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Unterirdisch Flanieren

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Der Umbauvorschlag eines Dänen für den Wiener Karlsplatz gefiel der Jury des geladenen Wettbewerbes am besten — und ein österreichischer Teilnehmer erläuterte im Wiener Ingenieur- und Architektenverein sein — durchgefallenes — Projekt. Die Juroren waren zu der Auffassung gelangt, sein Vorschlag, die Fußgängerwege im Bereich der Se-cession als Brücken sechs Meter über dem Straßenniveau zu führen, stehe im Gegensatz zu der gestellten Aufgabe, eine Verbesserung der stadthygienischen Verhältnisse durch Bepflanzung zu erreichen.

Da der unter ferner liefen abgetane Teilnehmer (die Juroren befanden, ,,auch im übrigen“ biete sein Projekt „wenig Möglichkeiten zum freien, ungehinderten menschlichen Aufenthalt, zum Flanieren und zur Begegnung, da sich nirgends begehbare Räume bilden, sondern nur Gehrichtungen im Sinne einer starken Achsialität“) immerhin Clemens Holzmeister heißt, scheint sein Karlsplatzprojekt doch eines zweiten Blickes wert.

Niemand weiß, was von den Mitgliedern dei Jury, deren Beratungen vertraulich waren, gesprochen wurde, aber ihre Entscheidungen — und protokollierten Entscheidungsmotive — legen den Schluß nahe, daß sie für eine dem Fußgängerverkehr vorbehaltene zweite oberirdische Verkehrsebene, sprich Fußgängerbrücke und erhöhte Terrassen, an sich wenig Liebe aufbrachten.

Da die Ausschreibung „die Verbesserung der stadthygienischen Verhältnisse zwischen Schwarzenbergplatz und Schillerplatz, die Herstellung bequemer, ungefährdeter Fußgängerverbindungen... in diesem Bereich“ forderte, scheint somit ein Axiom für die Karlsplatzgestaltung klargestellt: Wo Fußgängerund motorisierter Verkehr einander kreuzen, sollen die Fußgänger in den Keller, sprich in die unterirdischen Verkehrsbauwerke.

Damit dürfte die unabhängige Jury mit ihrem Urteil ziemlich genau das getroffen haben, was man als Rathausgeschmack bezeichnen könnte. Denn auch die flüchtigsten Kenner der im Wiener Rathaus vorherrschenden Architekturmentalität meinen, daß jene gewisse Eifersucht, mit der die Schöpfer des neuen Wien lange auf die Schöpfungen des alten Wien blickten, noch nicht völlig überwunden ist.

Wettbewerbsteilnehmer, die die Karlsplatzspaziergänger im Seces-sionsbereich nicht darauf angewiesen sehen wollten, als Schauplatz für „ungehinderten menschlichen Aufenthalt“, für „Flanieren und... Begegnung“ auch im Sommer die unterirdischen Verkehrsbauwerke mit ihren, wie man durchaus hoffen darf, attraktiven Ladenstraßen zu wählen, mußten im Bereich der Se-cession ziemlich zwangsläufig auf eine erhöhte Fußgängerebene zurückgreifen. Im Holzmeister-Projekt ist in luftiger Höhe sehr wohl Raum zum Flanieren und zur ungehinderten Bewegung vorgesehen, denn die Brücken, die die Akademie der bildenden Künste, zwei Atelierneubauten sowie die Secession miteinander verbinden und die Operngasse überspannen, führen zu einer die Kärntnerstraße im Bereich der Lastenstraße überdeckenden, von Holzmeister so genannten „Bastei“ mit Restaurant und Cafe, mit attraktivem Blick auf Karlskirche und Karlsplatz und einem kleinen Bieroder Gasthausgarten zu ebener Erde.

Ein wesentlicher Effekt wurde von den Juroren möglicherweise übersehen: Die von ihnen abwertend als „Ingenieurbauten“ bezeichneten Fußgängerbrücken stünden den größten Teil des Jahres nicht nak-kend in der Gegend, sondern verschwänden teilweise zwischen Baumwipfeln und böten ihren Benutzern reizvolle Aus- und Durchblicke ins Geäst.

Zweifellos haben die prämiierten Entwürfe (erster Preis: Andersson, Kopenhagen; zweiter Preis: Martins-son, Karlsruhe) ihre Qualitäten. Und Fehler. Ebenso zweifellos hat auch der Holzmeister-Entwurf Schwächen, wie uns scheinen will, vor allem im unmittelbaren Bereich der Karlskirche selbst. Professor Holzmeister will in Wiederherstellung der bei der Planung der Kirche durch Fischer von Erl ach zu berücksichtigenden Verhältnisse, das Terrain unmittelbar vor der Kirche um mehrere Meter senken, wodurch für den vor der Barockfassade Stehenden deren ursprüngliche Monumentalität wiederhergestellt würde. Nicht ganz geglückt erscheint dabei die Führung der Böschungen, vor allem aber die etwas pompöse gartenarchitektonische Gestaltung. In diesem Punkt kann man den Juroren folgen, wenn sie meinten: „Die anspruchsvollen Terrassen und Kaskaden vor der Karlskirche werden deren Wirkung nicht steigern, sondern schmälern.“

Aber hier handelt es sich um ein leicht korrigierbares Detail. Und auch über einige andere Einzelheiten könnte man noch reden.

