6809515-1972_26_03.jpg
Digital In Arbeit

Unternehmerrisiko - und das Risiko der Freiheit

19451960198020002020

„Die Spekulation, Taiwans Anziehungskraft für ausländische Investitionen werde ebenso abnehmen wie seine Zukuhfts-hoffnungen nach der Annäherung Pekings an den Westen, war offenbar unbegründet. Zwar zögern amerikanische Wirtschaftstreibende noch, in Geschäfte mit der Insel Tschiangkaischeks einzusteigen, dafür treten japanische und westdeutsche mit aller Macht in Erscheinung. Die Überlegung dabei ist, daß mit dem Anschluß Taiwans an Peking erst in etwa zehn Jahren zu rechnen ist.“ (US-Magazin „Newsweek“, Washington, am 5. Juni 1972.)

19451960198020002020

„Die Spekulation, Taiwans Anziehungskraft für ausländische Investitionen werde ebenso abnehmen wie seine Zukuhfts-hoffnungen nach der Annäherung Pekings an den Westen, war offenbar unbegründet. Zwar zögern amerikanische Wirtschaftstreibende noch, in Geschäfte mit der Insel Tschiangkaischeks einzusteigen, dafür treten japanische und westdeutsche mit aller Macht in Erscheinung. Die Überlegung dabei ist, daß mit dem Anschluß Taiwans an Peking erst in etwa zehn Jahren zu rechnen ist.“ (US-Magazin „Newsweek“, Washington, am 5. Juni 1972.)

Werbung
Werbung
Werbung

Ob der Selbstbehauptungswille der freien Welt des Westens nach der Reise des US-Präsidenten Nixon ;n die Sowjetunion stärker geworden ist, wird sich erweisen. Neu belebt sind jedenfalls alte Hoffnungen der Wirtschaftsliberalen und der Technokraten in diesem Teil der Welt: Da es die USA und die UdSSR beim Management der fortschrittlichen industriellen Wirtschaft immer häufiger mit ähnlichen Problemen zu tun bekommen, und da es sich ergibt, daß sie mehr und mehr ähnliche Methoden zur Lösung ähnlicher Probleme verwenden, wird sich die Theorie der „Convergence“ schließlich doch bewahrheiten. Gorge W. Ball beschrieb die vulgäre Fassung der Konvergenztheorie dieser Tage folgendermaßen: „Mit der Zeit werden die Kommunisten mehr und mehr wie Kapitalisten handeln. Und die Kapitalisten wie Kommunisten. Und so werden wir eines Tages alle miteinander glücklich leben.“

Der alte Mann und die Ideologien

Mr. Ball ist 63 Jahre alt und gehört daher nach heutiger Anschauung zum alten Eisen. Immerhin zählte er in den sechziger Jahren, in der Ära Kennedy/Johnson, zur Welt-spitzenklassse der Wirtschafts- und Außenpolitiker und zu den Anhängern der von Kennedy propagierten Form des „entideologisierten“ Industriesystems. Es ist daher verständlieh, daß Ball vor allem ein Hindernis auf dem Weg der Convergence fürchtet: die Ideologiegläubigkeit politischer Parteien, diesen „Geist der Inquisition“, die Sucht, die „Reinheit der Lehre“ unter allen Umständen zu bewahren. Und also werden die Ideologen den Technokraten und Managern nicht gestatten, Erfordernissen der Marktstruktur und der Marktbewegungen nachzukommen, wenn diese nicht ideologiekonform sind. Dann wird die wirtschaftliche Konvergenz wegen der „basic issues of the cold war“ eine ideologische Divergenz hervorrufen. Ball denkt dabei an die USA und redet über die UdSSR: Dort bestehe ein Primat der Partei, der Glaube in den Fortgang der Weltrevolution und die Uberzeugung, daß nur Rußland diese Mission erfüllen werde. Immer sei die russische Weltpolitik von solchem missionarischen Eifer angetrieben worden (Hinweis: Moskau, das Dritte Rom; der Panslawismus) und also gäbe es nach Nixons Besuch in Moskau nichts neues unter der Sonne.

Die mehr zeitgeschichtlich interessierten Beobachter werden sich angesichts der von Ball entwickelten Skepsis eher an Vorgänge erinnern, die sich 1968 in der CSSR ereigneten: Junge Technokraten wollten die von alten Stalinisten geschaffene Kommandowirtschaft reformieren. Diese mehr oberflächliche Vermischung von Technokrate und Kommunismus hält nicht. Schließlich wird sie vom „Panzerkommunismus“ (Ernst Fischer) überrollt. Wer Convergence will, muß sie auf tieferliegenden gemeinsamen Fundamenten der USA und der UdSSR aufbauen.

