6936402-1983_11_17.jpg
Digital In Arbeit

Unsere Umwelt und die Technik

19451960198020002020

Der „Rolle der Technik in der Umwelt des Menschen" giltderzeiteine Vortragsreihe in der Volkshochschule Wien-Nord. Wie sieht der Rektor des Mitveranstalters TU Wien dieses Thenna?

19451960198020002020

Der „Rolle der Technik in der Umwelt des Menschen" giltderzeiteine Vortragsreihe in der Volkshochschule Wien-Nord. Wie sieht der Rektor des Mitveranstalters TU Wien dieses Thenna?

Werbung
Werbung
Werbung

„Technik" hat in der Umwelt des Menschen seit urdenklichen Zeiten eine Rolle gespielt, nicht nur in seiner physischen Umwelt, in seinem naturgegebenen Lebensraum, sondern auch in seiner soziologischen Umwelt, in seinen Beziehungen zu den Artgenossen. Als Lebewesen, das von der Natur in körperlicher Hinsicht eher stiefmütterlich behandelt wurde, dessen geistige Fähigkeiten aber die aller anderen Lebewesen weit überstiegen, begann der Mensch im Laufe der Zeiten zunehmend

Naturkräfte und Naturgesetze zur Erweiterung seiner Lebensmöglichkeiten und seines Lebensraumes, aber auch zur Gestaltung seiner Beziehungen zu den Mitmenschen anzuwenden.

Jeder der verschiedenen Kulturkreise, die im Laufe der Menschheitsgeschichte entstanden und oft Jahrhunderte, ja Jahrtausende hindurch bestanden, hatte seine spezifische „Technik", das heißt spezifische Methoden für die Beschaffung von Nahrung und Kleidung, für Wohnen und Bauen, für Verkehr und Transport, für Übermittlung udn Speicherung von Information sowie — leider — auch für kriegerische Auseinandersetzungen. In den Hochkulturen des alten Ägypten und Babylonien, in den Kulturkreisen der Mayas und In-kas, in den Hochkulturen Asiens, insbesondere im jahrtausendealten chinesischen Kulturkreis, überall gab es eine hochentwik-kelte Technik (über die wir in manchen Fällen, etwa im Fall der Mayas, noch recht wenig wissen).

Auch die Techniken der Vorläufer unserer heutigen Weltkultur, nämlich der Kultur der Antike und der Kultur des Mittelalters, standen auf bemerkenswerter und zum Teil sogar bewundernswerter Höhe — man denke nur an den umfangreichen Seeverkehr der Antike, die Römerstraßen oder an die romanischen und gotischen Dome (übrigens hat sich ein erheblicher Teil der mittelalterlichen Technik in der europäischen Dorfkultur abgelegener Gebiete bis in die erste Hälfte unseres Jahrhunderts herauf erhalten).

Alle diese Techniken hatten trotz ihrer durch die geographischen und klimatischen Bedingungen gegebenen Verschiedenheiten eines gemeinsam: Sie benützten an Naturgesetzen im wesentlichen nur die Gesetze der Mechanik sowie biologische und einfache biochemische Gesetzmäßigkeiten. Die Voraussetzung für die Entstehung unserer neuzeitlichen Technik - wenn man heute über „die Technik" spricht, ist ausschließlich sie gemeint -war die Entstehung der neuzeitlichen Physik, und diese wieder wurde ermöglicht durch die Einführung des Experimentes als methodisches Hilfsmittel (Galilei) einerseits, durch die Entdek-kung der Infinitesimalrechnung (Newton und Leibniz) andererseits.

Meilensteine auf dem Weg der modernen Physik waren die Entstehung der Thermodynamik, der Elektrizitätslehre, der Kernphysik und der Elektronik. Die ihnen entsprechenden technischen Erfindungen — Dampfmaschine und Verbrennungsmotor, Elektromotor und drahtlose Telegraphic, Atombombe und Atomreaktor, Computer und Industrieroboter — prägen zusammen mit den Produkten der angewandten Chemie das Bild unserer heutigen Welt.

In jedem Kulturkreis bestanden enge Wechselwirkungen zwischen der jeweiligen Technik und der natürlichen Umwelt. Es wurde nicht nur die Technik weitgehend durch die Umweltbedingungen beeinflußt — Wüstengebiete erforderten Bewässerungstechnik, Flußsysteme und Küstengebiete erforderten Schiffbau usw. -,.sondern die Technik bewirkte auch umgekehrt große Veränderungen in der Umwelt — Umgestaltung der Landschaftsformen durch Anlegen von Anbauterrassen oder Kanälen, der Vegetation durch Waldrodung und Ackerbau usw.

