situation in einem Nur-Persönlichkeitswahl-kampf, die sich dem fernsehenden Wohlstandsbürger zwischän Feldkirch und Mattersburg ins Haus stellt. Denn von Politik wUl kein Kandidat bisher reden — und wenn schon, dann nur am Rande... So mag die Frage, die sich Dr. Waldheim gar nicht stellte, dodi Entsched-dungscharakter haben: kann er — ohne ein Wort darüber zu verlieren

— die Gleidigewichtsparole zu seinen Gunsten bemühen? Kann er — ohne einen hochpolitischen Wahlkampf — selbst ÖVP-Wählem klarmachen, daß er einer Minderheitsregierung ein rasches Ende bereiten würde? Denn das ist ja auch der harte Kern der Präsidentschaftswahlen: Wie wird das neue Staatsoberhaupt dem unbefriedigenden Zustand einer Minderheitsregierung gegenüberstehen? Es gibt da — bemüht man die Spieltheorie — mehrere Möglichkeiten:

• Der Bundespräsident löst irgendwann den Nationalrat auf und zwingt die Parteden zu Neuwahlen. Das mag einer euphorischen SPÖ vorsdiwe-ben, die angesichts erfreulicher Mednunasforsdiungsergebnisse eine absolute Mehrheit anpeilen kann.

• ÖVP und FPÖ kommen — vor oder nadi solchen Neuwahlen — zu einer Koalitionsverednbarung, die um so möglicher wäre, je stärker sich das neue Wahlrecht zugunsten der FPÖ auswirkt. Diese Möglichkeit scheint auch ÖVP-Generalsekretär Schleinzer anzupeilen, der sich keine „Emotionen” gegen die FPC leisten will. Was aber satgt der Bundespräsident in einem solchen Fall zur FPÖ?

• Aber was sagt er auch zu einer — erheblich wahrschedmlichereri Koalition zwischen Rot und Blau? Immerhin: noch im April 1970 spukte das Argument von den nicht koalitionsfähigen Freiheitlichen durch die politischen Kulissen. Jonas mag da leicht mit der Tradition seiner Vorgänger bredien. Aber was macht Waldheim? Überdies hat es ja den Ansdiein, als ob ÖGB-Chef Benya nddit so einsam die große Koalition anpeilt. Es dürfte in der SPÖ noch einige Diskussionen um Wert und Möglichkeiten einer solchen Lösung geben.

Der Umengang vom April ist also — nimmt man alles in allem — audi ein Entscheidungsgang für Kredsky und sein Team. Wer immer den Kampf um die Hofburg gewinnt: die Frage nach der Konstruktion der nächsten Regierung bleibt dem neuen Präsidenten nicht erspart. Das neue Wahlrecht hat da die Wedchen versetzt. Die absolute Mehrheit ist un-wahrscheinlidi geworden, die Minderheitsregierung könnte vor einem Budgetdefizit voraussichtlich schon im Herbst 1971 die Waffen strecken.

Das Amt des Bundespräsidenten ist in einer soldien Situation daher erheblich poUtisdier geworden — der Präsident hat einen (von mehreren) Schlüsseln in seiner Hand. Bis April wird man allerdings das Spekulieren lassen können. Die SPÖ wird selbstbewußt Franz Jonas auf den Sdiilden durch die Lande traigen und darin so etwas wie eine Generalprobe sehen.

Die ÖVP wird alles mobilisieren müssen. Es soll aber schon Leute geben, die durch die Reihen schleichen und verkünden, daß Waldheim chancenlos ist. Und es soll andere geben, die gar keinen Sieg wollen

— weil es Spekulationen rund um Personalkombinationen stört...

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