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Unsinn und Ungeist

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Die Beschlagnahme der vom Dr. Karl-Renner-lnstitut der SPÖ herausgegebenen Broschüre „Gefahr von rechts" hat deren Verbreitung kaum behindert. Daher erscheinen nicht nur Stellungnahmen angezeigt, als alter Sozialdemokrat erwarte ich auch eine kritische Stellungnahme meiner Partei zum Inhalt der Publikation.

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Die Beschlagnahme der vom Dr. Karl-Renner-lnstitut der SPÖ herausgegebenen Broschüre „Gefahr von rechts" hat deren Verbreitung kaum behindert. Daher erscheinen nicht nur Stellungnahmen angezeigt, als alter Sozialdemokrat erwarte ich auch eine kritische Stellungnahme meiner Partei zum Inhalt der Publikation.

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Sie stellt nämlich die traditionelle Bereitwilligkeit der österreichischen Sozialisten zu demokratischer Zusammenarbeit mit demokratisch gesinnten Gegnern in Frage, indem einfach die demokratische Gesinnung aller, die keine Sozialisten sind, in Frage gestellt wird. Um mit George Orwell zu sprechen: „Es ist die Sünde fast aller .Linken' seit 1933, daß sie Antifaschisten sein wollten, ohne antitotalitär zu sein."

Die Broschüre dokumentiert Erscheinungen des Nazismus in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg mit Hinweisen auf Vereinstätigkeiten und Zusammenkünfte sowie mit Abbildungen von nazistischen Veranstaltungen, Publikationen und antisemitischen Schmierereien. Der Text und das Bildmaterial werden dabei in ziemlich ungeordneter Form präsentiert. Höchstens der Abschnitt über „Gesetzliche

Bestimmungen und behördliche Maßnahmen" liefert einen Ansatz von historisch verwertbarer Information.

Ansonsten Finden wir eine Fülle von ungeordneten Details, die zum Schluß führen: „Rechtsradikale Splittergruppen sind ebenso eine Herausforderung für die Demokratie und eine Gefahr wie die unleugbaren Sympathien vieler Konservativer für faschistisches Gedankengut."

Man findet freilich nur beiläufig Bemerkungen über den Inhalt von „faschistischem Gedankengut", aber umso mehr Hinweise auf Konservative, die offenbar für solches anfällig sind. Neben Hans Pretterebner, dessen Klage zum gerichtlichen Verfahren geführt hat, werden u. a. „der politische Ehr-geizling Otto Habsburg", sowie Josef Klaus, Alfons Dalma, Otto Molden und andere Österreicher, die offenbar rechts von der SPÖ stehen, genannt.

Ein ähnliches Maß wird auch für Personen außerhalb Österreichs angelegt. Genannt werden hier vor allem Franz Josef Strauß, „Gaullistenführer", „US-Rechte um Barry Goldwater" und andere mehr. Daß zahlreiche Konservative, darunter manche der in der Broschüre genannten, den Nationalsozialismus aktiv bekämpft haben, wird natürlich nicht erwähnt.

Der hier praktizierte „Antifaschismus" erinnert frappant an den „Anti-kommunismus" des amerikanischen Senators Joseph MacCarthy, der darin bestand, wahllos Leute, die ihm nicht genehm waren, des Kommunismus zu bezichtigen. Er wurde wegen seiner verantwortungslosen Schmiermethoden vom Senat gerügt. Diese Rüge setzte dem Unfug ein Ende.

Dabei ist bemerkenswert, daß viele konservative Senatoren diese Rüge befürworteten, denn sie verstanden, daß man den Kommunismus nicht bekämpft, indem man Leute wahllos als Kommunisten bezeichnet. Seither wird in den USA eine unbewiesene Diffamierung politischer Gegner als „Mac-Carthyism" bezeichnet.

Vielleicht sollte auch bei uns „antikommunistisch" oder „antifaschistisch" getarnte Diffamierung politischer Gegner als Kommunisten oder Faschisten so bezeichnet werden. Das sollte demokratisch gesinnte Antifaschisten und Antikommunisten daran erinnern, daß sie miteinander mehr gemeinsam haben, als mit den antidemokratischen Extremisten, die sich als „Antifaschisten" oder als „Antikommunisten" tarnen, um Demokraten irrezuführen.

Bedenklich ist in dieser Broschüre auch, daß die beiden Oppositionsparteien in zwei Sonderkapiteln als für antidemokratischen Rechtsextremismus anfällig beschrieben werden. Diesen folgt noch ein Sonderabschnitt „Rechtsblock in Österreich?", der mit dem Hinweis auf die Absprache zwischen ÖVP und FPÖ bei den Bürgermeisterwahlen in Graz und Klagenfurt eingeleitet wird.

