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Unruhige Zeit

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Verwunderung, Empörung, Zorn, Klag« und Anklage … vielleicht aber auch das Gefühl der Befriedigung, der nicht ganz lauteren Genugtuung darüber, es ja immer schon vorausgeahnt zu haben …

Mögliche Reaktionen in Wort und Stimmung auf die Wahrnehmung von Vorgängen auf der Welt, bei uns daheim und anderswo. Auf Informationen vom großteils vermeidbaren Hungerelend in der Welt, von sozialen Ungerechtigkeiten, von Unterdrückung der Gewissens, von Folterung, von Kindesmißhandlung, von der Tötung von Kindern im Mutterleib, von Kriegen, von Macht- und Hab-Sucht, von Konsumterror, von Korruption, angesiedelt im Umfeld von Ignoranz und Zynismus, von Abwirtschaften wirklicher oder vermeintlicher Ideale, vom Niedergang vormaliger Leitbilder und Utopien (auch sie nur menschlich, allzumenschlich), vom Hand-an- sich-Legen alter und vor allem junger Menschen (in all den traurigen Varianten der Selbstzerstörung), von der Ohnmacht und Müdigkeit der - noch teilweise - Guten.

Das Leiden wächst, denn wir werden nicht nur materiell, sondern ganz von selbst auch seelisch anspruchsvoller, leichter verletzlich, weniger widerstandsfähig, Klagen und Anklagen erfüllen die Öffentlichkeit.

Immer die anderen, Aufklärungen ja - aber immer zu Lasten anderer. Keine Erkenntnis des Menschen. Braucht es wirklich einen Teufel? Diesen Teufel, den die Schrift des Alten Bundes den großen Ankläger und Entlarver der Menschen nennt?

Die Formen der Unaufrichtigkeit werden immer subtiler, immer komplizierter, immer mehr verschleiert. Selbst die Offenheit hat schon etwas Zweideutiges, wirkt berechnend.

Empfindsame Menschen - und wir finden sie in allen Gruppierungen - werden widerborstiger oder resignierter, fühlen sich immer mehr unbe- haust.

War es aber nicht zu allen Zeiten so? Warum dann die große Verwunderung? Diese Verwunderung hat etwas naiv- Modernes.

Seit Jahrhunderten haben einzelne Menschen, dann größere Gruppen, schließlich ein immer wachsender Teil der abendländischen Menschheit, auch in der Kirche, die Erfahrungswirklichkeit Erbsünde, Gnade, Erlösung, Opfer, ja auch den Tod so verdrängt, daß davon nur mehr schlecht gepredigte Worthülsen übrigbleiben, die nicht mehr begriffen werden.

Unsere Produkte haben uns dahin gebracht, uns selbst nicht mehr zu verstehen, die Grundwirklichkeiten menschlichen Daseins nicht mehr zu begreifen. Aber an den Leiden, die sich nicht verscheuchen lassen, können wir erkennen, wer wir sind.

Dafür ist es aber immer höchste, 'letzte Zeit' Erst dann sind die Haltungen möglich, die so viele, vor allem auch Jugendliche ersehenen: Wahrhaftigkeit, Solidarität, Opferbereitschaft, Versöhnung, Bescheidenheit, Achtung vor der Würde jedes Menschen, Wohlwollen, ja vielleicht auch der Humor, der immer dort fehlt, wo Menschen satt, gleichgültig oder zynisch geworden sind.

Weil verdrängtes Leid böse macht und abstumpft; darum muß Leid erkannt und zur Sprache gebracht werden. Auch das geistige Leid (das gibt es eben beim Menschen). Wer, wenn nicht die Kirche Christi soll und kann der Ort sein, an dem der ganze Mensch und sein ganzes, tieverwurzel- tes Leid wieder zur Sprache gebracht wird?

Erst dann kann man dem Menschen zumuten, daß er sich ändert. Zum Guten. Sich hinwendet, zu den Menschen und zu Gott, dessen Bild und Gleichnis er ist. Sich erkennt als Pilger auf Vollendung, für die er Zeichen setzen kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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