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Unter dem Palaverbaum

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„In Afrika ist ein Greis, der stirbt, wie eine Bibliothek, die verbrennt.“ Afrikas Filmschaffende als Sprachrohr der Bauern und Mittler der afrikanischen Kultur.

Das afrikanische Kino führt auch heute noch ein Schattendasein in der Rubrik „Exotisches“ im internation'alen Filmgeschehen. Mit dem Film „Yeelen“ des 1940 geborenen malischen Regisseurs Souleymane Cissė, der als erster schwarzafrikanischer Film überhaupt auf den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, gab der afrikanische Film ein kräftiges Lebenszeichen von sich.

Der gleichen Generation wie Cissė gehört die Senegalesin Safi

Faye an, die, einzige Frau unter den Regisseuren des Schwarzen Kontinents, international Anerkennung gefunden hat. Auf Einladung des Afro-Asiatischen Instituts kam sie vor kurzem zu den „Grazer Filmgesprächen“ ins Grazer Augartenkino, wo ihre Filme „Kaddu Beykat“ (Nachrichten aus dem Dorf) und „Fad- jal“ (Neuankömmling, arbeite) gezeigt wurde.

Safi Faye wurde im Dorf Fadjal im Süden Senegals geboren und gilt als bedeutendste Dokumentaristin Schwarzafrikas. 1969 kam sie nach Paris, machte Hörspielregie beim französischen Rundfunk und hatte ihr Debutals Schauspielerin in Jean Rouchs Film „Petit ä Petit“. Im selben Jahr begann sie Ethnologie zu studieren und schrieb sich an der Pariser Filmakademie ein. Bei Recherchen für ihre Dissertation über „Traditionelle Riten und Bräuche“ ihrer Heimatregion Sėrėre kam sie erstmals mit Ton- und Filnrtechniken in Berührung.

Als die Bauern nicht nur von Religion, sondern auch von ihren ökonomischen Problemen erzählten, faßte sie den Plan, einen Film zu drehen. Daher greift ihr Erstlingswerk „Kaddu Beykat“, 1975, wirtschaftliche und politische Themen offen auf, wie bislang selten im afrikanischen Film.

Aus der Sicht einer Frau beschäftigt sich dieser Film mit dem Leben der Landbevölkerung Senegals, den Auswirkungen von Landflucht, aus der Kolonialzeit stammenden Monokulturen, zunehmender Monetarisierung der Wirtschaft auf Familien und Gesellschaft.

Ohne Entwicklung der Landwirtschaft könne es in Afrika keinen Fortschritt geben. Ihre Kritik gilt den Agrarkooperativen, die koloniale Strukturen am Leben erhalten, wo die analphabetischen Bauern beim Abliefern und

Wiegen der Erdnußernte betrogen würden, weil sie kein Geld, sondern Karten bekämen, die sie nicht lesen könnten. Unter dem Palaverbaum treffen sich dann die Bauern und diskutieren über ihre Situation.

Safi Faye sieht ihre Aufgabe nur darin, zu dokumentieren, Sprachrohr der Bauern zu sein. Ihre Filme hätten keine fixe Konzeption, sie seien Ergebnis einer Kooperation zwischen der Dorfbevölkerung und ihr, wenn sie eine Botschaft hätten, dann wäre das die Summe dessen, was die Bauern artikulieren wollten, denn sie bestimmten die Themen unter dem Palaverbaum.

Wegen ihrer Kritik an der herr schenden Agrarpolitik und der Ausbeutung der Bauern wurden bisher alle Filme Safi Fayes in Senegal zensuriert oder verboten.

Ebenfalls in Graz gezeigt wurde der Film „Fadjal“ aus dem Jahre 1979, ein Musterbeispiel für die Vielschichtigkeit afrikanischer Erzähltradition, die in mannigfaltiger Form den Duktus afrikanischer Filme bestimmt hat. Es ist die Chronik des Heimatdorfes von Safi Faye im Gebiet Sėrėre, Senegal, von seinen Anfängen bis zur Gegenwart.

Die Geschichte wird in vier Episoden erzählt, Gegenwart und Vergangenheit fließen ineinander, verknüpft durch den Erzähler, einen alten Mann, der den Kindern Traditionen vermittelt. Im Schulunterricht erfährt die junge Generation mehr über den französischen Sonnenkönig als über die eigenen Wurzeln. Die afrikanische Erzählertradition könnte eines Tages zum Erliegen kommen, wenn es keine Greise mehr gibt, die sie weiterführen. Im Film wird Mahamadou Am-

pathė zitiert: „In Afrika ist ein Greis, der stirbt, wie eine Bibliothek, die verbrennt.“

Für die Regisseurin gibt es eine unverfälschte, ursprüngliche Kultur ohnehin nicht mehr. Eine reine afrikanische Kultur hätte es nur gegeben, als man sie noch für primitiv hielt.

Die Regisseurin beklagte in Graz die schlechte ökonomische Lage der afrikanischen Filmemacher. Eine afrikanische Filmindustrie existiere überhaupt nicht. Selbst über die Grenzen Afrikas hinaus bekannte Regisseure wie der Senegalese Sembėne Ousma- ne könnten nicht von ihrer Arbeit leben und es sich nur alle drei bis sieben Jahre leisten, einen Film zu drehen. In ganz Schwarzafrika gäbe es keinen hauptberuflichen Regisseur.

Natürlich hat es Safi Faye als Frau doppelt schwer. Als Feministin will sie nicht gelten, das sei die Sache der Frauen im Westen, die Probleme mit ihrer Weiblichkeit hätten. Afrika habe soziale Organisationsformen mit stark matriarchalen Elementen. Das sei in Europa, wo viele negative Stereotype Afrika gegenüber bestünden, wenig bekannt. Auf dem Land gäbe es eine klare gerechte Rollenteilung, die sich erst in den Großstädten zu Ungunsten der Frauen verschiebe. Sie sei mit dem Bewußtsein aufgewachsen, daß in ihrem Heimatdorf die Frauen das Sagen hätten. Es sei schon richtig, daß nur die Männer unter dem Palaverbaum säßen, aber „was mein Vater morgen unter dem Palaverbaum wiederholen wird, ist ihm heute von meiner Mutter auf getragen worden zu sagen“.

Der Autor ist Leiter des Afro-Asiatischen Instituts in Graz.

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