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Untergang eines Chorführers

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„Der Untergang der Titanic“: Eigentlich nicht ein Untergang, sondern deren drei. In 33 Gesängen (wie Dantes „Inferno“) schildert Hans Magnus Enzensberger nicht nur das Ende des legendären Luxusdampfers Titanic, sondern auch den Untergang eines Manuskripts, den Untergang seiner' politisch idealistischen Träume anläßlich eines Aufenthalts in China im Jahre 1969. Ein trauriges Buch. Ein Abgesang.

Seit zehn Jahren hat sich das Thema des Hans Magnus Enzensberger nicht geändert: Die engagierte Linke ist noch immer sein Lieblingskind. Die Idealisten, die 1968 aufgebrochen waren und die Revolution durch das Bewußtsein und die Sinnlichkeit ausgerufen haben, besitzen noch immer sein Mitgefühl. Seine Sympathie. Auch wenn er vielleicht keiner von ihnen mehr ist.

Vor zehn Jahren hat Enzensberger großspurig den Tod der Literatur postuliert. Jetzt resümiert er den Tod der Linken, der „wildgewordenen Kleinbürger“, die sich alle auf demselben Schiff befinden. Traurig, enttäuscht und „furchtbar melancholisch“. Sie bemitleiden sich, besingen noch einmal ihr Ende. Mit larmoyan-ten Metaphern, mit wehmütigen Erinnerungen an bessere Zeiten.

Doch sie sind nicht allein auf dem Schiff. Das ganze Abendland hat sich versammelt und harrt auf seinen Untergang. In edler Pose, mit den immer gleichen Gesten und Bewegungen, den altbekannten Sprüchen, den altbekannten Lehren, aus denen sie keine Lehre gezogen haben. Im Sammelsurium der Narren, der Normalen, der Frustrierten, der Perversen, der Durchschnittlichen.

Inmitten von ihnen: Hans Magnus Enzensberger, der Chorführer in diesem Trauerspiel. Er hat alles an Wissen und Bildung, über das er verfügt, in dieses Buch hineingesteckt. Hat die Titanic überladen. Sie führt zuviel

Fracht, zu viele Anspielungen, zu viele Bilder, zu viele Metaphern mit sich. Wird dadurch fad und unverständlich. „Es gibt keine Kunst ohne Vergnügen“, heißt es einmal. Von Vergnügen ist nicht viel zu spüren. Enzensberger ist müde geworden, ihm fehlt die Aggressivität früherer Jahre, die Spontaneität, mit der er seine Gedichte schrieb.

Jetzt ist er nur mehr larmoyant. Schade.

DER UNTERGANG DER TITANIC. Von Hans Magnus Enzensberger, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt, 1978, öS 158,-.

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