Es bestanden aber stets auch Wechselbeziehungen zwischen Technik und sozialer Umwelt — die großen Bewässerungssysteme der alten Hochkulturen erforderten eine umfangreiche Bürokratie, die Einführung der industriellen Massenproduktion im 19. Jahrhundert führte zur Entstehung des Industrieproletariats, das Fernsehen änderte die Lebensgewohnheiten vieler Menschen; umgekehrt hat etwa die Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion entscheidend zur Entstehung der Weltraumtechnik beigetragen.

Von den Techniken früherer Kulturkreise unterscheidet sich „die Technik" unserer Zeit durch ihre „Universalität" und durch ihre „Linearität": Während frühere Kulturkreise mit ihrer Teoh-nik nur geringe Teile unseres Planeten berührten und beeinflußten, ist das Feld unserer Technik die gesamte Erde; während die früheren Techniken (wohl notgedrungen) weitgehend an die natürlichen Kreisläufe angepaßt waren und hauptsächlich Naturstoffe verwendeten, treten in unserer modernen Technik als Materialien oder als Abfallprodukte mehr und mehr Stoffe auf, die von der Natur nicht oder nur sehr langsam abgebaut werden und sich daher nicht in die Naturzyklen einfügen, und es werden zunehmend nicht regenerierbare Energie- und Rohstoffquellen verwendet (Technikkritiker sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Plünderung" unseres Planeten).

Unsere Technik bewirkt in der natürlichen Umwelt zunehmend sowohl lokale als auch großräumige und nur langsam oder überhaupt nicht mehr umkehrbare Veränderungen, welche ihrerseits die Lebensbedingungen der heute lebenden Menschen beeinträchtigen.

Und die Auswirkungen der Technik auf die soziale Umwelt führen bei einer zunehmenden Zahl von Menschen zu psychischen Belastungen — es besteht sicher ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vieldiskutierten „Sinnkrise" und den Lebensbedingungen in unserer technisch-naturwissenschaftlich geprägten Zivilisation - und zu einem beständigen Veränderungsdruck im gesellschaftlichen Bereich — die Auswirkungen der Mikroelektronik auf weitere Teile des Sozialgefüges, von der Arbeitswelt über die Verwaltung bis zum Familienleben sind noch kaum abzusehen.

Es kann nun ein abgeschlossenes System jeder Art — Organismus, Ökosystem, Automat usw. -

nur dann stabil sein, wenn es die Fähigkeit zur Selbstregelung besitzt. Auch das System unserer Zivilisation und Kultur kann als abgeschlossenes System angesehen werden. Kann es durch Selbstregelung seine Stabilität bewahren? Bei der Selbstregelung setzen immer dann, wenn eine Systemgröße den für das Gleichgewicht erforderlichen Normbereich über- oder unterschreitet, Vorgänge ein, die die Größe in den Normbereich zurückführen.

Es scheint so, daß die zunehmende Technikkritik, das Auftreten „grünen" Gedankengutes und „grüner" Bewegungen das Einsetzen eines derartigen Selbstregelungsvorganges bedeutet (genauso wie der Aufstieg des Sozialismus im vorigen Jahrhundert ein Selbstregelungsvorgang im Sozialgefüge war), der Systemgrößen, welche durch die moderne Technik in den kritischen Bereich gebracht wurden (Umweltbelastung, Energieverbrauch usw.), wieder auf Normalwerte reduzieren könnte.

Selbstverständlich ist für diesen Regelungsvorgang die Technik selbst unerläßlich und sie ist auch dazu fähig - die großen Erfolge bei der Verbesserung der Wassergüte unserer Alpenseen, bei der technischen Lösung des Problems der Rauchgasentschwefelung, um nur zwei Beispiele zu nennen, beweisen es. Im übrigen ist „die Technik" sicher auch heute nicht die einzig mögliche Art einer Technik, und die weitere Entwicklung der Technik wird nicht zuletzt auch durch den Selbstregelungsdruck geistiger und gesellschaftlicher Strömungen beeinflußt werden.

Ob der Selbstregelungsvorgang unseres Systems tatsächlich funktionieren wird, das muß die Zukunft lehren. Wenn ein System sich aus einem Gleichgewichtszustand zu sehr entfernt, dann nimmt es einen neuen an. Der Ubergang in den neuen Zustand geht dabei nicht selten rasch und unstetig vor sich — der Ökologe nennt einen derartigen Vorgang „Umkippen", der Mathematiker spricht von einer „Katastrophe". Möge es der Menschheit gelingen, einen derartigen Vorgang zu vermeiden!

Der Autor ist ordentlicher Professor für Algebra und Mathematik und derzeit Rektor der Technischen Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung