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Unruhe nach dem Jännersturm in Kairo
In der ägyptischen Führung scheint man sich bis heute noch nicht darüber im klaren zu sein, wie wenig repräsentativ das aus den ersten freien Wahlgängen vom Oktober und November des Vorjahres hervorgegangene neue Parlament ausgefallen ist. Die dort mit einer Zweimannfraktion unter 370 Abgeordneten vertretene Koalition von Nasseristen und Marxisten-Kommunisten hat mit der Januar-Revolte bewiesen, wie stark diese Minorität in Ägyptens städtischen Zentren ist. Hingegen muß die Macht von 275 Vertretern der von Sa- dats Schwage r Mahmud Abu Wafia gelenkten und inspirierten .Arabisch-Sozialistischen Partei Ägyptens”, auf die sich das Kabinett Salem stützt, mit einem Verkleinerungsglas betrachtet werden. Die aus der alten Einheitspartei „Arabische Sozialistische Union” (ASU) über die Zwischenphase einer sogenannten „Tribüne der ASU” hervorgegangene Regierungspartei hat in der Januarkrise deshalb so hilflos agiert, weil ihre Majorität nicht durch unbeeinflußten Volksentscheid, sondern teilweise durch organisierte Stimmen aller im Staatsapparat Eingebauten oder von diesem Abhängigen und durch das machtpolitisch unbedeutende Votum der sich mit jeder bestehenden Ordnung abfindenden Landbevölkerung zustande gekommen ist.
Kaum bessere Zensuren hat das von den nur zwölf liberalen Abgeordneten - sie vertreten das gesamte Großbürgertum, die freien Berufe und alle an einer künftigen Demokratie und Wirtschaft nach westeuropäischem Vorbild interessierten Kräfte - gebildete ägyptische „Schattenkabinett” unter der Führung von Ahmad Sąjjed Darwisch eingeheimst. Obwohl es über die dieser „Rechten” Ägyptens nahe stehenden Kairoer Tageszeitung „Al- Achbar” regelmäßige und scharfe Kritik an der Regierungspolitik versprochen hatte, blieb diese Kritik sowohl angesichts der krassen Teuerungs- wie später der Polizeimaßnahmen aus. Obwohl sich der liberale Parteichef Mustafa Kamel Murad während der letzten Wahlkampagne recht unabhängig und kritisch gegeben hat, muß er heute zu einer Art „konzertierter Opposition” gezählt werden. Nicht umsonst hat ihn Präsident Sadat - nicht etwa eine Abstimmung in der Volksvertretung (Magless asch- schaab) - zum Führer der gesamten oppositionellen Fraktionen gemacht, obwohl auf diese Position der unabhängige Mahmud al-Kadi mit seinen 58 Deputierten viel größeren Anspruch gehabt hätte, Außerdem ist den Liberalen’ von Anwar as-Sadat als erster Partei die Herausgabe eines eigenen Wochenblattes mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren gestattet worden, während sich nicht nur die linke „National-Progressive Sammlungsbewegung”, sondern auch die Unabhängigen noch immer mit vagen Zusicherungen einer späteren Zulassung ihrer Parteipresse begnügen müssen.
Die Unabhängigen repräsentieren hauptsächlich die Sonderinteressen bestimmter lokaler, religiöser oder beruflicher Gruppierungen und sind daher bei den Januarwirren nicht als Alternative zur Regierungspolitik in Erscheinung getreten. Von seinem Recht zur Ernennung zehn zusätzlicher Abgeordneter hat das ägyptische Staatsoberhaupt zugunsten prominenter Exponenten seines „Establishment” Gebrauch gemacht, unter ihnen Mustafa Chalil, Generalsekretär der weiter als eine Art von Dachverband der drei neuen Parteien dahinvegetierenden ASU, der wieder zum
Minister aufgerückte „Paradechrist” des Regimes, Albert Barsum Salama, und die heute den außenpolitischen Parlamentsausschuß leitende Leila Takia.
Es muß Präsident Sadat zugute gehalten werden, daß er sich von der Revolte zu keiner Aufhebung seiner Reformen mit dem Ziel eines Mehrparteiensystems und parlamentarischer Diskussionsfreiheit verleiten ließ. Allerdings sind seit dem letzten Januardrittel wieder einige Rückschritte in Richtung auf Polizeistaat und Reglementierung der inländischen Informationsmedien festzustellen. Die freie Berichterstattung der Kairoer Ausländskorrespondenten ist hingegen nath wie vor gewährleistet, wenn auch die Kontrolle einer exakten Nachzensur aller ausgehenden Berichte eingeführt und die Genehmigung des im Mai 1976 im Zuge der allgemeinen Liberalisierung gegründeten Verbandes der Kairoer Auslandsjoumalisten auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Diese an die Verhältnisse vor Sadats „Berichtigungsrevolution” vom Mai 1971 unter dem damaligen Innenminister Schaarauwi Gomaa gemahnenden Rückschläge gehen erstaunlicherweise mit dessen vorzeitiger Haftentlassung und der Wiedereinstellung aller damals in den vorzeitigen Ruhestand versetzten Beamten der staatlichen Informations- und Propagandamaschinerie Hand in Hand. Auch die Verurteilung von Exkriegsminister General Muhammad Ahmad Sadek, Sadats Hauptverbündeten vor sechs Jahren, zu einem Jahr bedingten Kerkers wegen angeblicher Verwicklung in eine alte Folterungsgeschichte dürfte alles andere denn ein Zufall sein.
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