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Unsichtbare Fallen?

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Wer heute in einem Reisebüro seinen Urlaub bucht, unterwirft sich Allgemeinen Reisebedingungen. Wer in eine Bank geht und einen Kredit bekommt, unterwirft sich Allgemeinen Kreditbedingungen. So einfache Dinge, wie kaufen und bestellen, einen Kredit nehmen oder sich einer Organisation bedienen, sind im modernen Wirtschaftsleben und besonders im Dienstleistungsbereich ohne allgemeingültige typische Verträge nicht mehr denkbar. Das Kleingedruckte hat seinen

festen Platz in der Wirtschaft, auch wenn es als Instrument des Stärkeren denunziert wird, der nur daran interessiert sei, den wirtschaftlich Schwächeren durch unklare Formulierungen zu knebeln. Soweit hier Gerichte in einer falsch verstandenen Konsumentenfreundlichkeit mitwirken, entsteht im Spiegel der Entscheidungen das Bild eines unkundigen, ahnungslos-vertrauensvollen, den Argumenten des beredten Verkäufers voll ausgelieferten Konsumenten.

Auch die private Krankenversicherung braucht typische Vertragsinhalte. Die Aufgabe solcher Vertragsbedingungen wird an einem Beispiel klar: Es läßt sich für beide Vertragsteile leicht vereinbaren, daß ein Versicherer „Heilbehandlung bei einem medizinisch notwendigen stationären Aufenthalt in einer Krankenanstalt" erbringt. So einfach und klar das klingt, so vielfältig sind die Probleme, die im konkreten Leistungsfall auftreten können. Was ist Heilbehandlung? Welche Methoden sind medizinisch anerkannt? Wie erfolgreich muß sie sein, um zu heilen? Was ist medizinisch notwendig? Wo liegt die Abgrenzung zu medizinisch sinnvoll, medizinisch nützlich oder medizinisch vertretbar? Ist es medizinisch notwendig, einen

Zahn im Spitalsbett zu ziehen, wenn das auch ambulant möglich ist? Ist es medizinisch notwendig, jemanden in ein Spitalsbett zu legen bei einer angezeigten Nulldiät, nur um ihn nicht außerhalb des Spitals in der Familie oder im Beruf in Versuchung zu führen? Ist es medizinisch notwendig oder sozial notwendig, jemanden im Spital zu behandeln, nur weil keine Angehörigen da sind, die sich um einen Pflegefall kümmern können? Ist es ein Aufenthalt im Spital, wenn jemand einige Stunden am Dialysegerät hängt?

Schon bei einer so einfachen und beim ersten Blick klaren Vereinbarung zeigt es sich, daß der Teufel im Detail steckt. Und dabei stellt sich die Alternative: Entweder sind diese Details vorneweg geregelt, oder es besteht bei Auslegung der Vereinbarungen ohne vorangegangene Regelung ein großer Ermessensspielraum für Interpretationen. Wenn man diesen Ermessensspielraum im Leistungsfall vermeiden will, muß man das kleinere Übel wählen und bei Vertragsabschluß alles genau definieren. Und weil die Dinge kompliziert sind und jede Definition wieder neue Begriffe beinhaltet, die auch wieder definiert sein müssen, entsteht ein kompliziertes Vertragswerk. Solche Bedingungen sind gleichwertiger Bestandteil des Vertrages, wie die Prämie und die wichtigsten Ziffernleistungen. Weil es aber ein schwieriger Text ist, der von Paragraphen nur so wimmelt, will ihn niemand lesen, er bleibt unbekannt, und was man nicht kennt, dem mißtraut man. Von da ist es nur ein kleiner Schritt zu einem allgemeinen Mißtrauen gegenüber den Versicherungen (auch: den Banken,

den Reisebüros etc.), daß sie sicher irgendwelche Klauseln eingebaut haben, auf die sie im Ernstfall verweisen können. Was kann nun die private Krankenversicherung, der von ihren Kunden mehrfach Seriosität bescheinigt wurde, tun, um dieses Mißtrauen abzubauen? Zunächst muß sie alles unternehmen, um die Versicherungsbedingungen verständlich und lesbar zu machen. Nach fünfjähriger Vorarbeit liegen nun neue Musterbedingungen für die private Krankenversicherung vor. Die Ausarbeitung unternehmenseigener Versicherungsbedingungen auf der Basis dieser neuen Musterbedingungen ist in den meisten Versicherungsunternehmungen voll in Gang.

