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Unsichtbar und stumm

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Als General de Spinola in den Apriltagen dieses Jahres die Macht ergriffen hatte, glaubte er, in Portugal die Kulissen für ein freies Spiel aller demokratischen Kräfte gestellt zu haben. Statt dessen geschah, was der gestürzte Präsident Caetano dem (ihm übrigens befreundeten) Offizier bei früherer Gelegenheit mit einer geradezu erschreckenden Präzision vorausgesagt hatte. Linke Minderheiten übernahmen Zug um Zug die Schlüsselpositionen im Lande, alle übrigen Gruppierungen, denen unter Salazar und Caetano längst ein gewisser, wenn auch begrenzter Einfluß auf die politische Willensbildung eingeräumt worden war, sind mehr denn je von der Bühne gefegt, entmachtet, unsichtbar und stumm, obgleich vorhanden.

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Als General de Spinola in den Apriltagen dieses Jahres die Macht ergriffen hatte, glaubte er, in Portugal die Kulissen für ein freies Spiel aller demokratischen Kräfte gestellt zu haben. Statt dessen geschah, was der gestürzte Präsident Caetano dem (ihm übrigens befreundeten) Offizier bei früherer Gelegenheit mit einer geradezu erschreckenden Präzision vorausgesagt hatte. Linke Minderheiten übernahmen Zug um Zug die Schlüsselpositionen im Lande, alle übrigen Gruppierungen, denen unter Salazar und Caetano längst ein gewisser, wenn auch begrenzter Einfluß auf die politische Willensbildung eingeräumt worden war, sind mehr denn je von der Bühne gefegt, entmachtet, unsichtbar und stumm, obgleich vorhanden.

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Welches sind nun die Mitwirkenden eines demokratischen Spiels, das beginnen sollte, aber nicht beginnen kann, wenn der starke Arm geschulter marxistischer Trupps es nicht will —?

Beginnen wir auf der äußersten Rechten. Dort gibt es, oder gab es den Partido Nacionalista Fortuguės, die Nationalpartei. Sie ist seit dem 9. September verboten.

Dann gibt es, oder gab es, den Partido Liberal, die Liberalen. Sie sind seit dem 28. September verboten. Ihr ausgezeichnet redigiertes Wochenblatt „Tempo Novo“ (Auflage 40.000) erhielt trotz angeblicher Pressefreiheit strafweises Erschei- nungsverbot für zwei Monate. „Tempo Novo“ hatte einen unzensurierten, Augenzeugenbericht aus Mocambique veröffentlicht.

Auf der ungefähren rechten Mitte angesiedelt ist die (zahlenmäßig wahrscheinlich stärkste) Gruppierung, der Partido do Progresso — Movimento Federalista Portuguės, dessen Programm auf Spinolas ursprünglichem föderalistischen und liberal-konservativen Konzept eines portugiesischen Commonwealth mit Volksabstimmung in sämtlichen Überseegebieten basiert. „Tribūna Populär“, das Wochenblatt dieser Partei, hatte eine Auflage von

80.0 Stück erreicht, als es am 28. September verboten wurde und definitiv eingestellt werden mußte. De jure und entsprechend den Beteuerungen sowohl des Präsidenten Costa Gomes als auch des Premiers Vasco Gonęalves besteht der Partido do Progresso weiter; de facto erfolgte nach dem 28. September die Besetzung und Schließung der Lissa- boner Parteizentrale durch den sogenannten Koordinationsausschuß der Junta unter der Führung von Brigadier Otelo Saraiva Carvalho und die Inhaftierung aller Parteifunktionäre, soweit sich diese nicht durch eine Flucht ins Ausland dem Zugriff des Koordinätionsaus- schusses entziehen konnten. Die allgemeine Treibjagd auf aktive Parteimitglieder begann nach dem Rücktritt General Spinolas am 30. September und dauert unter der Leitung von Oberst Varela Gomes und Oberstleutnant Conęeięao e Silva bis heute fort. Es ist offenes Geheimnis, daß die Partei im Untergrund, in den Uberseegebieten, dm Ausland, innerhalb der portugiesischen Gewerkschaften und Agrargenossenschaften, ja sogar in den (nunmehr überfüllten) Gefängnissen ihre Tätigkeit fortsetzit. Im Gegensatz zu dem rechtsextremen, zur Gänze in die Emigration verdrängten Movimento de Acęao Portuguės, das jetzt seinen Sitz in Frankreich hat und sich als „Stadt-Guerilleros“ bezeichnet, hat der liberal-konservative Partido do Progresso also sehr wohl noch portugiesischen Boden unter den Füßen. Mit gleichem oder ähnlichem Programm konstituierte sich übrigens auf den Kapverdischen Inseln die Uniäo Democrätica de Cabo Verde, die einen Anschluß dieses Gebietes an Guinea-Bissau durch ihr Verlangen nach Volksabstimmung verhindern will und für Cabo Verde gleiche Autonomie innerhalb des portugiesischen Reiches verlangt, wie sie Madeira und die Azoren seit langem bereits besitzen.