Im Ei des Leviathans

Zu den jetzigen Zeitirrtümern gehört die Vorstellung, die USA und die UdSSR seien als ideologische Antipoden entstanden und müßten grundsätzliche politische Gegner sein. Die Wahrheit ist, daß die beiden heutigen Supermächte, die Gendarmen der Ordnung von 1945, zum Teil dieselben geistigen Fundamente haben. Lenin hat diese Gemeinsamkeit unwillkürlich sichtbar gemacht, als er die „drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus“ untersuchte und dabei auf „das Beste (stieß), was Menschengeist gechaf-fen hat“: die deutsche Philosophie; gemeint sind die Systeme von Kant bis Hegel, soweit darin der Immanenzgedanke angelsächsischer Aufklärer nachwirkt, die „Erlösung“ im Diesseits. Dann die politische ökonomie, wobei die Wirtschaftstheorie des Marxismus und das von Angelsachsen diesseits und jenseits des Atlantiks entwickelte Idustriesystem auf dem Fundament des David Ricardo stehen. Und: der französische Sozialismus, der das von den Bürgern in Amerika (1775) und Frankreich (1789) entwickelte revolutionäre Prinzip für den Klassenkampf der Proletarier übernahm.

Tatzeugen von Rang haben in der Gegenwart diese weit zurückreichenden Parallelen und Konvergenzen bestätigt: Malraux, Atheist, Kommunist bis 1939, zuletzt Kultusminister de Gaulles, bestätigt 1967 dem Kommunismus, daß dessen Ideologie am beten erfaßt hat, welche „Keime und Fermente“ in dem von Amerikanern und Franzosen zuerst entwickelten “ revolutionären Prinzip stecken. Und: die Amerikaner seien zwar fromme Leute, aber die amerikanische Kultur sei keine religiöse. Laski, Politologe, Sozialist, Vorsitzer der Partei, die 1945 Winston Churchill jene blamable Wahlniederlage zufügte, stellt 1944 fest, es gebe keine andere Grundlage zum Wiederaufbau der zivilisierten Tradition als jene, auf die sich die russische Revolution gründet.

Vom Liberalismus zum Kommunismus

Wer den Liberalismus als die immanente Erlösung von Mensch und Gesellschaft versteht, kann eine innere Folgerichtigkeit des Ubergangs vom Liberalsimus zum Kommunismus, wie er in der Intelligenz jetzt vielfach stattfindet, nicht bestreiten. In diesem Fall ist der Kommunismus radikalster Ausdruck einer Erfüllung im Diesseits, einer Kenntnis und Neuordnung der materiellen Welt. Im übrigen ist das Leben sinnlos und mit dem Grabe zu Ende.

In die Nähe dieser Ultima ratio kommen heute progressive Katholiken, wenn sie wenig oder nichts davon halten, über die Unsterblichkeit der Seele mit anderen zu streiten, wenn feststeht, daß Hunger jedenfalls tödlich ist. Unter den zahlreichen Schriftstellern katholischer Herkunft, die sich auf diese Rutschbahn des Sinistrismo begaben, ragt Mary McCarthy als Type hervor. McCarthy wuchs in jenen dreißiger und vierziger Jahren auf, als in den USA die Eigenschaft „katholisch“ so richtig „in“ war. In ihrem Buch „Eine katholische Kindheit“ ironisiert sie nachträglich die katholische Schwärmerei und Träumerei, die sie aufgab, als sie in den sechziger Jahren anfing, mit einer für eine weibliche Autorin beträchtlichen Brutalität sexuelle Intimvorgänge oder unappetitliche Vorgänge auf Aborten im Detail zu schildern. Damit Bestsellerautorin in den USA und im Rest ofthe World, 'legte'sie ihren „Report: Hanoi 1968“ vor. Jene Saga vom Viet-kong, in der sie die Kapitulation der USA in Indochina als die am wenigsten verbrecherische Liquidierung des Widerstands gegen die kommunistische Aggression in Ostasien verlangt. McCarthy rechnet in diesem Report nicht nur mit ihren Gegnern in den USA ab. Als nunmehrige Liberale produziert sie eines jener Images des Kommunismus, hinter dem in den sechziger Jahren unzählige junge Katholiken und Intellektuelle herliefen: 850.000 Menschen, die nach der Machtergreifung der Kommunisten in Hanoi flohen, sind für McCarthy Zeugen der Liberalität der dortigen Kommunisten, die sozusagen das Gebet erfüllten: Let my people go. Die US-Bürgerin darf in diesem Punkt auf das volle Verständnis jener Europäer rechnen, die es nicht „aufregt“, daß in Ost- und Ostmitteleuropa Millionen Menschen, nicht nur Deutsche oder Nazis, entweder ihre Heimat oder ihre Freiheit verloren. Ein Vorgang, unter dem jetzt „o. k.“ steht.

