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Unterschiede

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Die Kunst ist Ausdruck der Zeit, und meist ist die Kunst ihrer Zeit voraus. Manchmal hinkt sie hinterdrein und kündigt doch etwas Neues an.

Bei der diesjährigen Biennale in Venedig wird zum Beispiel der russische Maler Aristarch Lentulov gezeigt. Der russische Kommissar Vladimir Goriainov hat, natürlich mit Zustimmung des Kulturministeriums, für das Avantgarde-Festival einen Künstler ausgewählt, der 1882 geboren wurde und 1943 gestorben ist. Viele seiner besten Werke schuf Lentulov in der vorrevolutionären Zeit, als auch die russischen Künstler noch nicht von der Welt ausgeschlossen waren.

Lentulov war in den Jahren 1911 und 1912 auch in Paris und stark beeinflußt von Futurismus und Kubismus. Offenheit und Experimentierfreude prägen sein Werk. Im Katalog würdigt Goriainov das Ungestüm, die Kühnheit und den Enthusiasmus des Malers, und er meint auch, hier handle es sich um russische Nationaleigenschaften.

Wenn das stimmt, dann wurden diese Eigenschaften bald nach der Revolution unterdrückt. Nicht im Katalog steht, daß Aristarch Lentulov schon einmal auf der Biennale vertreten war —und zwar 1924. Es steht auch nicht im Katalog, daß diese Art von Kunst in der langdau-e'rnden Ära des sozialistischen Realismus verpönt war, und daß Lentulov, wie viele andere, die sich der Moderne verpflichtet fühlten, verfolgt worden war.

Daß ihm 45 Jahre nach seinem Tod eine Retrospektive auf der Biennale gewidmet wird, ist eine späte Rehabilitierung und ein Zeichen, das bewußt gesetzt wurde: Glas-nost und Perestrojka gelten auch für die Kunst. Ein toter Mpderner ist auch ein guter Moderner. Der Wandel wird angedeutet, und der Nachholbedarf ist groß.

Wie groß, wird in einem ungarischen Pavillon deutlich. Und auch der Unterschied zwischen Mitteleuropa und Osteuropa. Ungarn stellt junge Künstler vor, sie sind 36, 41 und 42 Jahre alt, und einer, Sdndor Pinczehe-lyi, tobt sich richtig aus. Ironie wäre ein begütigender Ausdruck für die unverfrorene Deutlichkeit, mit der hier der Kommunismus verhöhnt wird. Da breitet sich augenzwinkernder Ubermut aus, und es wird die heitere Bereitschaft signalisiert, die Freiheit, deren Zipfel man in der Hand hat, zu nützen.

Während Gorbatschow den Futurismus gestattet, lassen die Ungarn bereits Andy Warhol hinter sich.

Aber für die Sowjetunion ist schon der Futurismus ganz schön dynamisch.

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