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Unterhaltung aus zweiter Hand

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Immer weniger Inhalt, weniger Gefühl kommt in den Gesprächen zum Ausdruck. Dürftiger wird auch der Wortschatz: Bleiben nur Sprachschablonen in Monologen zu zweit?

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Immer weniger Inhalt, weniger Gefühl kommt in den Gesprächen zum Ausdruck. Dürftiger wird auch der Wortschatz: Bleiben nur Sprachschablonen in Monologen zu zweit?

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Sensible Zeitgenossen klagen, das Gespräch als wichtigstes Vehikel zwischenmenschlicher Kommunikation leide an Auszehrung; es werde immer inhaltsleerer, gefühlsärmer und unser Wortschatz dürftiger. Uber die möglichen Ursachen zerbrechen sich Fachleute mit unterschiedlichem Ergebnis den Kopf.

Vor nicht allzu vielen Jahren haben Soziologen ihren damals eher noch schöngeistig wirkenden Germanistik-Kollegen aufgezeigt, daß die Belletristik jeweils ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Zustände ihrer Zeit hergebe.

Also müßte sich auch aus der Gegenwartsliteratur herauslesen lassen, daß unsere Gesprächskultur im argen liege, denn von Uwe Johnson über Peter Handke bis Thomas Bernhard: In ihren Büchern unterhalten sich die Akteure fast durchweg kurzatmig, sprunghaft, in Wortschablonen; die Gedankenabläufe geschehen eher in introvertierter Monologform als im freien Austausch des Gesprächs.

Eine Passage aus „Montauk“ von Max Frisch mag dies demonstrieren: „Langsam mußte er es wissen. Lynn ist in Florida geboren, nicht in Kalifornien. College in Kalifornien. Die kurze Ehe hat stattgefunden in Sydney — sie wirft Sand, wenn er eine Frage gestellt hat, die er kein zweites Mal hätte stellen dürfen.

Sie erzählt nicht viel, er ja auch nicht, sie reden: Do you believe — what do you think — zum Beispiel über Richard Nixon. Er müsse vor Gericht gestellt werden, meint Lynn. Es ist windig, und vielleicht liegt es daran, daß sie nie lang bei einem Thema bleiben...“

Nach Meinung von Sprachwissenschaftlern kann aus der Oberflächenstruktur der literarischen Sprache, also der lesbaren Wörter und Sätze, auf die Tiefenstruktur ihrer Schöpfer, also auf die Erlebnis-, Vorstellungs- und Denkweise der Autoren geschlossen werden.

Die folgenden Beobachtungen konzentrieren sich auf den Alltag, in dem ja ebenfalls die beklagte Auszehrung des Gesprächs erkennbar sein müßte. Zweifellos ist heute ein wahrer Heißhunger zu registrieren, sich häufig „in Gesellschaft“ zu treffen: unter Kollegen, im Bekanntenkreis, mit Wildfremden auf Partys.

Das widerspricht auf den ersten Blick der These von einer Auszehrung, weü bei diesen Anlässen lustvoll kommuniziert wird. Nur, wer genauer hinhört: Es wird viel untereinander, aber wenig miteinander geredet.

Ubertrieben? Mitnichten. Die Unterhaltungen bei diesen Anlässen kreisen um Themen, die Allgemeingut geworden sind. Als emsige Medienkonsumenten brauchen wir, neben Tratsch, nur jenen Gesprächsstoff parat zu haben, den Morgenzeitung, Radio und Fernseher uns servieren. Und da die Leute um einen herum die gleichen Informationen konsumieren, ähneln die Gesprächsthemen allseits bekannten Versatzstücken.

Die Rede des Bundeskanzlers zur Lage der Nation kennen wir nicht im Wortlaut, wohl aber delektieren wir uns an der feinsinnigen Glosse des verehrten Feuille-tonisten über die „volksnahe“ Ausdrucksweise des Regierungschefs. Und die Diskussionsrunde von gestern abend im Fernsehen wird unbewußt nachgespielt, indem wir uns die Argumente jenes Teünehmers zu eigen machen, der ohnehin auf unserer Linie liegt

Auch früher schon hat es so etwas gegeben. Oscar Wilde schrieb: „Das ist die Kunst des Gesprächs: Alles zu berühren und sich in nichts zu vertiefen.“

Aber das Wissen aus zweiter Hand, das ungeprüft verwendet und weitergegeben wird, entwik-kelt heute ein Eigenleben mit einer Breitenwirkung, wie sie noch zu Beginn unseres Jahrhunderts unvorstellbar gewesen wäre. Die Folgen werden späteren Generationen noch viel Kopfzerbrechen bereiten.

Wo ein Gespräch aber das schützende Geländer des small talk verläßt und die eigene Person in ihrer Substanz zu fordern droht, haben viele Menschen besondere Abwehrmechanismen entwickelt: Sie trocknen es aus, bevor es richtig in Fluß kommt.

Selbst noch im Kollegenkreis spielt man seine lang eingeübte Rolle und vermeidet es wie der Teufel das Weihwasser, Spontaneität, Unsicherheit über den eigenen Standpunkt oder gar Emotionen zu zeigen.

Erst zu später Stunde, sobald der Alkohol seine Wirkung tut, lockern sich mit den Kragenknöpfen auch die geistigen Fesseln: Plötzlich wird das innere Ich transparent, überraschend für die Anwesenden, oft erschreckend in seiner Hilflosigkeit.

Aber auch dann sind es keine Gespräche, sondern Monologe, die irgendwann im Sand der eigenen Müdigkeit verrinnen.

Ausnahmen bestätigen die Regel. So sind auch heute Gespräche mitzuerleben, die in der Öde gesellschaftlicher Unterhaltungen wie Kleinodien wirken.

Zurück zu den Gesprächsquellen der Natur also: Unbüdung statt (Ver-)Bildung sei die Devise? So könnte das Programm einer neuen alternativen Partei zur Förderung zwischenmenschlicher Kontakte lauten.

Wer möchte heute zum Beispiel die Euphorie bremsen wollen, immer mehr neue Medien seien notwendig, um die Gesellschaft durch noch mehr Informationen und Unterhaltung gescheiter und glücklicher zu machen? Wer würde sich dafür einsetzen, daß die Vereinfachung der eigenen Sprache — man denke nur an die Com-puterschematisierung — Verarmung und nicht Fortschritt bedeute?

Die äußeren Einwirkungen ändern sich, aber offensichtlich bleiben die Grundmuster menschlicher Verhaltensweisen über Jahrhunderte hin die gleichen.

Ein Wunder fast, daß wir heute noch Ohren haben. Doch wir brauchen ihn ja noch, den Gehörsinn — wenigstens, um unser Stichwort aufzunehmen, sobald es im Gespräch fällt.

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