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„Unsere Zensur ist wirklich blöd“

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Zu den Kulturdenkmälern, die haßerfüllte Beschränktheit während der nationalsozialistischen Herrschaft zerstört hat und die, weil nicht wieder herstellbar, für immer verschwunden sind, zählt der alte jüdische Friedhof, der sich vordem im neunten Wiener Gemeindebezirk, nahe dem heute noch bestehenden jüdischen Spital in der Seegasse, befand. Die durchwegs hebräischen Inschriften dieses Friedhofs reichten von 1303 herauf bis zum Jahre 1783 und wären jetzt der lokal- und kulturhistorischen Forschung für immer entzogen, gäbe, es nicht Verzeichnisse und Spezialwerke, darunter auch eine Arbeit von Ludwig August Frankl, die 1855 als ein „Beitrag zur Althertumskunde Österreichs“ erschien und erstmals auf diese ganz spezielle Fundgrube aufmerksam machte.

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Zu den Kulturdenkmälern, die haßerfüllte Beschränktheit während der nationalsozialistischen Herrschaft zerstört hat und die, weil nicht wieder herstellbar, für immer verschwunden sind, zählt der alte jüdische Friedhof, der sich vordem im neunten Wiener Gemeindebezirk, nahe dem heute noch bestehenden jüdischen Spital in der Seegasse, befand. Die durchwegs hebräischen Inschriften dieses Friedhofs reichten von 1303 herauf bis zum Jahre 1783 und wären jetzt der lokal- und kulturhistorischen Forschung für immer entzogen, gäbe, es nicht Verzeichnisse und Spezialwerke, darunter auch eine Arbeit von Ludwig August Frankl, die 1855 als ein „Beitrag zur Althertumskunde Österreichs“ erschien und erstmals auf diese ganz spezielle Fundgrube aufmerksam machte.

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Wer war Frankl? — Zu seiner Zeit ein angesehener deutscher Schriftsteller und Hebraist, heute kaum noch erwähnt und dennoch wert, der Vergessenheit entrissen und auf den Ehrentafeln Österreichs wieder verzeichnet zu werden, wurde Ludwig August Frankl 1810 zu Chrast in Böhmen geboren. Er studierte Medizin, erkannte aber schon bald seine Fähigkeit, das Wort zu meistern, als lebensbestimmend. 1834 erschienen „Episch-Lyrische Dichtungen“ und „Sagen aus dem Morgenlande“. 1838 wurde er Sekretär und Archivar der Wiener jüdischen Gemeinde. 1841 redigierte er das „österreichische Wochenblatt“, dann, von 1842 bis 1848, die „Sonntagsblätter“, die bald im Rufe standen, die beste belletristische Zeitschrift des vormärzlichen Österreich zu sein. Das Jahr 1848 sah ihn auf der Seite der liberalen Revolution; als Mitstreiter der Studentenlegion wurde er verwundet, verleugnete aber bezeichnenderweise weder während noch nach dem Sturmjahr seine Anhänglichkeit an dfe Dynastie — ein Wesenszug, der ihm mit den meisten österreichischen (und nicht aus dem Ausland importierten) Liberalen jener Zeit gemeinsam war.

Im Jahre 1856 reiste Frankl im Auftrag von Frau Elise Herz, der geborenen Edlen von Lämel, nach Palästina, um dort auf deren Kosten die erste, noch heute bestehende jüdische Volksschule zu gründen, wobei ganz offenbar das österreichische Schulwesen zum Vorbild genommen wurde. Nicht unwesentlich dürfte in diesem Zusammenhang sein, daß der Vater jener Elise Herz, der Prager Großkaufmann Simon Lämel, im Jahre 1811 wegen seiner Verdienste um Österreich während der Franzosenkriege geadelt worden war und sich dann während des Wiener Kongresses in zahllosen Verhandlungen, vor allem mit Wilhelm von Humboldt, für die Gleichberechtigung der Juden in ganz Europa eingesetzt hatte.

