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Unsere Lebenslüge heißt: „Das ist so lange her4 6

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Man muß die Sache nüchtern beim Namen nennen: Es besteht die Gefahr, daß sich der österreichische Nationalrat demnächst mit einem Dritten Präsidenten präsentiert, der Mitglied einer auf Massenmord spezialisierten SS- Einheit war, der Fragen nach seiner Funktion in dieser Mördertruppe ausweichend beantwortet und der, neben nur 30 anderen unter 5000 SS-Soldaten, mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde.

Ich finde es sehr traurig, daß die absolute Unmöglichkeit, Friedrich Peter zum Dritten Präsidenten des österreichischen Nationalrates zu machen, angesichts dieser Tatsachen überhaupt noch einer Begründung bedarf.

Natürlich muß einer, gegen den ein so grauenhafter Vorwurf erhoben wird, Gelegenheit bekommen, zu sagen, daß alles anders war.

Er muß dann aber auch sagen können, wie es war.

Bruno Kreisky hat es dem Friedrich Peter erspart, sich dazu zu äußern. Zur Auffrischung des Gedächtnisses: Simon Wiesenthal hat am 9. Oktober 1975 nicht mehr, aber auch nicht weniger behauptet als Peters Zugehörigkeit zu jener 1. SS-Infanteriebrigade, deren Verwendung an der Front von Himmler abgelehnt wurde, weil er nur diese Truppe und zwei weitere SS-Infanteriebrigaden „zur Säuberung der rückwärtigen Gebiete” zur Verfügung habe.

Wer nicht weiß, was das heißt, möge sich dem Studium der einschlägigen zeitgeschichtlichen Li teratur widmen, bevor er auf dem Unterschied zwischen Partisanenbekämpfung und dem Massenmord an Juden besteht.

Bruno Kreisky brachte die Erörterung des Falles Friedrich Peter in ein falsches Geleise, als er sofort Wiesenthal angriff und dessen Motive in Zweifel zog.

Eingeschobenes persönliches

Bekenntnis: Ich hatte, seit ich wählen darf, bei jeder Wahl in erster Linie die Unverschämtheit im Auge, mit der gerade eine Großpartei die andere beim Buhlen um die Stimmen der -mehr oder weniger „Ehemaligen” übertraf. Für mich, Wechselwähler mit großer Sympathie für Kreisky, war dieser unwählbar, nachdem er Wiesenthal zusammengedonnert und die Frage nach Friedrich Peters Vergangenheit vom Tisch gewischt hatte.

Meiner Ansicht nach hat Kreisky damals das Fundament erschüttert, auf dem die Zweite Republik errichtet ist. Er hat damit vielleicht auch Peter selbst mehr geschadet als genützt. Vielleicht wäre er in der Lage gewesen, zu erklären, wo er war, während seine Einheit Partisanen und Juden erschoß oder in die Sümpfe trieb.

Vielleicht war er wirklich auf einem langen Heimaturlaub. Vielleicht war er in einer Funktion tä tig, die ihn von den Erschießungsstätten fernhielt. Vielleicht hat er sich „gedrückt” — das hätte als ehrenhaft zu gelten. Vielleicht hat Peter sein Eisernes Kreuz einer militärischen Heldentat zu verdanken.

Ein schweigender, sich mit vagen Ausflüchten, wie, er sei „lediglich als Frontkämpfer eingesetzt gewesen”, aus der Affäre ziehender Friedrich Peter hat selbstverständlich als untadeliger Staatsbürger wie jeder andere zu gelten. Bloß in der Politik hat er nichts verloren.

Es geht hier nicht um Haß, nicht um Vergeltungsdenken, sondern um Ethos in und das Ethos der Politik und um die Glaubwürdigkeit einer Republik. Ihretwegen hat ein Mann, der Mitglied einer Spezialeinheit für Massenmord war und über sein Tun und Lassen nicht Rechenschaft legen mag, in einer repräsentativen Funktion dieses Staates so wenig verloren, daß es meines Erachtens mit einem freiwilligen Zurückstehen nicht getan wäre. Vielmehr wären ihm die von Anstand und politischer Hygiene gebotenen Grenzen zu weisen. Aber gibt es die noch?

In der Formel „Das ist doch Geschichte” liegt die Lebenslüge eines Gemeinwesens. Aber die Taten der 1. SS-Infanteriebrigade können erst Geschichte sein, wenn den letzten Tätern, den letzten Anklägern und den Letzten, die damals nichts wissen wollten und heute sagen, das alles sei doch längst Geschichte, Erde den Mund verschließt. Im Tod vereint sind wir Geschichte. Vorher nicht.

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