McCarthy hält dafür, daß es „gar nicht so großartig ist, den Kommunismus aufhalten zu wollen“. Denn: was die „westlichen Länder als Alternative des Kommunismus zu bieten haben, ist durch die Bank auf seine Art häßlich“. Und: kommunistische Staaten haben laut McCarthy eine bessere Ausgangsposition, um „mit Problemen unserer Zeit fertigzuwer-den“. Man erwidere nicht, die Dame sei eine dumme Gans. Der Autor erinnert sich an das Erstaunen, mit dem ein kompetenter Sowjetfunktionär die Gegnerschaft des Autors zum Kommunismus quittierte; wo doch einer der drei oder fünf potentesten Unternehmer des Landes (diesmal ist von Österreich die Rede) eingeräumt hätte: vielleicht sei der Kommunismus wirklich nicht aufzuhalten; dann aber möge es wenigstens nicht so gewalttätig zugehen wie i917 in Rußland. Zur Einschätzung dieses Risikos' liegen auch 'Ansichten sozialistischer Prominenter vor.

McCarthy schätzt jedenfalls das Risiko nach dem Sieg des Kommunismus gering ein. Kollaborateure der USA würden Vietnam mit dem letzten Truppentransporter verlassen und anderswo auf dem Arbeitsmarkt auftauchen. Einige bürgerliche Intellektuelle würden wohl ins Exil gehen, die meisten würden damit rechnen, daß dem Kommunismus gute Experten, die die Gesinnung rasch wechseln, immer willkommen sind. Was diejenigen Vietnamesen anlangt, die ihren Staat im Kampf gegen die kommunistische Aggression unterstützen, so zögert McCarthy mit der definitiven Antwort. Diese Antwort gaben unlängst die Kommunisten, als sie nach der Eroberung einer Stadt in Süd Vietnam diese „Funktionäre“ massakrierten. Das konnten natürlich die vorgeschobenen Beobachter des US-News-Management in Hanoi nicht sehen, die nur auf die Greuel des Bombenkriegs achten.

Ganz klar sieht McCarthy 1968 ihr Schicksal als Schriftstellerin unter dem Kommunismus. Sie sieht sich in einer Linie mit Pasternak, Sol-schenizyn, Siniaswki oder Daniel, und sie würde lieber deren Los in der Sowjetunion teilen als eine Gemeinschaft mit Gegnern des Kommunismus in den USA. Man muß entschuldigend einfügen: 1968 wurden in sozialistischen Ländern aufsässige Publizisten noch nicht in Irrenhäuser gesperrt.

*

Summa summarum: viele, zu viele Intellektuelle in der freien Welt des Westens schätzen ihr Risiko im Umgang mit dem Kommunismus gering ein. Man vergleicht die Hekatomben von Leichen, die der Stalinismus und der Hitlerismus hinterließen, erklärt diese Vergleichsbasis auch hic et nunc als gegeben und entscheidet sich: na, dann lieber mit den Kommuniston.

'Während ich diese Zeilen schreibe, kämpfen Menschen, die keine Kapitalisten sind, keine Faschisten oder Militaristen, gegen Kommunisten. Nicht in den Forumsdiskussionen und Fernsehstudios der freien Welt des Westens, sondern in einem „schmutzigen Krieg“. Während die US-Infanterie die Kampffront verläßt, gehen sie in Bereitstellungsräume; vorbei an den endlosen Kolonnen derer, die vor dem Krieg und vor den Kommunisten flüchten; müssen sie sich gegen Deserteure wehren; und kämpfen sie gegen besser geführte, besser ausgerüstete, besser unterstützte kommunistische Divisionen.

Da und dort wirft einer die Arme in die Luft und fällt. Gestern noch hat man ihm erzählt, es würde ohnehin bald alles vorbei sein. Wenn erst die Kommunisten in einer neuen Koalitionsregierung in Saigon sitzen, hört das Schießen auf. Die Kommunisten sind seit 1945 in vielen Staaten in Koalitionsregierungen eingetreten, um Schluß zu machen. Nur noch das „Letzte Gefecht“ nach den ersten Takten der „Internationale“ — und dann ist Schluß. Wann? Es ist jedenfalls noch Zeit, einige Investitionsgeschäfte zu tätigen.'

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung