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Unterschiedliches zu Thomas Bernhard

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Das Werk von Thomas Bernhard war schon immer eine Fundgrube für Interpreten. Sein Leben ist 1989 zu Ende gegangen, die Beschäftigung mit Person und Werk aber nimmt kein Ende. Leider gibt es dabei nicht nur Erfreuliches zu vermelden.

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Das Werk von Thomas Bernhard war schon immer eine Fundgrube für Interpreten. Sein Leben ist 1989 zu Ende gegangen, die Beschäftigung mit Person und Werk aber nimmt kein Ende. Leider gibt es dabei nicht nur Erfreuliches zu vermelden.

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Man muß sich schon das Inhaltsverzeichnis ansehen, um dahinterzukommen, daß das Buch mit dem vielversprechenden Titel „Der konservative Anarchist. Thomas Bernhard und das Staats-Theater" nur aus Interviews besteht. Zwar sind die Interviewpartner durchaus interessant, aber die naive Diktion der Interviewerin wird schon nach etlichen Seiten unerträglich. Der Anspruch „Ich versuche, mit Hilfe von ,Oral History' ein neues Bernhard-Bild in einem Puzzle zusammenzusetzen"- so beginnt das Gespräch mit Gerhard Klingenberg -ist hoffnungslos überzogen. Es kommen nur Histörchen heraus, und an ihnen ist Maria Fialik, die „Autorin" des Buches, ja auch brennend interessiert (zum Beispiel: Wie hat Ursula Pasterk ein Exemplar von „Heldenplatz" erhalten?) Das einzig Amüsante an diesen Recherchen: Robert Jungbluth bestätigt selbst, daß er Thomas Bernhard als Burgtheaterdirektor zu gewinnen suchte und beim Anblick seines Vierkanthofes in Ohlsdorf meinte: „Wer so ein Haus herrichten kann, der kann auch das Burgtheater leiten." Wer weiß, vielleicht sollte sich das Burgtheater mit der Immobilienbranche kurzschließen, wenn es wieder einmal auf Kandidatensuche für den Direktorsposten geht.

Aber wie gesagt, man muß sich durch viel diffuses Zeug hindurchlesen, um wenigstens auf solche Blüten zu stoßen. Denn Maria Fialik läßt sich auch selbst ausreichend zu Wort kommen, sie vermerkt sogar, wo sie lachen mußte. Und immer wieder merkt man, wie die Interviewpartner ihr auf die Sprünge helfen; einige muß sie ganz schön genervt haben. Daß daraus ein Buch geworden ist, ist ein übler Scherz mit den Thomas-Bernhard-Lesern. Aber der Klappentext kündigt ja schon Fialiks Dissertation über Thomas Bernhard an - was einem da wohl noch bevorsteht? Übrigens: Auch Herbert Moritz, so berichtet das Vorwort, arbeitet an einer Bernhard-Studie. Ob es da wohl um Germanistik geht, oder - man erinnere sich -um sein Zweitfach Psychologie?

Wichtige Markierungspunkte setzte „Text und Kritik" mit den ersten beiden Auflagen des Bernhard-Bandes. Die dritte Auflage, eine völlige Neufassung, repräsentiert weitgehend nur einen Tiefpunkt gegenwärtiger Germanistik. Auffällig ist die Provin-zialität der deutschen Zunft, die die österreichischen Kollegen grundsätzlich auszuschließen scheint; hier gäbe es wahrlich - davon sollte man Heinz Ludwig Arnold als Herausgeber in Kenntnis setzen - interessante Bernhard-Experten, „arrivierte" wie junge.

Die Anti-Bildungsromane

Aus der bekannten Riege der Bernhard-Forscher ist Bernhard Sorg vertreten. Seine Kritik des Spätwerkes, dargestellt am Beispiel von „Auslöschung" und „Heldenplatz", kontrastiert auf interessante Weise mit Hermann Kortes Verteidigung der „Übertreibungskunst" Bernhards. Sorg diagnostiziert das Scheitern Bernhards, wo er zu allgemeinen Sätzen vorstoßen will und die Monologe der Gescheiterten zur einzigen Perspektive werden, die kein Gegenüber und keine biographische Kausalität mehr aufbricht. Kortes glänzende und gut geschriebene Deutung von „Auslöschung" sieht die monoperspektivische und monomanische Auslöschung des „Herkunftskomplexes" durch die Anlage des Romans und durch die Zitate von Rollenkonstellationen des Bildungsromanes konterkariert und vor allem dadurch aufgebrochen, daß

„Auslöschung" nicht nur zur Formel der literarischen Aufarbeitung von Wolfsegg, sondern auch zum Stichwort wird, das die Gegner, die Repräsentanten des allgegenwärtigen bern-hardschen Stumpfsinnes charakterisiert.

Interessant (aber nicht ganz ohne literaturtheoretische Voraussetzungen lesbar) ist auch der äußerst differenziert angelegte Vergleich von Bernhard und Beckett; der Bernhard-Dis-sertant Willi Huntemann setzt beide Werke in Beziehung zu literarischen Postmoderne-Konzepten. Er kontrastiert die bernhardsche „Finsternis" („In der Finsternis wird alles deut-

lieh"), die als künstliche Dunkelheit der Verdeutlichung dient und letztlich auf Aufklärung bezogen ist, mit Becketts Diktum „Wenn es nur Dunkelheit gäbe, würde alles klar sein. Weil es nicht nur Dunkelheit, sondern auch Licht gibt, wird unsere Situation unerklärbar".

