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Unsere Kulturpolitik hat Stiefkinder

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Österreichs Verbindungen zu Lateinamerika sind derzeit, verglichen mit denen anderer europäischer Staaten, eher locker; dies, obwohl Städte wie Wien, Mexico und Lima einst zu einem Reich gehörten, in dem die Sonne nicht unterzugehen schien. Auf die Spuren dieses Reiches stößt heute noch jeder Tourist. Nicht zu vergessen all die Österreicher, die mit Maximilian und Leopoldine als Militärs und Hofstaat nach Mexico und Brasilien gegangen sind, aber auch die Emigranten des Ersten und des Zweiten Weltkrieges, die in den Ländern Lateinamerikas neu verwurzelten, wo Europäer mit Indios, Schwarzen und Mischlingen ohne größere Rassenprobleme leben. Die Geschichte aber hat dort nicht erst vor 100 oder 150 Jahren begonnen, Verwandtes aus einer gemeinsamen Vergangenheit ist immer noch vorhanden.

Seit etwa zehn Jahren bemühen sich verschiedene Stellen und Organisationen, allen voran das Lateinamerika-Institut, Kontakte zu knüpfen, von dem weiterzugeben, wovon wir tatsächlich in Fülle haben, sei es nun Kunst, Wissenschaft, Know-how oder ganz einfach, aber sicher das Schwierigste von allem: Entwicklungshilfe vom untersten Start weg, wo der Mensch beginnt, ein Mensch zu sein.

Die Geldmittel sind winzig, der Start ist oft schwer und kann nur mit großem Idealismus gelingen. Ohne ihn könnte dort auch nicht das kleinste Werk begonnen oder fortgeführt werden. Es sind nicht mehr die Konquistadoren, die heute hingehen. Sie erobern kein Land, können keinen Profit herausschlagen, sie bringen von dem, was wir diesen Ländern schuldig geblieben sind.

Am leichtesten geht die Arbeit vonstatten, wo bereits Verträge geschlossen wurden. Mexico ist das einzige Land Lateinamerikas, das mit öster-

reich ein Kulturabkommen laufen hat. Nicht nur Pianistenkurse von Jög De-mus in der Hauptstadt, oder ein niederösterreichisches Bläserquintett, das die Provinzstädte bereist, oder das Kammerorchester, das kürzlich unter dem in Wien ausgebildeten Mexikaner Fernando Avila eine vierzehntätige

Tournee durch Mexikos Städte unternahm. Auch die Albertina wird noch in diesem Jahr eine Ausstellung hinüberschicken, Friedrich Hundertwasser hat Ende Januar im Museo Arte Mo-derno eine Ausstellung seiner Werke eröffnet. Das Kulturabkommen sieht Gegenseitigkeiten vor, so werden Mexikos berühmte Muralisten ihre Werke in Wien zeigen.

In erster Linie sind in Lateinamerika die Universitäten die Empfänger und Vermittler von Österreichs kultureller Arbeit. Allen voran sind die Ethnologen am stärksten gefragt, sie hätten oft große Chancen, auf lateinamerikanischen Universitäten rasch Karriere zu machen - der gesamte Subkontinent bietet noch große, völlig unerforschte Möglichkeiten. Die Ethnologen sind es

auch, die zumeist ein Entwicklungsprogramm für die von ihnen untersuchte Region ausarbeiten und oft auch selbst durchführen.

In Ekuador hat Dr. Fritz Trupp an der Universität von Quito eine Lehrkanzel für Ethnologie aufgebaut, vor einem Jahr ist ihm Dr. Franz Haller als Assistenz-Professor zugeteilt worden. Sie stellen gemeinsam ein indianisches Filmarchiv zusammen und sammeln alles noch Erreichbare für eine wissenschaftliche Dokumentation über die Indios in Ekuador, wie sie vor dem Erdölboom gelebt haben. Die Mittel und Aufenthaltskosten werden bis Ende 1979 von Österreich bereitgestellt. Die Reisekosten übernahm die Organisation Lateinamerikanischer Staaten (OAS).

In Venezuela hat Prof. Angelika Politik-Eitz an der katholischen Universität von Caracas ein ethnologisches Programm erstellt und es mit Entwicklungsarbeit im untersuchten Gebiet gekoppelt. In Brasilien sind an der Universidad Federal Beiern do Parä gleich drei österreichische Professoren tätig, Soziologen und Hydrogeolo-gen.

