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Unsicherheit als Mitgift

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Die Dennochbruderschaft, kein eingeschriebener, kein polizeilich zugelassener, kein von einer kirchlichen Behörde subventionierter Verein. Keine politische Partei oder Untergruppe, keine Vorfeldorganisation, keine Verschwörer gruppe. Weder Orden noch Kameradschaft. Keine geheime, keine offene Gesellschaft, überhaupt keine.

Keine Gemeinschaft von Ellenbogenleuten, Wirtschaftsbossen,

Intellektuellen, nicht einmal von Idioten. Nichts als die statistisch nicht erfaßbare Minderheit deiner Zeitgenossen, die unser Menschsein noch immer nicht absurd finden, sie nicht als Zufallsprodukte erfahren, noch immer einen Gott für möglich halten, der unsere zum Selbstmord entschlossene Gesellschaft dennoch begnadigen wird.

Dennochbrüder: einer, der Gott auch in diesem Jahrhundert gegen die gescheitesten Leugner, die fragwürdigsten Theologen an sich selbst erfahren hat, den ansprechbaren, den lenkenden, den immer wieder zer störenden und fügenden Gott. Einer, der Regeln nicht verachtet, doch allen, die allein nach Regeln entscheiden, mißtraut: Tyrannen, Funktionären, allen Unfehlbaren, Unbelehrten, Selbstgewissen, Selbstsicheren, Selbsterlösern…

Bereits nach den ersten Übungen als Dennochbrudernovize stellst du mehr in unserer Konsumgesellschaft in Frage als die wildesten Protestliedermacher: jede Buchhaltung, ob einfach, ob doppelt, kameralistisch, elektronisch, die kein Konto „Mensch” führt. Aller Kunstpäpste Unfehlbarkeit, aller Kommentatoren, Beobachter, Experten Allwissenheit, aller Moralisten und Amora- listen Selbstsicherheit, die Noiv- konformisten und bürgerlichen Konformisten, den Hochmut geistiger Prahlhänse, den noch größeren analphabetischer Proleten, die pastorale Sicherheit der Bürokraten Gottes, die unzerstörbare Selbstgewißheit der Atheisten…

Daß du bist, der du bist, daß dein Dasein absurd ist, daß es das Schöne gibt, daß nur das Häßliche wahr sein kann, daß es eine letzte Wahrheit gibt, daß es das Gute in unserer Welt gibt, auch die echte Liebe zwischen Mann und Weib, auch deine Fähigkeit zur Liebe.

I An ein Verantwortungsgefühl der Medienmacher glaubst du, an die Fehlbarkeit des Papstes, an die Unfehlbarkeit der Soziologen, an die Freiheit der Diktaturen, an die Freiheit in der noch freien Welt, an das höhere Glücksgefühl aller Ungläubigen, an Wellen und Strahlen, die auch die Lebenden mit den Toten, Gott mit seinen Geschöpfen verbinden, an den Endsieg der Gerechtigkeit, an den ewigen Frieden …

Die Dennoch-Hoffnung auf Gottes Gnade seinen störrischen Ebenbildern gegenüber: Ohne die totale Erfahrung der großutopischen Wirklichkeit wäre sie Selbstbetrug. Eine der hunderttausend Beruhigungsformeln.

Wie aber willst du ohne die täglichen Übungen des Mißtrauens, der Unterscheidungsfähigkeit, ohne deinen Kampf gegen Selbsttäuscher und Verzweifler, gegen die perfekte Logik, gegen die Wirklichkeit von der Stange eine Hoffnung stärken, die keine Enttäuschung, keine Verzweiflung, auch nicht die ärgste Dummheit erschüttern kann!?

Eines aber: Auch wenn du an dir selbst zweifelst und Freunde dich endlich bewundern, mit deinem „Dennoch” stehst du allein, auch in der Kirche. Hilflos unter Millionen Büchern. Wer begreift etwa deine Angst vor all der Blindheit, Feigheit, Dummheit der Kapazitäten? Noch findest du den Dennochbrüder nicht im Nächsten, auch nicht in der geliebten Frau. Halte dich weiter bereit!…

Unsicherheit ist die wichtigste Mitgift für Christen, die Wirklichkeit aufzuspüren. Hüten wir beide uns nur vor der zweifachen,

nach Bedarf und Laune austauschbaren Angst!

Angst vor Markt- und Strandbädergewühl und Angst vor der Einsamkeit. Angst vor Pop, Punk, Rock und Werbegebrüll und Angst vor jedem Tag ohne Bildschirm, Angst vor den täglichen Schlagzeilenkatastrophen zum Frühstück und Angst, daß sie aus- bleiben und die Welt in Langeweile versinkt, wie in der Robotergesellschaft. Angst vor dem Untergang unseres großutopischen Ninive und die noch ärgere Angst, daß Gott diese Hurenstadt verewigen wird, wie sie ist…

Das Letzte: Unter Verschwei- gern, Verleumdern, Bezweiflern das einzige Abenteuer gegen die Langeweile: Als echter Zeitgenosse unsere Welt erleben, bis in alle Untergründe und Abgründe menschlicher Größe und Bestialität!

Wir Dennochbrüder sind ohne Macht, oft ein Ärgernis für alle, die nichts mehr von apokalyptischen Reitern und der babylonischen Hure hören wollen, schon gar nicht von Trojanischen Pferden.

Wo die Brüder leben? — Du stehst nicht allein.

Aus: DENNOCHBRÜDER. Von Rudolf Henz, Styria, 103 S., öS 128,—.

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