Der Rest dieses Bernhard-Bandes ist leider zu vergesset: Über Bernhards Anfänge gibt es schon wesentlich Differenzierteres zu lesen, über den biographischen Hintergrund seines Wahrheitsrigorismus wird nur eine biedere Faktenauflistung auf äußerst dünner Materialbasis geliefert. Hugo Dittberner bietet eine schlecht begriin-

dete Hypothese, die in ihrer Generalisierung unhaltbar ist: „Die Gedichte, das Konventionelle meinte Bernhard ernst; die originelle Formulierungskunst der künstlichen Erregung nahm er spielerisch"; Bernhard war für ihn nur „spielerisch negativ".

Eine einfache und „bewährte" Art, einem Autor nicht gerecht zu werden, repräsentiert der Aufsatz über das Schrift-Motiv in Bernhards Romanen: Man nehme eine Definition des Erzählens (von Walter Benjamin), um zu zeigen, daß Bernhard kein Erzähler ist. Ähnlich ist - mit Bezug auf Heimito von Doderer - Herbert Eisenreich schon 1963 vorgegangen. Ein Vergleich mit Carl Schmitt will uns weismachen, daß dieser geradezu eine zentrale Verstehensvoraussetzung für Bernhard darstellt. Und wenn Schmitt erst die Möglichkeit gehabt hätte, Bernhard zu lesen... nein, so darf man nicht vergleichen - und „nebenbei" wird auch noch E. M. Cioran mißverstanden, der hier ebenfalls herhalten muß.

Abseits aller Kontroversen ist Bernhard für viele mittlerweile zur Kultfigur geworden; sie stellen einen gut zu bedienenden Markt für Bernhard-Devotionalien dar. „Auf den Spuren von Thomas Bernhard" von Augustin Baumgartner hat uns Bilder zu den Orten geliefert, die im Werk Bernhards eine Rolle spielen, und sie mit reichlich betulichen Kommentaren versehen. Und da er den Salzburger Stadtteil Maxglan offenbar nicht kennt, läßt er Bernhards Großvater Johannes Freumbichler auf einem Friedhof begraben sein, der nach einem Herrn Max Glan benannt zu sein scheint.

Ein eindrucksvolles Werk

Das wirkliche Großereignis für Bernhard-Leser ist der von Sepp Dreissinger in der „Bibliothek der Provinz" herausgegebene Portrait-Band, der nach einer „Vorauflage" im Jahr 1991 mittlerweile in noch beste-chendfcrer Druckqualität erschienen ist. Über den Rang eines reinen Kultbuches erhebt ihn schon die Dokumentation der Theater-Aufführungen der Bernhard-Stücke wie auch der Wiederabdruck mancher schwer zugänglicher Texte über Bernhard. Die Fotos - zumeist von künstlerischer-

Qualität - markieren Bernhards Lebensstationen und zeigen die vielen Gesichter dieses Autors, die sich nicht auf ein Bild harmonisieren lassen. Erstmals ist auch Bernhards Vater Alois Zuckerstädter zu sehen; Bernhard ist ihm Zeit seines Lebens nie begegnet, und das Foto ist erst nach seinem Tod aufgetaucht. Eine Reihe von Schnappschüssen des „privaten" Thomas Bernhard runden das Bild ab. Die widersprüchliche Einstellung des Autors zur Fotografie zeichnet der einleitende Essay von Wieland Schmied nach.

Kein Voyeurismus

An keiner Stelle sind diese Porträts ein indiskretes Guckloch in die post-hum aufgerissene Privatsphäre eines Menschen. Aber sie bestätigen eindrucksvoll das vorangestellte Bernhard-Zitat: „Die Physiognomie eines Menschen ist ja was sehr Interessantes, da ist ja schon alles drin." In fast allen Fällen besticht die Korrespondenz der Fotos mit den kurzen Text-Zitaten, auch bei den sparsam wiedergegebenen Bildern vom „Land", von der Umgebung Bernhards.

Dieser großartige Bildband schüttet das literarische Werk nicht zu, ebnet es nicht ein in die Bilder der Lebensgeschichte. Aber er zeigt uns den Menschen Thomas Bernhard unverstellt, von der bedrohten Armseligkeit der Kindheit und den Versuchen der lugend über die Stationen des bekannten Autors bis zur tödlichen Atemnot seiner letzten Zeit.

Schroffe Abweisung und Momente der Nähe, die Suche nach Heimat und das Dazugehörenwollen wie die Einsamkeit und die verzweifelte Kraft, sich von allem und allen abzusetzen und radikal bis zum Selbst widerspruch zu sein, spiegeln sich in diesen Bildern.

DER KONSERVATIVE ANARCHIST. Thomas Bernhard und das Staats-Theater. Von Maria Fialik. Locker Verlag, Wien 1991. 214 Seiten, öS 298,-.

„Text und Kritik" Heft 43: THOMAS BERNHARD. 3. Auflage: Neufassung München 1991, 153 Seiten, öS 257,40.

AUF DEN SPUREN VON THOMAS BERNHARD. Von Augustin Baumgartner. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1992, 103 Seiten, öS 374,40.

THOMAS BERNHARD. PORTRAITS. BILDER & TEXTE. Herausgegeben von Sepp Dreissinger. Bibliothek der Provinz, Weitra 1992, 360 Seiten, öS 1.480,-.

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