Doch zurück zu Frankl. Dieser veröffentlichte über die Eindrücke seiner Reise, die ihn auch nach Griechenland, Kleinasien, Syrien und Ägypten geführt hatte, ein dreibändiges Werk, das unter dem Titel „Nach Jerusalem“ 1858 bis 1860 in Wien und Leipzig herauskam. Unterwegs hatte er in Istanbul den berühmten Omer-Pascha besucht, einen zum Islam übergetretenen Österreicher, der damals Oberbefehlshaber der türkischen Armee war und dem ehemaligen Landsmann Frankl Empfehlungsbriefe an die Gouverneure von Beirut, Damaskus und Jerusalem mitgegeben hatte.

1877 schuf Frankl auf der Hohen Warte in Wien ein jüdisches Blin-deninstitut und wurde dafür von Kaiser Franz Joseph geadelt. Er starb als „Ritter von Hochwarth“ im Jahre 1894. Seinen Erinnerungen, die 1910 von Stefan Hock herausgegeben wurden, läßt sich übrigens entnehmen, daß die bedeutende schriftstellerische Karriere des Medizinstudenten aus Böhmen seltsamerweise mit einem Zornesausbruch des Kaisers Franz ihren Anfang nahm. Das geschah 1832. Frankl hatte dem Kronprinzen Ferdinand seinen Romanzenzyklus „Das Habsburglied“ gewidmet und wollte dieses Buch dem Kaiser Franz persönlich überreichen. Sehr anschaulich schildert er die Audienz und ihre Folgen.

„Ich fand mich eines Februarmorgens um 7 Uhr im zweiten Stockwerk der Hofburg in Wien ein; hier und so zeitlich gab Kaiser Franz I. Privataudienzen. Der diensttuende Kammerherr, der an einem Tischchen neben der Kabinettstüre ein Namensverzeichnis offenhielt, nahm einem jeden Hinzutretenden die seinem Namen im Verzeichnis entsprechende Nummer ab, die tags zuvor in der Geheimen Kabinettskanzlei erteilt worden war, und nun mußte sich jeder in Geduld fassen, bis die Reihe an ihn gelangte, was bei mir erst gegen 2 Uhr nachmittags geschah. Denn alles, was in Uniform erschien, hatte Vortritt; dann wurden Frauen vorgelassen, und die in schwarzem Frack, weißer Halsbinde und weißen Handschuhen Harrenden folgten gewöhnlich erst nach jenen, die etwa in einfacher Bauernoder Bürgertracht erschienen waren, weil man diese nicht glauben lassen mochte, daß sie wegen ihres Anzuges die Letzten seien.

