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Unrecht triumphiert

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Von dem tschechischen Dramatiker Ivan Klima kennen wir Stücke, die durch das vorgeführte Geschehen direkt die Zustände in totalitären Staaten anprangern. Davon ist er in dem Zweiakter „Spiele“, der im Kleinen Theater im Konzerthaus zur Uraufführung gelangte, abgegangen. Ein scheinbar wenig belangvoller Vorgang wird dargestellt, bei dem sich aber sehr eindeutige Aussagen ergeben.

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Von dem tschechischen Dramatiker Ivan Klima kennen wir Stücke, die durch das vorgeführte Geschehen direkt die Zustände in totalitären Staaten anprangern. Davon ist er in dem Zweiakter „Spiele“, der im Kleinen Theater im Konzerthaus zur Uraufführung gelangte, abgegangen. Ein scheinbar wenig belangvoller Vorgang wird dargestellt, bei dem sich aber sehr eindeutige Aussagen ergeben.

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Im Heim eines Staatsanwalts werden mit Freunden und Bekannten Spiele als „Oase des Friedens“ veranstaltet. Sie beginnen mit einem Kinderspiel, dann aber ist schon pantomimisch der Satz darzustellen: „Die Freiheit wird von Gesetzen vergewaltigt.“ In der Folge spielen sie Geiselnahme, Gerichtsverhandlung, Hinrichtung. Man spürt, das sind Menschen in einem totalitären Staat, die sich ihre persönlichen Bedrängnisse, von denen zu sprechen sie mit einer einzigen Ausnahme vermeiden, abzureagieren versuchen.

Einer von ihnen, ein Soziologe, schrieb ein Buch, in dem der Satz vorkommt: „Die freiesten Köpfe sitzen oft auf Körpern mit gefesselten Händen.“ Ein anderer spricht von Zuständen, bei denen als gültig erklärt wird, was nicht geschehen ist, und geleugnet, was doch geschah. Und der Staatsanwalt — die Ausnahme — beklagt sich darüber, daß es nicht in seiner Macht stehe, Urteile abzuändern, die vollstreckt werden sollen. Unschuldige beurteilt man besonders hart, erklärt er, weil sie durch ihre Existenz die „Unvoll-kommenheit unseres Vorgehens“ verurteilen. Das sind brisante Sätze, zwischendurch gesagt, aber auf sie kommt es an. Brisant in totalitärem Bereich.

Im Schloßpark nebenan wurde ein Mädchen ermordet. Ein Architekt, im Spiel „Gerichtsverhandlung“ dieses Mordes beschuldigt, könnte allenfalls tatsächlich der Mörder gewesen sein, Anzeichen lassen die Vermutung zu. Es wird nicht geklärt. Diese vage Annäherung an die Realität soll wohl vorsichtig andeuten, daß es sich bei Klimas Spiel insgesamt doch nicht nur um ein Spiel handelt.

In totalitären Staaten könnte dieses Stück sehr packen, dort wird man es aber wohl keineswegs aufführen. Der Autor erklärt, es sei, wenn er richtig zähle, das fünfte, das er nicht sehen könne. In der Aufführung bei uns ergibt sich kaum Brisanz. Auf der kleinen Bühhe der „Josefstadf'-Dependance gewinnt das Stück unter der Regie von Jochen Brockmann in der kultiviert wohnlichen „Halle“ des Bühnenbildners Wolfgang Müller-Karbach durch die gesellschaftlichen Vorgänge die Reize eines Boulevardstücks. Wirksam verkörpern Herbert Kersten, Ludwig Hirsch und Jochen Brockmann, wie auch Elfriede Ram-happ und Marianne Chappuis die wichtigeren, vom Autor kaum sehr profilierten Rollen.

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Im Jahre 1867 erschien der Roman „Therese Raquin“ von Emile Zolo, den er später selbst dramatisierte. Es entstand ein in seinem Naturalismus besonders dichtes Stück, das sich den damaligen literarischen Bestrebungen zuordnete. Therese und ihr Liebhaber Laurent bringen den kränklichen, verbitterten Gatten Thereses um, verfallen in Gewissensqualen. Schließlich treibt die Mutter des Ermordeten — Sie ist völlig gelähmt, seit sie die Wahrheit über das Ende ihres Sohns erfuhr — die beiden einzig durch ihre anklagenden Blicke in den Tod. Präzise Sachlichkeit in der Darstellung. Was entsteht? Ein Gewissensthriller um ein Alltagsgeschehen — siehe unsere Tagesblätter — ohne besondere Sicht, die heute packen könnte. Sainte-Beuve stellte, den Roman betreffend, erstaunlicherweise die Frage, ob es Ziel sei, „vulgäre Naturen zu behandeln, denen keine erfreulichen Seiten abzugewinnen seien.“ Das ist allerdings wohl kaum ein Kriterium.

