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Unterwegs im Roßwald

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Der Öberösterreichische Schriftsteller Friedrich Ch. Zauner, der sich als Dramatiker einen Namen gemacht hat. tritt nun mit seinem ersten Roman hervor…Dort oben im Wald bei diesen Leuten" erscheint in diesem Herbst im Paul Zsolnay- Verlag. Wien. Wir bringen einen für Zauners Prosa charakteristischen Abschnitt.

„Recheuz“ steht auf der Ortstafel.

Das Dorf liegt wie in den Wald hineingepfercht. Die Straße verbreitert sich, ist sogar von der Ortstafel weg wieder asphaltiert, aber der Wald öffnet sich nur ganz leicht, wie ein Trichter, erlaubt den Höfen sich auszubreiten, gestattet ein paar Felder, aber hinter dem Anger steht er schon wieder, unmittelbar am Rain, schroff und behauptet seine Macht.

Das Dorf besteht aus wenigen Höfen, es ist schwer zu definieren, wo der eine aufhört und der andere beginnt, weil die vielen Hütten und Ställe und Remisen undNebengebäudewieZahnräderinein- andergreifen. Keine Baukommission hat je versucht, eine Frontlinie zu verordnen - Gott sei Dank!, - die Häuser und Nebengebäude stehen verstreut, unordentlich, ist man versucht zu sagen, aber nicht wahllos.

Die Leute haben einen sicheren archaischen Instinkt für Schönheit und einen selbstverständlichen Respekt vor Böschungen, Biegungen und Bäumen. Niemandem wäre es je eingefallen, einen Mugei wegen eines Gebäudes abzutragen, man baut daneben oder seitlich, und niemand hat je einen Baum, eine Kastanie, einen Nußbaum, einen Mostapfelbaum, wegen eines Stalles oder wegen einer Straße gefällt.

Alle Wohnhäuser, soweit man es überblicken kann, sind niedrige, schwarzverwitterte Holzbauten, mit winzigen Fenstern, zudem mit einem Urwald von roten Begonien und Fuchsien zugewachsen. Symmetrisch in der Mitte die vordere Haustür, meistens ein wenig schief in den Angeln hängend, und drüber die Oberlichte, um bei Tag ein wenig Sonne in den düsteren Flur zu lassen.

Darüber im ersten Stock wieder eine Tür, ein finsterer Bretterverschlag, der aber nirgendwo hinführt, weil es^einen Balkon gibt, also nutzlos ist, oder nur die Aufgabe einer irrationalen Ordnung hat, wie die Blindenfenster, die nur aus dem Rahmen bestehen und zugemauert sind.

Die Ställe durchwegs aus Stein. Aus schweren Quadern zusammengestellt und die Fugen mit weißem Kalk verstrichen, mit kleinen steinernen Fensterstöcken, Fenstern, vergittert, mit drek- kigen, oftmals gebrochenen Scheiben, durch die um diese Zeit das grelle, grünweiße Licht von Neonröhren bleckt. An den Türen, wie die Orden an einer Frackbrust, eine Reihe von Plaketten, die über die Milchleistung der Kühe Auskunft geben, dazwischen die gelbe Blechtafel der Feuerversicherung.

Uber dem Eingang zum Wirtshaus, das sich sonst in nichts von den übrigen Bauernhäusern unterscheidet und selbstverständlich auch Stall und Scheune angeschlossen hat, hängt die verwitterte Tafel mit der Aufschrift: L. Jodok’s Gaststätte. Das Genetiv-s hinter dem Apostroph hochgestellt und kleiner, und alles in einer Schrift, die die Grundformen gotischer Buchstaben variiert.

Obermann steht auf der gewaltigen, abgetretenen Granitplatte vor dem Eingang und zögert einen Moment. Von irgendwoher, oder von überallher, diese röhrenden hohen und tiefen Stimmen der Rinder, seltsam klagende, langgezogene Akkorde, hie und da ergänzt von den schrillen groben Flüchen einer Magd.

Die Gaststube ist ein großes Zimmer, von einer rußigen Verschalung ausgeschlagen, an den beiden Fensterseiten je drei nackte Tische, mit einem Stapel Bierdeckel und je einem Korb

Brezen. Links ein Kachelöfen, grün, flankiert von zwei Türen, eine davon führt in die Küche, eine Schwingtür, und hat statt der Füllungen oben drei Glasscheiben eingesetzt.

Gerade als Obermann eintritt, setzt der einzige Gast dazu an, seine Halbe auszutrinken. Baldur ist ein dürres Männchen von undefinierbarem Alter; faltiges Gesicht, gegerbte Lederhaut, ein Stoppelbart, der einmal die Woche gekappt wird. Er ist überaus nachlässig gekleidet; trägt einen speckigen Hut, den er nur in der Kirche und zum Schlafen abnimmt, und auch da hat er ihn immer in Reichweite.

Baldur hat Obermann mit den Augen verfolgt vom Augenblick seines Eintretens bis zum Hinsetzen, und er hat sogar vergessen, sein Glas abzusetzen, obwohl es längst leer ist. Offensichtlich ist man Fremde hier nicht gewöhnt, jedenfalls versucht Baldur in keiner Weise seine Neugier zu kaschieren.

Obermann ist froh, erst einmal ausrasten zu können. Er sitzt auf einer Vierbank - einer Bank mit vier schräg ins Sitzbrett gestemmten Beinen ohne Lehne - gegenüber der Küche. Seinen kleinen Lederkoffer hat er auf den Tisch gestellt, und er hat sich bewußt so gesetzt, daß er Baldur den Rücken zukehrt, weil er dann beim Essen nicht durch den Anblick eines so ungepflegten Menschen sich den Appetit verderben lassen möchte.