Was bei den neuen Musterbedin-

gungen auffällt, ist eine übersichtliche Gliederung mit einem Inhaltsverzeichnis, ein Text mit möglichst wenig Fremdworten und insgesamt eine Entrümpe-lung vieler nebensächlicher Vorschriften, über die sich der Wettbewerb zwischen den Unternehmen und die EDV-gerechte Leistungsabwicklung längst hinweggesetzt haben.

Ein zweiter Weg, um Vertrauen zu erwerben, ist die ständige Verbesserung der Leistungen, auch über die Versicherungsbedingungen. In den 50er Jahren, aus denen die alten Musterbedingungen stammen, hat es Begriffe wie Strahlentherapie, Computertomographie und Homöopathie eben noch nicht gegeben, zumindest nicht in einer so breiten Anwendungsmöglichkeit, daß sie Gegenstand des Versicherungsvertrages sein konnten. Mit den neuen Musterbedingungen setzt die private Krankenversicherung aber noch einen dritten Schritt, um ihre Offenheit für die Bedürfnisse ihrer Vertragspartner, das sind die Versicherten, zu zeigen: Wenn beispielsweise der Versicherungsschutz bisher nur für Wehrdienstzeiten durch Ruhen unterbrochen werden konnte, ist dies jetzt auch in anderen „begründeten Fällen" möglich. Das ist eine positive Reaktion der Versicherer auf die Tatsache, daß immer mehr Kunden um eine Unterbrechung ihrer Zahlungsverpflichtung ersuchen, weil sie sich -beispielsweise durch Arbeitslosigkeit - vorübergehend einschränken müssen, aber ihren grundsätzlich lebenslangen Versicherungsschutz und die damit wohlerworbenen Rechte nicht aufgeben wollen. Angesichts dieser Haltung der privaten Krankenversicherung ist

nur an letzter Stelle und der Vollständigkeit halber anzumerken, daß mit den neuen Versicherungsbedingungen auch die gesetzgeberischen Initiativen zum Schutz der Konsumenten, das Konsumentenschutzgesetz und das Datenschutzgesetz, in den neuen Versicherungsbedingungen ihren Niederschlag finden werden.

Der gelernte Konsument wird dies alles mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, aber einwenden, daß letztlich es doch die Versicherer selbst sind, die die neuen Bedingungen formulieren. Hier kann darauf verwiesen werden, daß gerade in diesem Punkt die Versicherungsunternehmungen einer strengen Kontrolle der Aufsichtsbehörde, das ist das Finanzministerium, unterliegen, und daß diese Aufsichtsbehörde neue Bedingungen einer sehr sorgfältigen Prüfung unterzieht.' Da ist schon die eine oder andere Formulierung gefallen, weil sie den hohen Anforderungen der Aufsichtsbehörde nach Unmißverständlichkeit nicht gerecht wurde.

Insgesamt ist zu erwarten, daß die Erneuerung der Versicherungsbedingungen eine Anpassung an die medizinische, gesetzliche und gesellschaftliche Entwicklung ermöglicht. Sie stellen in ihrer kundenfreundlichen Aufmachung eine Einladung dar, sie als gleichwertige Vertragsgrundlage, das heißt als Ergebnis übereinstimmenden Willens, anzusehen. Man wird den Optimismus eines deutschen Oberlandesgerichtes nicht teilen können, das 1981 in einer Entscheidung festgestellt hat: „Ein Versicherungsnehmer ist gehalten, die Versicherungsbedingungen zu kennen und gegebenenfalls seine Kenntnis aufzufrischen." Es wäre schon ein Fortschritt, wenn sie übereinstimmend als notwendiger und selbstverständlicher Vertragsinhalt angesehen und angenommen werden.

Kurt Mazanek ist Vorstandsmitglied der Colle-gialität Versicherung.

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