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Unübertroffen in seiner Liebe zu Österreich

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Fragte man ihn um Rat, was viele taten, erzählte er als Antwort nicht selten eine Anekdote. Die kurze, pointierte Form war in besonderem Maß die seine. In Anekdoten erklärte er sich und anderen Welt und Menschen, sie kamen seinem Intellekt und seiner Ungeduld entgegen. Hans Weigel war ein Ungeduldiger, der nicht warten ließ und nie warten wollte, ein Pünktlichkeitsfanatiker, ein Sprachfanatiker. Nichts quälte ihn mehr als ungenaue oder langatmige Reden - außer das Umfunktionieren von Kaffeehäusern zu Bankfilialen, die schlechte Behandlung von Lyrik, Tierquälerei, die Verfolgung von Genies et cetera.

Sein Freund Viktor E. Frankl nannte ihn einen der brillantesten Denker, denen er jemals begegnet sei. Mit einem anderen Freund aus Jugendtagen gab es ein seltsames Begrüßungsritual: Beide warfen sich in aller Öffentlichkeit auf die Knie, umarmten und beschimpften einander. Vorgegebene Grobheit, Geblödel, wie Hans Weigel es nannte, als Abwehr von Sentimentalität. Hans Weigel war sein Markenzeichen. Bekannt war er eigentlich immer, berühmt wurde er durch die Ohrfeige, die ihm Käthe Dorsch bei einem Empfang gab. Er glaubte in einer gewissen Weise an den Aussagewert von Stemzeichen, und es konnte passieren, daß er mitten in einem Gespräch seinem Gegenüber dessen Stemzeichen sagte. Er hatte meist recht.

Sich selbst bezeichnete als als atypischen, weil pünktlichen Zwilling. Zwillinge erkannte er unter anderem an der Neigung, ständig das tun zu wollen, womit sie gerade nicht beschäftigt waren, zu sein, wer sie nicht waren. Wer er sein wollte, blieb unausgesprochen. An Hans Weigel, den

Öffentlichkeitsmenschen, den Extro-vertierten kam man leicht heran, an den Introvertierten kaum jemals. Sein Zorn war bald Legende, ebenso seine Rolle als Mentor, die anderen Gefühle lernten am ehesten jene kennen, mit denen ihn eine Versöhnung nach einem zumindest mittelgroßen Krach oder eine Liebe verbunden hat. Er war für manche Klagemauer und Beichtvater, intervenierte für seine Schützlinge nicht nur bei Verlagen, sondern auch bei Behörden, aber hinter sein Schweigen gelangte man schwer. Vielleicht wollte er einfach ein anderer im Nestroyschen Sinn sein, den er so sehr verehrt und geliebt hat.

Erst spät sehend geworden

Als er am 29. Mai 1908 zur Welt kam, bestand die Welt für ihn aus Dunkelheit, er war fast völlig blind. Seine Eltern wanderten mit ihm von Augenarzt zu Augenarzt - ohne Erfolg. Und .dann geschah an dem Fünfjährigen ein Wunder. Er begann zu sehen - nicht gut, aber immerhin zu sehen. Die Welt, die bis dahin aus Tönen und Geräuschen bestanden hatte, begann Kontur anzunehmen.

Dieses Wunder mag einer der Gründe gewesen sein, warum die Welt trotz ihrer Grausamkeit für ihn immer ein Wunder geblieben ist. Musik konnte ihn zu Tränen rühren. Nach seiner letzten Augenoperation, ein paar Jahre vor seinem Tod, waren es die Farben in seinem Garten, die er so dankbar neu wahrnahm. Über Literatur sagte er, daß es nichts Beglücken-deres gäbe als gute Literatur zu lesen.

Manche werden sich an ihn mit zwei Brillen auf der Stirn und an die rührend hilflose Bitte erinnern, darüber wicht zu lachen. In einem Nebensatz erwähnte er einmal den Augenarzt, der den damals Elfjährigen untersucht und gefragt hatte: Ja, kommt dieses Kind denn in der Schule überhaupt mit? Das Kind kam mit und nahm auf

den weiteren Lebensweg eine unübersehbare Abneigung gegen Schule mit.

Manche, nein, viele werden sich erinnern, welch bedingungsloser Österreicher Hans Weigel gewesen ist, allerdings ein untypischer. Er hat dieses Land verteidigt. Er hat die Menschen in diesem Land gegen die Menschen in diesem Land verteidigt, vor allem gegen die österreichische Lust, alles schlecht zu machen. Er hat dieses Land kritisiert und unglaublich geliebt. Selbst im Exil in der Schweiz war es „nie Feindesland, sondern immer nur besetzte Heimat" für ihn. Das ist keine historische Aussage, sondern ein persönliches Bekenntnis.

Er war geliebt, gehaßt, gesucht, gefürchtet, gemieden und bewundert. Er hatte zu seiner Begabung in der Sprache eine zweite, die Peter Altenberg die nächstfolgende Genialität nannte: die Begabung anderer zu erkennen. Er war kämpferisch und verletzlich, ungeduldig und beharrlich. Beharrlich, wenn es darum ging, Literatur zu vertreten und in seinen Gefühlen. Elfriede Ott, seine letzte Liebe, war lang seine Liebe, ohne es zu wissen und lang bevor sich ein Zusammenleben mit ihr ergab.

Sein Nachlaß ist so umfangreich, daß sich kaum jemand vorstellen kann, wie er aufgearbeitet werden soll. Er war Kabarettist und hat Lieder geschrieben. Der Text zu Zarah Leanders Welterfolg „Gebundene Hände", stammt von ihm. Er hat Theaterstük-ke und Theaterkritiken verfaßt. Seine Stimme und seine satirischen Glossen haben via Rundfunk, aft er noch Sender Rot Weiß Rot hieß, eine ganze Nachkriegsgeneration begleitet. Er hat Moliere übersetzt, Nestroy bearbeitet, Romane und zahlreiche Bücher geschrieben, die Österreich und die Österreicher, unsere Geschichte und die Um- und Zustände in diesem Land zum Thema haben. Er hat im Konservatoriumjungen Schauspielern Lyrik

näher gebracht und er hat einen unendlich großen Beitrag zur Wiederbelebung der literarischen Szene in Österreich nach 1945 geleistet.

Der Beginn im Cafe Raimund

Am 2. März dieses Jahres wurde neben dem Eingang zum Cafe Raimund, dem Kaffeehaus, in dem der erste literarische Weigelstammtisch gewesen ist, eine Gedenktafel für ihn enthüllt. Alte Freunde, ehemalige „Schützlinge" fanden sich ein und tauschten Erinnerungen aus. Neulich, erzählte einer der Gäste, habe er nach einer Lesung wieder einmal die Frage beantworten müssen, wie er zu seiner

ersten Veröffentlichung gekommen sei. Hans Weigel hatte sich für ihn eingesetzt und damit Erfolg gehabt. Der Fragende habe daraufhin geseufzt: Einen Hans Weigel müßte man haben.

Am 29. Mai wäre er 85 Jahre alt geworden. Er hatte einen halbgeheimen Wunsch, der nie erfüllt wurde: Daß irgend jemand einmal über ihn schreiben möge. Keinen Artikel, auch keine öffentlichen Geburtstagswünsche, sondern etwas, durch das er Gerechtigkeit erfahren würde. Es war der einzige Hinweis auf sein Leben als Vertriebener. (

Mein Gott, geht er uns ab.

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