Aber insgesamt, ebenso wie in zahlreichen Details, ist der Holzmeister-Entwurf eine so überzeugende, im ihrer Gesamtauffassung monumentale, dabei nicht den Dimensionen des Menschlichen entschwebende Lösung, daß es — sachlich jedenfalls — unverständlich erscheint, daß sie nicht berücksichtigt wurde. Daß sie nicht einmal eines Splitters vom aufgeteilten dritten Preis teilhaftig wurde, weckt Verstimmung.

Denn wenige andere Entwürfe nehmen soviel Rücksicht auf den — allen Teilnehmern in der Ausschreibung dringend ans Herz gelegten — alten Baumbestand im Ressel-Park und weiteren Karlsplatzbereich, und der Siegerentwurf läßt da einige begründete Ängste entstehen. Und wenige andere Entwürfe, darunter etwa das Projekt von Feuerstein, Hoppe und Winterstein lassen so optimale Durchblickverhältnisse aus dem Bereich der Secession zur Karlskirche erwarten.

Holzmeister und Feuerstein schlagen übrigens auch die Schleifung des Häuserblocks Ecke Operngasse und Lastenstraße vor. Bei Holzmeister ging die Jury darüber hinweg, Feuerstein hingegen wurde angekreidet, er habe „auch Bauplätze herangezogen, die derzeit bebaut sind bzw. für diesen Wettbewerb nicht zur Verfügung standen, wie zum Beispiel der Baublock östlich der Akademie der Bildenden Künste. Erkennbare funktionelle Vorteile werden durch diese Vorschläge jedoch nicht gewonnen“.

Nun soll der Baublock, dessen Beseitigung sowohl Holzmeister als auch Feuerstein/Hoppe/Winterstein vorsahen, wie man hört, ohnehin zumindest teilweise dem U-Bahn-Bau zum Opfer fallen. Die Herstellung eines freien Blickes auf die Akademie und eines Durchblickes von der Karlsplatz-Landschaft zum Schillerplatz, wodurch Weiträumigkeit gewonnen würde, wären durchaus als städtebauliche Vorteile zu berücksichtigen gewesen. Die Jury hat es sich in diesem Punkt der Gruppe der drei Architekten gegenüber sehr leicht gemacht.

Bei der Beurteilung des Holzmeister-Projekts wurde großmütig darüber hinweggegangen, daß er sich ebenfalls, wiewohl unzuständig, Gedanken darüber machte, was mit diesem Grundstück geschehen könnte. Denn sein Plan enthält einen weiteren, nicht so ohne weiteres unter den Tisch manipulierbaren funktionellen Vorteil. Bekanntlich leidet die Akademie der Bildenden Künste an arger Raumnot. Holzmeister will an Stelle des zu schleifenden Baublocks auf einem Teil des Grundstücks zwei niedrige Atelierbauten für die Akademie errichten, die die Sichtverhältnisse nicht beeinträchtigen.

Der Karlsplatz war immer ein Sorgenkind des Wiener Städtebaues (soweit es in den letzten Jahrzehnten in Wien überhaupt derlei gab). -'-von Otto Wagner prägte das Bonmot, der Karlsplatz sei kein Platz, sondern eine Gegend. Darüber, ob sein Museumsprojekt für die Ostseite des Platze j die Karlskirche beeinträchtigt hätte oder nicht, wurde viel gestritten — ein Blick in Wagners Pläne läßt dieses nie verwirklichte Bauwerk (das später, anders, auf der Schmelz entstehen sollte, dann aber dem Kriegsausbruch 1914 zum Opfer fiel) so bedeutend erscheinen, daß vermutlich jenes Nebeneinander erstklassiger Architekturen verschiedenen Geistes und verschiedener Epochen, das kaum je zu Dissonanzen führt, entstanden wäre.

Über das Museum der Stadt Wien, das dann nach dem zweiten Weltkrieg dort errichtet wurde, braucht man kein Wort zu verlieren, es ist eine Ohrfeige aus Stein und zählt zu jenen Gegebenheiten, mit denen alle Karlsplatz-Planer zu rechnen hatten und haben. Auf der Ostseite des Platzes ist nicht mehr viel zu retten oder zu verderben, aber auch über die übrigen eigentlich architektonischen Probleme des Karlsplatzes sollten sich die Geladenen nicht allzu viele Gedanken machen.

Selber schuld, wenn sie nicht verstanden, was in der Vorbemerkung zur Ausschreibung stand: „Im Zusammenhang damit treten auch gewisse Fragen der Abrundung oder Veränderung der Bebauung an den Rändern der Fußgängerzonen auf. Im Rahmen dieses Wettbewerbes sind solche Fragen jedoch nur hinsichtlich ihrer städtebaulichen Bedeutung als Randausbildung der öffentlichen Grünräume zu behandeln.“

1 darf gespannt sein, wie die '•Zuständigen im Rathaus die Ränder der Fußgängerzone namens Karlsplatz abrunden oder verändern werden. Ohne Kenntnis darüber waren die bevorstehenden Abrun-dungen und Veränderungen naturgemäß, auch eingeschränkt auf ihre städtebauliche Bedeutung als Randausbildung öffentlicher Grünräume, schwer zu berücksichtigen. Was einlangte, betrachtete die Jury dann offenbar unter dem Blickwinkel einer Bevorzugung jener Projekte, die die Peripherie des Karlsplatzes, vor allem im Bereich der Secession, als Oberflächengestaltung eines Areals für Wühlmäuse behandeln, welche sich erst im unmittelbaren Karlsplatz-Resselpark-Bereich in Fußgänger verwandeln sollen.

Es wäre ehrlicher gewesen, die Wettbewerbsteilnehmer über diese Präferenzen nicht im unklaren zu lassen.

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