Nicht erwähnt wird hier natürlich die langjährige Koalition der beiden großen Parteien in den Jahren 1945 bis 1966, wie auch die Tatsache, daß die erste Regierung Kreisky 1970 ohne die Unterstützung der FPÖ überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Diese Fakten würden nämlich das hier gebotene Bild empfindlich stören.

Klare und eindeutige Geschichtsbilder entlasten den Denkprozeß. Sie erfreuen sich daher großer Beliebtheit. Allerdings erschweren sie zielführendes Handeln. In diesem Sinn findet man in dieser Broschüre ein besonders simples und klares Geschichtsbild in etlichen Hinweisen auf die turbulente Geschichte der Ersten Republik.

Dabei wird die überaus undramatische, konstruktive Zusammenarbeit der Demokraten aller Lager übersehen, ohne die die Demokratie nicht fast fünfzehn Jahre lang funktioniert hätte.

Diese Zusammenarbeit hat zwar nicht ausgereicht, die schwer bedrängte Demokratie zu bewahren. Dennoch ist im Rahmen dieser Zusammenarbeit viel geleistet worden. So war die Verfassungsreform 1929 die Frucht dieser Zusammenarbeit - und auf dieser Verfassung beruht auch heute die Demokratie unserer Republik.

Es waren jedoch in allen Parteien antidemokratische Tendenzen vorhanden. Darstellungen, die demokratische Gesinnung ausschließlich auf eine Seite des politischen Spektrums konzentrieren, sind in allen Fällen verlogener Unsinn. Außerdem gefährden derartige Darstellungen die Demokratie, da diese die vorhandenen Gegensätze überbetonen und bindende Gemeinsamkeiten verleugnen.

Von historischer Fehlinterpretation übermäßig vereinfachte Geschichtsbilder führen daher auch zu Fehlschlüssen. So liest man auf Seite 31: „Die historische Erfahrung lehrt, daß faschistische Regime meist dann aufgerichtet werden, wenn die kapitalistische Gesellschaft in die Krise oder ins Wanken gerät, wenn die Privilegien und Profite der Herrschenden in Gefahr kommen. Ein Musterbeispiel dafür bot Chile, wö . . ."

Nicht erwähnt werden natürlich die Länder, in denen während der großen Weltwirtschaftskrise die kapitalistische Gesellschaft ins Wanken geraten ist, ohne daß nennenswerte faschistische Gefahren aufgetaucht wären. In diesen Ländern wurde die Gesellschaft durch tiefgreifende Reformen nämlich weitgehend verändert.

Allerdings haben dort die Führer der Arbeiterschaft nicht utopische Strukturveränderungen angestrebt, sondern „nur" verwirklichbare Maßnahmen und Reformen.

Von ideologisch inspirierten Fehlinterpretationen ist es dann nur ein kleiner Schritt zu utopischen Vorschlägen. Im Geiste marxistischer Offenbarung liest man daher auch in der Broschüre: „Eine dauernde Uberwindung faschistischer Gefahren kann freilich nur dann erfolgen, wenn die gesellschaftlichen Wurzeln faschistischer Herrschaft, wenn Kapitalismus und Imperialismus mit ihren Widersprüchen und Ungerechtigkeiten, ihren Kriegen und Krisen beseitigt sind ...".

Und weiter: „In der von den Sozialisten angestrebten Gesellschaft der sozialen Demokratie wird das Problem des Faschismus der Vergangenheit angehören."

So lange man nicht erfährt, wo es zumindest Ansätze für eine derart perfekte Gesellschaft gibt, muß man annehmen, daß man es mit einer reinen Utopie zu tun hat. Träumerisches Streben nach utopischer Perfektion kann aber zur Bewältigung von Krisen nichts beitragen. Dazu bedarf es der Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte, die sich ja auch bei der Bewältigung vergangener Krisen in Österreich bewährt hat.

Ideologisch motivierte Verantwortungslosigkeit, wie sie sich in der Broschüre „Gefahr von rechts" zeigt, kann nur eine Polarisierung der politischen Kräfte fördern, deren Zusammenarbeit zur Bewahrung der Demokratie in Krisenzeiten unerläßlich werden kann.

Der A utor, Mitglied der SPÖ, ist a. o. Universitätsprofessor für Soziologie an der grund- und integrativwissenschaft-liehen Fakultät der Universität Wien.

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