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Untauglich zum Weißwäscher

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Wien hat sich wieder einmal Zeit gelassen. Spät, aber doch wurden die Brechtsche „Turandot” und „Equus” von Peter Shaffer auch bei uns aufgeführt. Um es vorwegzunehmen: Beide Stücke wurden so gut inszeniert und gespielt wie nur denkbar. Trotzdem: Zwei enttäuschende Abende. Freilich: auf höchstem Niveau der eine - eher ärgerlich der andere. Außerdem geriet aber im Rahmen des Ballettfestivals Brecht unter das Beil der Wuppertaler Bühnen, und das war grausig. Darüber in der nächsten Nummer.

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Wien hat sich wieder einmal Zeit gelassen. Spät, aber doch wurden die Brechtsche „Turandot” und „Equus” von Peter Shaffer auch bei uns aufgeführt. Um es vorwegzunehmen: Beide Stücke wurden so gut inszeniert und gespielt wie nur denkbar. Trotzdem: Zwei enttäuschende Abende. Freilich: auf höchstem Niveau der eine - eher ärgerlich der andere. Außerdem geriet aber im Rahmen des Ballettfestivals Brecht unter das Beil der Wuppertaler Bühnen, und das war grausig. Darüber in der nächsten Nummer.

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„Turandot oder der Kongreß der Weißwäscher” ist das letzte Stück, das- Bertold Brecht fertigstellen konnte. Es ist ein äußerst problematisches Stück, inhaltlich wie formal. Trotzdem mußte es in Wien gezeigt werden, seit der Uraufführung in Zürich unter der Regie des Brecht- Schülers Benno Besson, die erst 13 Jahre nach dem Tod Brechts zustandekam, sind mittlerweile wieder acht Jahre vergangen. Dieter Haspel, der Theatergründer ohne Theater, hat mit dieser Inszenierung Gespür und Leistungsfähigkeit und damit die Existenzberechtigung seiner Truppe unter Beweis gestellt. Der Spontanbeschluß von Burgchef Benning, dem Ensemble-Theater das Akademietheater für einige Turandot-Spieltage zur Verfügung zu stellen, war richtig, ja notwendig, ist zu begrüßen. (Das Haus der Komödianten wäre günstiger gewesen - Conny Hannes Meyer gab es aber nicht her.)

Anderseits war es der kurzweiligste langweilige Theaterabend, an den ich mich erinnern kann. Diesem Stück fehlt etwas, was fast alle anderen Brecht-Stücke haben. Nämlich die emotionelle Überzeugungskraft, die sie auch dort auszustrahlen pflegen, wo man Brecht intellektuell nicht folgen kann oder will. Es wird im Verlauf dieses Theaterabends immer deutlicher: Der arme B. B. hatte, als er die „Turandot” endlich, nach Jahrzehnten, in denen er dieses Projekt im Fluchtgepäck von Kontinent zu Kontinent mitgeschleppt hatte, niederschrieb, den daüben an das, Was er darin sagen wollte, zum Teil verloren.

Nämlich den Glauben an die beschränkte Gültigkeit seiner Meinung über die Tuis, die Tellekt-Uell-Ins, die Intellektuellen in dieser chinesisch verschlüsselten Fabel. Gemeint waren ja ursprünglich nur die bürgerlichen Intellektuellen, keineswegs die „fortschrittlichen”. Brecht wollte in diesem Stück die bürgerlichen Intellektuellen als Weißwäscher der Macht entlarven, als Meinungshändler, als käufliche Subjekte, wollte zeigen, wie leicht bürgerliches Denken in den faschistischen Bannkreis gerät, wollte, ein bisserl viel auf einmal schon im Projektstadium, auch linken Denkern von, für Brechts Geschmack, allzu bürgerlichem Zuschnitt, Horkheimer und Adorno, eins auswischen.

Aber als er das Stück zu schreiben begann, lag die blutige Niederschlagung des Ostberliner Aufstandes erst wenige Wochen zurück, und der aufmerksame und sensible Beobachter Brecht verfügte mittlerweile über ein reiches Erfahrungsmaterial, betreffend den Tuismus, die intellektuelle Verlogenheit und den Opportunismus der Intellektuellen im ersten deutschen Arbeiter- und Bauemstaat.

Die untergeordneten textlichen und theoretischen Schwächen der Tui- Turandot treten in den Hintergrund gegenüber dem einen großen Widerspruch dieses Stückes: Daß Bertolt Brecht die Käuflichkeit des bürgerlichen Geistes entlarven wollte, als er erkannt hatte, daß keineswegs nur die bürgerlichen (oder die faschistischen) Intellektuellen, sondern auch die Tuis im sozialistischen Staat verlogen sind - weil sie, gerade sie, zum Lügen gezwungen werden. Es gibt da eine aufschlußreiche Stelle in der Turandot, es ist die Stelle von den Machthabern, die, könnten sie ihr Volk wählen, sicher nicht dieses Volk gewählt hätten, Sätze, die bekanntlich unmittelbar nach dem Ostberliner 17. Juni niedergeschrieben wurden.

