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Untätigkeit verboten

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Zu jeder Zeit stellt sich für jeden die Frage: Wer bin ich? Besonders Jubiläen sind geeignet, dieser Fra­ge nicht ausweichen zu können. 25 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil, einer so wesentlichen Zä­sur, brennt diese Frage - besonders auf das Ganze bezogen - unter den Nägeln.

Der Mensch, der in der westli­chen Welt des Konsums, der Suche nach dem persönlichen Glück und der Leugnung der persönlichen Schuld lebt, ist nur zu leicht ver­sucht, sein Ego, dessen Lust- und Machtbefriedigung zum Maß sei­nes Denkens und Handelns zu machen. Er weiß oft gar nicht, daß er so denkt und handelt, er tut es aber: Er meint, er sei autonom. Das wird ihm auch bis zum Überdruß dauernd vorgesagt. Der Mensch als das Maß aller Dinge, als ob es einen persönlichen Gott, dessen Ebenbild der Mensch ist, nicht gäbe. Der selbständige Mensch hat einen frei­en Willen, er ist aber nicht das Maß aller Dinge.

Auf die Kirche bezogen taucht die Jahrtausende alte Frage nach der Stellung der Gläubigen und innerhalb dieser Gemeinschaft nach der Stellung des geweihten Prie­sters auf. Es ist in unserer emanzi-patorischen Geisteswelt offensicht­lich für viele schwer, das Neben­einander von allgemeinem Priester-tum und sakramentalem Priester-tum zu verstehen. Das ist aber kei­ne Verstandesfrage, es ist schlicht und einfach eine Glaubensfrage.

In der pluralistischen, weitgehend säkularisierten Welt wird die Schuld des einzelnen relativiert und immer nur als Folge von Herkunft und Umwelt des betroffenen Men­schen angesehen. Damit im engsten Zusammenhang steht die Leugnung der Sünde. Wer dieses Wort in den Mund nimmt, muß damit rechnen, daß er als Antiquität betrachtet wird. Freundliche Zeitgenossen bezeichnen einen solchen Menschen als konservativ, wobei sie letzterer Kennzeichnung absolut einen Schimpfwortcharakter beimessen.

Wir alle sind Kirche, das heißt in diesseitigen Kategorien gedacht, Mitglieder einer Gemeinschaft. In unserem Glaubensverständnis bedeutet dieser Satz, daß wir Glie­der dieser von Jesus Christus ge­stifteten Kirche, die sein Leib ist, sind. Wir sind das Volk Gottes, das bedeutet aber nicht die Basis im Gegensatz zu den Amtsträgern, sondern das sind alle Christen mit ihren verschiedenen Gaben, die verschiedene Dienste leisten und verschiedene Ämter bekleiden.

Die Aufgaben des Laien erschöp­fen sich nicht darin, daß sie die Kirche mittragen, schon gar nicht, wenn dieses Mittragen zur dauern­den Innenkritik oder zum Streben nach Ämtern degeneriert, sondern sie umfassen vornehmlich das täti­ge Bekenntnis des Glaubens in der Welt - im privaten und im öffentli­chen Bereich. Der Heilige Vater sagte im Nachsynodalen Apostoli­schen Schreiben „Christifideles laici" (CL): „Neue kirchliche, ge­sellschaftliche, politische und kul­turelle Gegebenheiten rufen heute mit besonderer Intensität nach dem Engagement der Laien. Sich der Verantwortung zu entziehen war schon immer verfehlt. Heute aber liegt darin eine noch größere Schuld. Niemandem ist es erlaubt, untätig zu bleiben." (CL 3).

Schon das II. Vatikanische Kon­zil lehrte: „Sache der Laien ist es, kraft der ihnen eigenen Berufung in der Verwaltung und gottgemä­ßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen. Sie leben in der Welt, das heißt in all den einzelnen irdischen Aufgaben und Werken und den normalen Verhältnissen des Familien- und Gesellschaftslebens, aus denen ihre Existenz gleichsam zusammenge­woben ist. Dort sind sie von Gott gerufen, ihre eigentümliche Aufga­be, vom Geist des Evangeliums geleitet, auszuüben und so wie ein Sauerteig zur Heiligung der Welt gewissermaßen von innen her bei­zutragen und vor allem durch das Zeugnis ihres Lebens, im Glanz von Glaube, Hoffnung und Liebe Chri­stus den anderen kundzumachen" („Lumen gentium" = LG 31).

Aber da die Christen auch nur Menschen sind, wird es auch unter Christen Zwistigkeit, Mißverständ­nis und Gegnerschaft geben. Hier sollte der Versuch unternommen werden, vor jeder Kritik eines an­deren sich selbst hinsichtlich des eigenen Denkens, Handelns und Unterlassens in Frage zu stellen. Die richtige Antwort zu finden wird nicht immer leicht sein. Ein aus dem Glauben heraus gebildetes Gewissen wird wohl die beste Gewähr für eine richtige Antwort­findung sein. Besteht aber nicht häufig die Gefahr, daß ein aus der individuellen Aufmüpfigkeit und aus der umweltbedingten Verirrung heraus geformtes Gewissen als Richtschnur genommen wird?

Wir wissen, daß die durch lange Zeit hindurch gelebten Wertvor­stellungen der Menschen ins Rut­schen geraten sind. Daran kann man sich nicht vorbeischwindeln. In der Wertehierarchie ist ein Wandel ein­getreten. Eine beispielhafte Verän­derung der Rangordnung haben die Werte „Arbeit" und „Freizeit" mit­gemacht. Der Genuß ist gleichwer­tig oder sogar höherrangig neben die Leistung getreten. In dieser Situation ist es ganz wichtig, in der Erziehung deutlich zu machen, daß Lebensfreude nicht nur hedoni­stisch gesehen werden darf, wie es ja leider in Medien vielfach vorge­gaukelt wird, daß Wohlstand nicht zu bloßem Konsumismus führen darf, sondern daß den Menschen, die auch in dieser Wohlstandsge­sellschaft von ihrer oder von der Leistung anderer leben, auch eine geistige Qualität, wofür sie leben sollten, geboten wird.

Vor allem müssen wir uns jeden Tag vor Augen halten, was schon das II. Vatikanische Konzil beklagt hat: Die „Spaltung bei vielen zwi­schen dem Glauben, den man be­kennt, und dem täglichen Leben gehört zu den schweren Verirrun-gen unserer Zeit" („Gaudium et spes" = GS 43). Oder wie der Heili­ge Vater schreibt: „Den Laien ist es aufgegeben, eine lebensmäßige Synthese zwischen dem Evangelium und den täglichen Pflichten ihres Lebens zu schaffen" (CL 34).

Der Autor ist Präsident der Arbeitsgemein­schaft Katholischer Verbände.

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