Nun hat Michael Voysey eine Bearbeitung — treffliche deutsche Fassung durch Hilde Spiel — geschaffen, die derzeit in der „Tribüne“ gespielt wird. Da heiraten die beiden, die Mutter kann wieder sprechen, erstattet keine Anzeige, überantwortet sie der Hölle gegenseitiger Vorwürfe, und alle sitzen wieder mit dem biederen Freund der Mutter, einem Polizeikommissar, der nichts durchschaut, gemütlich bei Tisch. Mit diesem bitter-ironischen Schluß erhält das Stück Gegenwartsbedeutung: Nie gab es so viele Mörder unter uns,, die von der Öffentlichkeit nicht als solche erkannt sind.

Unter der Regie der Polin Romana

Pröchnicka gibt es eine gut abgestimmte Aufführung mit Ingrid Burkhard als verbitterte Therese, Hubert Kramar als ihr haltloser Liebhaber, Franz Suhrada als zänkischer Gatte, Trude Marlen als herzliche und dann versteinerte Mutter, Kurt Radlecker als Polizeikommissar, der alles in bester Ordnung wähnt. Wolfgang Müller-Karbach entwarf — auch hier eingesetzt — das schlichte Bühnenbild.

Diesmal gibt es im Theater am Schwedenplatz Geschichtsunterricht: Der Einmanndarsteller Herbert Lederer erzählt unter dem Titel „Kol-schitzky oder Die Zerstörung einer fast 300jährigen Legende“ anschaulich, wie es bei der Belagerung Wiens anno 1683 zuging und berichtigt dabei so manche falsche Vorstellung. Kolschitzky war keineswegs alleiniger Botengänger durch die feindlichen Lager zu Karl von Lothringen. Es gab sogar an einzelnen Stellen einen illegalen Handel mit den belagernden Türken. Kolschitzky aber, tüchtiger Geschäftsmann, rühmte sich seiner „Heldentat“ um mancherlei Begünstigungen zu erhalten, so auch eine Kaffeehauskonzession, obwohl es schon sechs oder sieben solcher Lokale gab. Lederer verwandelt sich kurz mit Kopfbedeckung und Bart in diesen Händler und späteren Kaffeesieder, in Kara Mustapha, Starhemberg, berichtet über die Habgier mancher hoher Herren und setzt sich dafür ein, daß es wieder eine Michailovic-Gasse in Wien geben solle — sie wurde umbenannt —, denn dieser Diener Kolschitzkys war mehrfach, nicht nur einmal, Überbringer wichtiger Meldungen. Möge dieser Appell Erfolg haben.

Aus Anlaß der 100. Wiederkehr von Alfred Polgars Geburtstag fand am 19. d. M. im Akademietheater eine Matinee statt, bei der nach einer Würdigung dieses Meisters der geschliffenen kleinen Prosa durch Friedrich , Heer die Damen Lotte Ledl, Susi Nicoletti, Alma Seidler,; wie die Herren Erich Auer, Paul Hoffmann, Otto Kerry, Fritz Muliar und Alexander Trojan Essays von Polgar vortrugen, die Heer und Karl Eidlitz ausgewählt hatten. Von einer Schallplatte war die Stimme Polgars zu vernehmen.

Karl Mario Grimme

• Die Werner-Burg-Galerie der Stadt Bleiburg ist wieder täglich von 10 bis 12 Uhr und von 16 bis 18 Uhr geöffnet. Neben dem festen Bestand der Galerie, die in neun Räumen 142 Arbeiten zeigt, werden in den zwei Räumen X und XI, die im Vorjahr für die Veranstaltung von Wechselausstellungen hinzugekommen sind, 21 neue, bisher noch nicht ausgestellte Arbeiten gehängt, von denen die meisten aus diesem Jahr stammen.

• Der Schauspieler Gustav Elger bittet um Berichtigung, da in dem Artikel „Später Epilog auf die Insel“ in Nr. 41 der FURCHE sein Name fälschlich mit Egler statt Elger genannt wurde.

EXLIBRIS

Am kommenden Samstag, dem 25. Oktober, werden in ö 1 von 16.05 bis 17 Uhr folgende Bücher besprochen: Thomas Bernhard: Korrektur; Hannes Gasser: Indianer, du mußt sterben; Otto R. Croy: Wien 1945; Sheila Graham/Gerold Frank: F. Scott Fitzgerald — meine große Liebe; Max Gallo: Im Gefolge der Sieger; Verena Rentsch: Anflug von Grün; Gern von Cziffra: Kauf dir einen bunten Luftballon; Helmut Qualtinger: Der Mörder und andere Leut'. Außerdem ein Gespräch mit dem Verleger Tillebier, Langenscheidt-Verlag, über „Das größte Wörterbuch der Welt“ und ein Gespräch mit Verlagsdirektor Schäfer von der Verlagsgruppe List/Süddeutscher VerlaglSüdwesti.-Verlag (Änderungen vorbehalten).

Berichte über die Theater- und Konzertereignisse der Woche hören Sie in der von Volkmar Par-schalk religierten Sendung jeweils am Sontag in O 1 von 15.10 bis 16 Uhr.

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