So wird die Schwäche dieses Stük- kes zur Ehrenrettung Bertolt Brechts. Er war ein schlechter Weißwäscher der Macht, die er herbeigesehnt hatte. Die allenthalben verteilten schlechten Zensuren für Brecht, den „Turan- dot”-Autor, bescheinigen ihm sein

Versagen als roter Weißwäscher, bedeuten um so bessere für den Moralisten Bertolt Brecht.

Sehr aufschlußreich, sehr menschlich, sehr differenzierend stellt er das Verhalten der Tuis angesichts des siegreichen Faschismus dar: als echten Scheideweg, an dem sich spät, aber doch erweist, was von wem zu halten war. Um dieser Szene willen allein schon mußte dieses Stück gespielt werden. Und wären nicht die Rechtsnachfolger des Dichters, der selber gerne unbarmherzig in fremden Werken herumfuhrwerkte, die heute jede Zeile von ihm unter Denkmalschutz stellen, so wäre mit Methoden, wie Brecht sie beim Shakespeareschen „Coriolan” angewendet hat, auch seine „Turandot” noch mehrmals gründlich hi»- und herzuwenden und auf ihre verborgenen Botschaften zu untersuchen.

Brechts chinesischer Märchenfaschismus erleidet das Schicksal seines historischen Vorbüdes. Der große, der sozialistische, der die Felder an die Bauern verteilende Befreier erobert die Vorstädte. Der Vorhang fällt, es bleibt bei der sozialistischen Morgenröte, darüber, was der ihr folgende Tag gehalten hat, schweigt Brecht sich aus, darum geht es in dem Stück auch nicht. Trotzdem wurde es von den Ostberliner Machthabern behandelt wie eine heiße Kartoffel.

Haspel arbeitet die Gags wirkungsvoll heraus, die Kostüme und Masken bieten soviel optischen Reiz, daß sie manche Länge des Textes mildem. Natürlich wäre es kein Brecht, hätte nicht auch dieses Stück wirkungsvolle Szenen (etwa das Gespräch der abgeschnittenen Tui-Köpfe auf der Stadtmauer). Die meisten Darsteller übernehmen mehrere, einige zahlreiche Rollen. Hervorzuheben: Robert Hun- ger-Bühler als der alte Sen, der Tui werden wollte, schließlich aber sein letztes Geld für die Werke des großen Felderaufteilers opfert. Ein Deutscher, der angesichts Hitlers Machtergreifung zu den Kommunisten geht, in chinesischem Gewand. Wie wird er es verkraften, wenn der große Kai-Ho seinen Nichtangriffspakt mit Gogher Gogh abschließt? Er ist ein so klarer Charakter. Es wird ihm, wie so manches andere, nicht leichtfallen. Gespielt wird gut, das heißt, Brecht-ge- mäß, allerdings noch zu wenig differenziert.

Das Akademietheater war natürlich eine Notlösung. Dabei hätte es, außer den Komödianten, ein weiteres für Haspel sehr geeignetes Theater in Wien gegeben. Nämlich die kleine Halle B im Stadthallenkomplex, die bisher, abgesehen von weit zurückliegenden Intermezzi, aussschließlich sportlichen Zwecken diente, in der Gerhard Freund künftig auch Theater spielen lassen will.

Aber hier mußte ja „Equus” von Peter Shaffer gezeigt werden. Es war auch ganz gut, daß es gezeigt wurde. Um zu beweisen, daß hier die Wiener Theaterleiter keineswegs ein Meisterwerk verschlafen haben. Shaffer wollte Einblick in die Krankengeschichte eines Jugendlichen geben. Wollte zeigen, wie „so ein Fall” - Alan hat fünf Pferde geblendet - behandelt wird. Die Sache bleibt an der Oberfläche. Effekthascherischer geht es kaum mehr. Es ist sicher nicht die aufklärerische Komponente, die den Erfolg dieses Stückes herbeigeführt hat. Von Behandlung ist eigentlich überhaupt keine Rede, keine Rede von einer Psychoanalyse, keine von einer Psychotherapie, dem Psychiater Martin Dysart, der selbst sehr dringend einer Behandlung bedürfte, geht es wirklich nur um die Seelenschnüffelei, die ihm sein Patient (sehr zu Recht!) vorwirft, er ist mit verwunderlicher Intensität um Details bemüht, die psychiatrisch von zweitrangiger Bedeutung sind: Hat Alan nun etwas mit Jill gehabt?

Aber diese psychiatrisch unwesentliche Information ist natürlich dramaturgisch sehr wichtig. Schließlich muß ja die große Szene vorbereitet werden, in der zwei Darsteller sich zu entblättern haben. Das Mädchen darf etwas anbehalten. Bernd Seebacher entledigt sich souverän seiner Rolle und seiner Kleider, nachdem er angezogen viel Unglaubwürdiges glaubwürdig gemacht hat.

Will Quadflieg als Regisseur und Darsteller des Psychiaters bringt eine Aufführung zuwege, die das Stück immer noch besser als beim Lesen erscheinen läßt. Er redet blitzschnell und unterkühlt über die dummen Schnoddrigkeiten des Textes hinweg.

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