Vor 2 Uhr endlich öffnete sich auch mir die Pforte. Der Kaiser, in der bekannten lichtgrauen Kampagneuniform eines Feldmarschalls, stand in der Mitte eines länglichen, hohen Kabinetts, das durch eine einzige Spiegelscheibe, die in den großen Burghof — jetzt Franzensplatz genannt — ging, Licht empfing. Nach den üblichen drei Verbeugungen an der Tür machte ich einige Schritte vor und sagte: .Euer Majestät! Ich versuchte, einzelne historische Momente aus dem Leben der Regenter Österreichs poetisch darzustellen Ich fürchte nur, daß meine geringe Kraft nicht ausreichte, um' — dei Kaiser unterbrach mich: ,Bin schor zufrieden. No, trägt das Schreiber was?' Ich erwiderte schüchtern ,Wenn man die bescheidenster Wünsche hat, Majestät, so ist noch immer Grund zur Unzufriedenhel vorhanden.' — .Zahlen die Buchhändler so schlecht?' — Es war keir Reflex einer Posa-Stimmung, vielmehr war es die Weltunerfahrenheil eines jungen Menschen, wenn icl antwortete: ,Euer Majestät, die Buchhändler können wohl nicht besser zahlen, denn, wenn ein Buch mi der Firma ,Wien erscheint, genieß' es, der Zensur wegen, keinen Kredit im Inlande, und im Auslande noch weniger.' Des Kaisers bleiche; Gesicht, das durch schneeweiße: Haar noch bleicher erschien, wurdi bei diesen Worten zornrot, sein blauen Augen blitzten auf, und mi starker Stimme rief er, mich fast anfahrend: ,Was Ihr immer mit Euren Ausland habt's!' Er, der bis jetz ruhig mir gegenüber gestanden war ging einmal rasch im Kabinett au und ab und wiederholte noch heftiger die Worte: ,Was Ihr mit Euren Ausland habt's!' Ich stand zu toi erschrocken. Der Kaiser mochte e: bemerken, blieb wieder vor mir stehen und fragte mich ruhig: ,Warun schreiben S' denn nix fürs Burgtheater? Wir zahlen gut!' — ,Eue: Majestät, ich bin noch nicht langi in Wien und kenne die große künstlerische Anstalt kaum. Ich würdi ohne vorausgegangene Studien nich zu schreiben wagen.' — ,Warurn gehr S' dann nicht eini?' — ,Meine Verhältnisse gestatten mir nicht, diesi mir zu teure Kunstanstalt zu besuchen.' — ,Was studieren S' denn? — .Medizin.' — ,No, sein S' fleißig daß man einmal was aus Ihnen machen kann.' Eine Handbewegung, icl war entlassen.

Nach etwa acht Tagen wurde icl eingeladen, mich dem Oberstkäm merer, dem Grafen Rudolph Czernin, vorzustellen. Er empfing mich in einem Saale seines in der Herrengasse gelegenen Palastes mit den Worten: ,Sie haben Seiner Majestät ein Buch überreicht; ich habe den angenehmen Auftrag erhalten, Ihnen dafür eine Hauskarte für das Hofburgtheater zu übergeben. Vielleicht findet sich Ihr Talent angeregt, der Bühne einmal nützlich zu werden und', fügte er lächelnd hinzu, .bessere Honorare als von inländischen Buchhändlern zu empfangen.' “

Damit begann Frankls Beziehung zum Burgtheater, die zeitlebens aufrecht blieb, später auch, als es hiefüi schon längst nicht mehr der kostenlosen Dauerkarte bedurfte. Was ihm fürs erste auffiel, war das damals wie heute bestehende Vorhangverbot. „Wenn der Hof anwesend war“, erzählt er, „hatte sich das Publikum schweigend zu verhalten, Mißfallen auszudrücken war noch strenger verboten. Auch durfte kein Schauspieler vorgerufen werden ebensowenig der Dichter, wenn er ein Staatsbeamter war. Sein Stanc hätte darunter leiden können.“ Das war wenigstens teilweise noch ein-zusehn. Nicht einzusehen aber, besonders für einen jungen wortbegabten Liberalen, waren die im Theater damals täglich und allenthalben spürbaren Eseleien der Zensur Frankl notierte:

„Die Theaterzensur leistete Unglaubliches an geradezu allen gesunden Verstand verhöhnendem Unsinn. So mußte die Bezeichnung ,Hofrat', wenn sie in einem Stücke vorkam, jedesmal in .Kammerrat verwandelt werden, weil sich die österreichischen Hofräte sonst herabgesetzt fühlen könnten. Könif Friedrich II. von Preußen durfte au: dem Theaterzettel nur .Herzog' heißen. Wenn er als .Friedrich dei Große' bezeichnet wurde, mußte ,dej Große' wegbleiben. Geradezu majestätsbeleidigend war ein Strich de: Zensors durch die Phrase in Fried rieh Schillers .Räubern': Franz heiß die Kanaille.' Der Chor in Mozart: ,Don Juan': ,Es lebe die Freiheit mußte lauten: ,Es lebe die Fröhlich-. keif Völlig blöd war es,, die Regie-',' anwejsung .Er klammert sich an: Fensterkreuz' als Religionsstörunj zu streichen. In einem historischer Rückblick auf die napoleonischer Kriege hieß es: .Die Österreicher wichen zurück.' Dieser Satz wurde gestrichen und für denselben gesetzt .Die Franzosen rückten vor.' Einen Zensor schien die Bemerkung ,Dii Kosaken reiten auf kleinen Pferden als mit der Würde des Zaren nich verträglich und es mußte fortan heißen: ,Die Kosaken reiten auf Pferden.' In Meyerbeers ,Robert de Teufel' mußte statt .Mein Sohn Mein Sohn!' gesungen werden: ,Meir Pflegesöhn!' In einem Lustspiel vor Castelli hatte ein alter Herr zu sa gen: ,Ihr Busen ist weiß und üppig. Der Zensor strich diese Schilderun; und setzte statt derselben: ,Sie is vorne sehr schön gebaut.' Im Dram; ,Der Holländer Michel' von Mosenthal sollte der Teufel mit roten Hosen angetan erscheinen; die Zensu: verwandelte sie in grüne. Der Dichter erhielt den Bescheid: ,Wissen Sil denn nicht, daß die österreichischer Generäle rote Hosen tragen?' Ali zum Geburtstag der Kaiserin Carolina Augusta im Burgtheater de: ,Alte Junggeselle' unter dem Tite ,Die Hausgenossen' und das Lustspiel ,Trau, schau, wem' unter den Titel ,Wie man sich täuscht' gegeber wurde, fragte Kaiser Franz nach de: Ursache dieser Änderung. ,Wei Euer Majestät zum viertenmal verheiratet sind', war die Antwort.“

Franz habe, so berichtet Frankl nachgedacht, den Kopf geschüttel und schließlich lapidar erklärt: „Unsere Zensur ist wirklich blöd.“

Er war, wie Frankl annahm, mi der stumpfsinnigen Handhabung de: Zensur durchaus nicht einverstanden und hatte schon 1810 in eine: seiner Instruktionen verkündet „Kein Lichtstrahl darf verloren gehen.“ Um der Zensur und dem abstrusen Treiben einer kaum mehr zi bändigenden Schar absolutistische: Hofräte vernünftige Zügel anzulegen, hätte es allerdings nur eine: Handbillets bedurft. Warum erlief er kein solches? Frankl konnte e: sich, wie aus den Notizen hervorgeht, nicht erklären, obwohl di Antwort eigentlich auf der Hanc lag. Franz, ebensowenig wie seine für Frieden und Ordnung verantwortlichen Standesgenossen durch irgendeinen geschichtlichen Präzedenzfall gewarnt, hielt Polizei und Zensur für notwendige kleinere Übel und für üble Notwendigkeiten, um die Guillotine, die Austilgung ganzer Bevölkerungsschichten durch die Mehrheit, von seinem Lande fernzuhalten. Das Merkwürdige daran ist — und es scheint hierzulange noch niemandem aufgefallen zu sein — daß dies in Österreich, trotz gelegentlicher Schrecknisse und mancher Pannen, auf diese oder jene Weise tatsächlich bis zum Jahre 1938 gelang. Erst während des nationalsozialistischen Zwischenspiels trat die Guillotine ihre Herrschaft an, begann gleichzeitig auch in Österreich die systematische Ausrottung von Minderheiten. Freilich ging es dabei nicht mehr um Aristokraten und Großbürger, sondern um Juden, Polen, Zigeuner, Habsburganhänger und Kommunisten. Und mit ihrem Verbotsgesetz gab die Zweite österreichische Republik dann stillschweigend zu, daß Kaiser Franz mutatis mutandis und wenigstens teilweise recht behalten hat.

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