Im Fenster der Küchentür erscheint das runde rotwangige Gesicht einer Frau. Obermann gibt ein Zeichen, die Frau ist aber schon wieder verschwunden. Er hört das Klappern von Eimern, Schritte und ein aufgeregtes Flüstern. Obermann meint das Gesicht noch einmal kurz in der Tür gesehen zu haben, aber das kann auch ein Irrtum gewesen sein. Er öffnet seinen Koffer und sucht in dem Durcheinander nach der Kiste mit seinen Lieblingszigarren.

„Da trink ich dann noch eine Halbe“, ruft Baldur, und es könnte sein, daß ein Kichern in der Stimme mitschwingt.

„Gleich!“ kommt die Antwort aus der Küche. „Wir sind mitten in der Wegarbeit!“ - Eine Frauenstimme schrill, zu hoch, unmelodiös.

Es dauert eine ganze Weile, Obermann hat seine Zigarre angezündet und genießt die ersten Züge, aus der Küche ist das Hantieren mit Kübeln zu hören, Wasser wird ein- oder umgeschüttet, vielleicht, daß sich jemand wäscht, manchmal huscht ein Schatten am Türfenster vorüber.

Obermann dreht sich herum: „Kommt da keine Kellnerin?“

„Kellnerin?“ äfft Baldur die Frage nach.

„Wo ist hier die nächste Autowerkstatt?“

„Autowerkstatt?“

„Oder eine Tankstelle? - Ein Mechaniker?“

„Gibts hier nicht.“

Unwahrscheinlich, wie genau solche Leute beobachten, denkt Obermann, er fühlt förmlich die Blicke, die ihn von oben bis unten abtasten. Obermann wird ungeduldig: „Bedienung!“

„Gleich!“

Diesmal war es eine tiefe Männerstimme, die aus der Küche bellte. Unvermittelt steht Baldur am Tisch. Obermann hat ihn nicht herankommen hören, er erschrickt fast.

„Gibst du mir eine Zigarre.“ Baldur bemüht sich keineswegs, den Satz als Bitte zu formulieren, es ist nichts weiter als eine einfache Feststellung.

Obermann ist mit seinen guten Zigarren nicht gerade freigebig, aber er schiebt die Schachtel über den Tisch, und Baldur bedient sich. Dazu beugt er sich vor, schaut aber nicht auf die Zigarren, sondern Obermann voll ins Gesicht. Und grinst.

Obermann faßt in die Tasche und will Feuer anbieten, aber Baldur bläst das Zündholz einfach aus, brummt etwas Unverständliches (ein Danke wars

nicht!) und kehrt an seinen Platz zurück. Die Zigarre legt er neben sein leeres Bierglas.

Im Fenster zur Küche erscheint der Kopf eines Mannes. Man hat den Eindruck, daß er sich bücken muß, auf jeden Fall ist das die Nase, ist das das Kinn eines Mannes von kräftigem Wuchs. Die Tür schwingt auf, hereinkommt der Wirt und er ist tatsächlich stämmig, massig, nicht fett, ein Kerl, der bei einer Rauferei sicher das bessere Ende für sich hat. Ein schwerer Mann, mit kräftigen Knochen, riesigen Händen, die er beim Hereinkommen in die blaue Schürze trocknet.

Vom ersten Moment an weiß man unzweifelhaft, daß sein Wort im Dorf gilt, und obwohl seine Kleidung ähnlich nachlässig ist wie die Baldurs, wirkt er nicht ärmlich. Die derbe, ausgebeulte Hose, die nur bis an die Knöchel reicht, die Jacke, mit Reißverschluß, und das kragenlose Hemd gehören zur Standardkleidung der Männer hier. Der Wirt trägt zusätzlich anstelle des obligaten Jägerhütchens ein Käppi, das verwegen auf dem Hinterkopf klebt.

„Wieso sind Sie schon da?“

Der Satz klingt unfreundlich, abweisend, obwohl der Wirt eine tiefe, vollklingende Stimme hat, eine Stimme, die von Bier und Selbstbewußtsein geformt ist.

Schon … ? Als ob er erwartet worden wäre. Obermann versteht die Frage nicht: „Wieso?“ - Was bedeutet - schon? - „Wenn ich nicht mein Auto da unten in einen Graben chauffiert hätte, wäre ich viel früher gekommen.“ - Oder gar nicht, denkt er …

Der Wirt wischt mit einem karierten Tuch die Tischplatte ab. „Was darfs sein?“ Die Frage klingt nicht gerade einladend. „Bier?“, und schon, ohne eine Antwort abzuwarten, angelt er ein Henkelglas vom Wandregal. „Schnaps! Einen doppelten. Und ein Zimmer für die Nacht. Ich sehe schon, daß ich hier festsitze.“ Der Wirt Füllt ein dickwandiges, sechseckiges Schnapsglas und sagt, ohne sich umzudrehen: „Zimmer gibt’s nicht.“

„Kann ich wenigstens telefonieren bei Ihnen?“

Der Wirt, ohne seine Arbeit zu unterbrechen: „Telefon? Hab ich nicht.“

Die Idee, über den Roßwald zu fahren, die ihm am Vormittag so verlok- kend erschienen war, läuft jetzt in ein Debakel hinaus, anstatt sich zu erholen, wie beabsichtigt, hat er sich zusätzlichen Streß aufgeladen …

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