österreichische Ärzte sind trotz gewisser Sprachschwierigkeiten begehrte wissenschaftliche Referenten auf großen medizinischen Kongressen, wie der Laryngologe Primarius Dr. Hans Schobel, der mit seinen neu-

entwickelten Operationsmethoden stets eine große Zuhörerschaft anzieht. Er hat erst kürzlich in Buones Aires beim ersten „Filmfestival“ des wissenschaftlichen Films für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde ohne jegliche Hilfe seines Ministeriums für seine Arbeiten die Silbermedaille und drei Anerken-nungsmedailen erringen können. Prof. Dr. Franz Burki von der Tierärztlichen Universität in Wien geht auf Reisen, um seine ehemaligen Absolventen in Lateinamerika zu besuchen, Vorträge zu halten und ihnen Auffrischungsseminare zu halten.

Auf einem ganz anderen Gebiet arbeitet der Architekt Franz Roth: Er restauriert alte Kolonialkirchen. Derzeit setzt er in San Ignacio de Velasco in Ostbolivien mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung eine alte Jesuitenkirche wieder instand. Auf diese Weise erhalten die Dorfbewohner nicht nur Kenntnisse in der Zimmermannskunst und im Hausbau, auch ihr altes Kulturgut bleibt erhalten.

Eine ganz außerordentliche Arbeit kann sich in Mexiko an der Universität der Jesuiten in Guadalajara entfalten. Dort leitet der österreichische Physiker Dr. Gerhard Kunze die theoretischen Vorlesungen und Übungen und arbeitet gleichzeitig an einem Forschungsprojekt für eine preiswerte Erzeugung von Düngemitteln aus Abfallprodukten, außerdem bemüht er sich um die verbilligte Herstellung voh Kühlschränken und Baumaterial. Prof. Gerda Kubier arbeitet bereits seit Jahren mit der Universität Guadalajar zusammen, obwohl ihre Missionsstation Bachajön im südlichen Urwaldgebiet von Chiapas hegt. Sie bildet dort Dorfhelfer, Katechisten und Lehrkräfte für Schulungskurse aus.

Die Universität in Guadalajara hat ein eigenes Projekt CECOPA eingeleitet, das die Beziehungen zwischen dem wissenschaftlichen Institut und dem ländlichen Raum herstellt. Die Studenten leisten praktische Entwicklungsarbeit. Der Lehrplan ist ganz auf die Praxis eingestellt. An dieser Universität arbeitet eine Handvoll Österreicher weitgehend selbständig. Sie sind mit ihrer Lehrtätigkeit direkt in die Entwicklungsarbeit einbezogen.

Aushängeschild Österreichs für kulturelle Entwicklungshilfe in Lateinamerika ist die österreichische Schule in Guatemala. Am „Instituto Austriaco Guatemalteco“ unterrichten derzeit 55 Lehrpersonen 1000 Schüler. 20 Lehrer werden von Österreich bezahlt. Der Bedarf ist enorm, so daß sich der guatemaltekische Schulverein vor vier

Jahren entschlossen hat, die Schule großzügig auszubauen. Ein Drittel der Baukosten wird von Österreich übernommen. Wie Direktor Günther Edelmann berichtet, funktioniert die Zusammenarbeit mit den Eltern außerordentlich gut, da diese in einem Land, in dem die Bildungsmöglichkeiten so spärlich vorhanden sind, viel stärker Anteil an der Ausbildung ihrer Kinder nehmen und sich auch wesentlich intensiver engagieren als in Europa. Die Schulatmosphäre wird daher von allen Lehrern auch maximal ausgenützt, um auf die Familien der Kinder Einfluß zu gewinnen. Das Instituto Austriaco Guatemalteco ist die erste und beste Schule am Platz. Es hat aber nicht den Ehrgeiz, kleine Österreicher in Guatemala zu erziehen. Es leitet nicht nur eine Ausbildungsfunktion, sondern auch eine soziale und moralische. Im Unterricht sollen die Schüler so weit gebracht werden, daß sie die Mißstände im eigenen Land sehen und auch bekämpfen.

Die Schulverwaltung in Österreich sieht in der österreichischen Schule in Guatemala ihr Musterbeispiel. Sie ist daher heute an anderen Projekten, mögen sie noch so sehr Erfolg versprechen, nicht interessiert. So wurden auch die Subventionen für Prof. Elfriede Poll eingestellt, die an der Universität San Carlos in Guatemala City an der pharmazeutischen Fakultät ein biologisches Institut eingerichtet, einen botanischen Garten angelegt und seit zwei Jahren begonnen hatte, sich Assistenten heranzuziehen.

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