Die genaue politische Mitte nahmen bis zum 28. September die Christdemokraten (Democracia

Cristäo) ein. Auch ihr Parteibüro ist nunmehr von militanten Kommunisten besetzt.

Die ebenfalls dem Zentrum zuzurechnenden Sozialdemokraten reagierten am 28. September klug und rasch. Der Partido do Centro Social Democrätico verlangte für sein Parteibüro militärischen Schutz und erhielt ihn auch. Allerdings setzte in der kommunistisch gewordenen Tageszeitung „O Sėculo“ alsogleich eine Hetze gegen die Sozialdemokraten ein, die durch ihr (geschicktes) Vorgehen „den Anspruch verwirkt“ hätten, noch als demokratische Partei zu gelten.

Erst links von den Sozialdemokraten befinden sich jene Gruppierungen, die heute in Lissabon Einfluß besitzen und über Machtpositionen verfügen So stellt der Partido Populär Demicrätico in der Provisorischen Regierung zwei Minister. Premier im ersten provisorischen Kabinett, noch unter Spinola, war der Gründer des Partido Social Democrätico Independente, Prof. Dr. Ade- iino da Palma Carlos. Die Partei ist seither nach links abgerutscht, Palma Carlos politisch heimatlos geworden.

Völlig uneins und in vier einander mißtrauende Gruppe gespalten sind die eigentlichen Sozialisten im Partido Socialista. Für die Männer um Außenminister Mario Soares gilt der französische Sozialismus im Geiste Mitterrands als Vorbild, für die Männer um Sotto Mayor Cardia das jugoslawische Konzept Marschall Titos. Daneben gibt es noch einen Flügel der Partei, der den itaüeni-

schien Sozialismus Nennte zu kopieren sucht, und schließlich noch, links von halblinks, das Movimento Socialista Populär, das fast schon zur Gänze von Kommunisten unterwandert ist und von Volksfrontexperten geführt wird.

Aber auch die Kommunisten Portugals sind keineswegs ein geschlossener Block. Am stärksten profiliert sich hier, unter der Führung des sehr begabten Aivaro Cunhal der Partido Comunista Portuguės mit seinen 6000 ganztägig arbeitenden Funktionären, seinen 200 (requirierten) Privatautos und seinen 50 einsatzbereiten Lastkraftwagen. Daneben gibt es unter Nuno Teotönio Pereira, Jorge Sampaio und Professor Dr. Pereira de Moura die Marxistischen Katholiken vom Movimento de Esquerda Socialista, und das maoistisohe, hauptsächlich von Universitätsstudenten und Mittelschülern getragene Movimento Reorga- nizador do Proletariado Fortuguės mit seinem Wochenblatt „Luta Populär“, derzeit unter der Leitung von Saldanha Sanches. Am Rande der Kommunisten tummeln sich, wie stets, die verschiedensten Rudel junger Aktivisten, angefangen von längst bestehenden Zellen in den Gewerkschaften und Agrargenossenschaften, über die Vorkämpfer für eine erleichterte Ehescheidung (Movimento Prö-Divörsio) bis zu den geschulten Bombenwerfem von der Liga da Uniäo de Acęao Revolucio- näria unter Palma Inäcio.

Im Ausland besser bekannt als alle hier aufgezählten Parteiformationen Portugals ist ohne Zweifel die Offiziersjunta selbst, die am 25. April Caetano stürzte und — damals noch unter Spinola — die Macht übernahm. Weniger bekannt dürfte sein, daß sich unter den 1200 am Staatsstreich beteiligten Offizieren etwa 200 Kommunisten, 200 Konservative und 100 Sozialisten befanden, während der Rest überhaupt keine politische Meinung vertrat und lediglich an der Beendigung des afrikanischen Krieges interessiert war. Eine nicht geringe Zahl von konservativen, liberalen und royalistischen Offizieren befindet sioh derzeit noch unangefochten in hohen militärischen Positionen. Dementsprechend funktionieren immer noch große Teile der Streitkräfte einwandfrei; sie sind sozusagen der letzte Damm, der sich den Übergriffen linker Juntamitglieder und organisierter marxistischer Schlägertrupps in Lissabon und Oporto entgegenstemmt.

Ob dieser Damm hält, ob er, gemeinsam mit einigen halbwegs vernünftigen Juntamitgliedem, imstande ist, Wahlen zu garantieren, die frei und geheim verlaufen, wird die Zukunft weisen. Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit könnte es sich bei den bevorstehenden Wahlen auch um ein volksdemokratisches Ritual handeln, bei dem die alleinige Wählbarkeit kommunistischer Funktionäre und einiger sozialistischlinkskatholischer Überläufer von vornherein feststeht.

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