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„Uns selbst treu bleiben“

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Am 5. Mai dieses Jahres ist es 30 Jahre her, daß der Europarat eingerichtet worden ist. Dieses Datum gibt Anlaß, einige Gedanken dem derzeitigen Europa zu widmen.

Europa, gesehen als eine Einheit, nicht nur in geographischer Beziehung, sondern auch als Wiege der auf der ganzen Welt heute angestrebten Zivilisation und als Quelle einer Vielfalt von kulturellen Erscheinungsformen!

Die vornehmliche Betrachtung der in der Weltpolitik wirksamen Machtblöcke, die dauernden berechtigten Klagen über die stets aufflackernden Zwistigkeiten und grausamen Auseinandersetzungen in den verschiedenen Teilen der Welt und die ungewohnte und unverdaute Veränderung der Landkarte Europas lassen die Bedeutung unseres Kontinents oft zu Unrecht vergessen. Die Gewohnheit, die Vergangenheit nur aus dem Blickwinkel der heutigen Entwicklung heraus zu beurteilen, läßt uns gerade das 18. und 19. Jahrhundert in seiner Bedeutung für die Gestaltung des 20. Jahrhunderts ebenso gerne vergessen wie das Wirken Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Es kann jedoch darüber kein Zweifel bestehen, daß dieses vielgeschmähte Europa zunächst Ausgangspunkt der Besiedlung der heutigen beiden Amerika war und daß sowohl der englischsprechende Norden wie der lateinamerikanische Süden dieses Doppelkontinents trotz Zuwanderungen aus Afrika und teilweise auch Integrierung der Urbevölkerung europäischen Ursprungs sind; nicht nur was die Menschen anbelangt, sondern auch was die zivilisatorischen Ansprüche und kulturellen Leistungen betrifft. Daß diese Kinder Europas schon längst ihre eigenständige Entwicklung mitmachen, daß sie auch nicht verschont sind von inneren und äußeren Schwierigkeiten, ändert nichts an ihrer Herkunft.

Ebenso ist der nördliche Teil des asiatischen Kontinents durch die schon Jahrhunderte zurückhegende, weit ausgreifende Politik Rußlands europäisch geprägt und in dieser Form entwickelt worden.

Wir verurteilen heute den Kolonialismus von einst, stellen aber fest, daß sowohl im übrigen Asien, aber auch in Afrika, ebenfalls jene Maßstäbe, die in Europa gesetzt worden sind, sich durchgesetzt haben, gleichgültig, ob das Ideal erreicht wurde oder nicht.

Um das Bild abzurunden, sieht man in Australien und in Neuseeland, im fernen Südosten, eine dem europäisch-englischen Bild angeglichene Bevölkerung und Lebensstruktur.

Wie immer man zu religiösen oder ideologischen Fragen stehen mag, so sieht man, daß die Christianisierung von Europa ihren Ausgang genommen hat und daß die politischen Ideen, die in Europa entstanden sind, auf der ganzen Welt Verbreitung gefunden haben. Natürlich haben diese Ausstrahlungen auch Gegensätzlichkeiten erzeugt und Werturteile darüber zu fällen, ist nicht die Absicht dieser Zeilen, wohl aber die Feststellung, daß Europa in geistiger Beziehung eine Überdimensionierung gegenüber der übrigen Welt auch heute noch hat. Wieviel an Bildung, aber auch an Erfindung, an neuen Impulsen geht immer wieder von Europa aus, auch wenn vieles davon in den mächtigeren USA und in dem schon längst zum eurasischen Staat angewachsenen Sowjetreich, im fernöstlichen Japan oder in dem die Weltbühne betretenden China verwirklicht werden mag!

Paneuropäische Bestrebungen sollten daher zunächst auf dem Bewußtsein der Bedeutung Europas basieren; nicht im Sinne einer Hybridenhaltung, wohl aber in der Erkenntnis der eigenen Bedeutung und der damit verbundenen Verantwortung.

Die durch die modernen Verbindungsmittel Verkehr und Nachrichtenübermittlung, aber auch Sprachkenntnis kleiner gewordene Welt legt auch den Gedanken und das Verlangen nahe, die europäischen Staaten mit ihren gleichen zivilisatorischen Ansprüchen näher zusammenrük-ken zu lassen. Aber bei allen diesen Bestrebungen sollte man sich davor hüten, auf ihre kulturelle Vielfalt zu verzichten. Denn wenn wir heute einen engstirnigen Nationalismus überwunden haben, sollten wir doch unserer Eigenständigkeit und unserer eigenen Werte bewußt sein und in diesem Bewußtsein weiter handeln.

Eine Abstimmung der Länder Europas in ihren Bedürfnissen kann diesen Ländern nur nützlich sein. Ob sich das auf humanitäre, bildungsmäßige und soziale Fragen oder aber auf Fragen der Sicherheit bezieht: wo immer ein Gleichklang im Behauptungswillen erreicht wird, ist auch für Europa viel erreicht. Vor allem aber muß es sich selbst treu bleiben.

(Der Autor ist Präsident von PaneuroparWien)

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