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Unverkrampfte Europäer durch gefestigte Identität

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Vor vier Jahren fiel das krude Wort von der „ideologischen Mißgeburt". Die deutschnationale Anhängsel-Sicht der österreichischen Nation. Sie steht diametral im Gegensatz zum Patriotismus, zu dem Bundespräsident Thomas Klestil bei seinem Amtsanstritt aufgerufen hat.

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Vor vier Jahren fiel das krude Wort von der „ideologischen Mißgeburt". Die deutschnationale Anhängsel-Sicht der österreichischen Nation. Sie steht diametral im Gegensatz zum Patriotismus, zu dem Bundespräsident Thomas Klestil bei seinem Amtsanstritt aufgerufen hat.

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Fast alle „politischen" Historiker gehen doch irgendwie von einer Art von „deutscher" Einheit aus, die dann irgendwann (1804,1866) gelöst worden und schließlich einer eigenen österreichischen Identität gewichen sei. Demgegenüber ist zu betonen, daß die postulierte „Einheit" nie in einer gesellschaftlich-politischen Alltagsbedeutung existierte. Die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ist vom 16. bis zum 18. Jahrhundert kein Schauplatz irgendeiner „Einheit", sondern des erfolgreichen Kampfes der Reichsstände gegen die Präponderanz des Hauses Österreich und gegen die Einbeziehung in dessen Staatsbildung - so sieht die immer wieder postulierte „Einheit" und „Schicksalsgemeinschaft" in der historischen Realität aus. Es ist also durchaus logisch, daß sich längerfristig Österreich ebenso als Staat (und Nation) konstituierte wie das „außerösterreichische Deutschland" (in einem Begriff des späten 18. Jahrhunderts).

Viel nützlicher erscheint es da, von sozial wissenschaftlichen Integrationsmodellen auszugehen als von der Annahme ursprünglicher Einheit und späterer Desintegration: Dann wird sich herausstellen, daß eine Österreich umfassende „(deutsche Einheit" in der Geschichte immer nur ein Ausnahmefall war (Wahl zum Frankfurter Parlament 1848, 1938-1945), die Regel hingegen eine langsamer oder schneller vor sich gehende staatliche Integration Österreichs, unabhängig von den Institutionen des alten Reiches (wie dessen Reichstag in Regensburg) oder des Deutschen Bundes. Das führte früh zu einer eigenen Identität der deutschsprachigen Österreicher, die sich einerseits an den Linien staatlicher Integration und andererseits, mit dem Sieg des sprachnationalen Modells, an den Sprachgrenzen orientierte: also ein deutsch-österreichisches Nationalbewußtsein, dem 1918/38 die österreichische Komponente verlorenzugehen drohte. Seit 1945 setzte sie sich doch wieder durch - wie wir für dieses Land hoffen, trotz aller Probleme dauerhaft erfolgreich. Die Positionierung Österreichs in Europa und die Österreichs 1996 werden Probe aufs Exempel sein.

Das schon relativ lange Erleben gesicherter österreichischer Existenz, gepaart mit einem gewissen materiellen Erfolg, dürfte die weitere unangefochtene Entwicklung österreichischer nationaler Identität sichern. Demgegenüber bleiben die „deutschen" Bestandteile des österreichischen Bewußtseins freilich spürbar, aber abnehmend: Die Turbulenzen um die Bundespräsidentenwahl von 1986 haben zwar möglicherweise einige Feindbilder neu belebt, aber nicht in empirisch wirklich faßbarer Weise dazu geführt, daß große Teile der österreichischen Bevölkerung aus diesen Schwierigkeiten vielleicht wieder in eine „deutsche" Identität geflüchtet wären. Obzwar kleine Gruppen tatsächlich so reagiert haben, ist insgesamt die mentale Distanzierung von Deutschland, aber auch vom Nationalsozialismus heute wesentlich deutlicher ausgeprägt als 1980.

Das Jahr 1955 verbindet

Aufbauend auf älteren Gemeinsamkeiten und Traditionen, teilweise aber auch durchaus mit stark spürbaren Bruchlinien und Kanten, hat sich aber 1945 ein nationaler österreichischer Konsens verfestigt. Diesem Konsens mangelt aber, notwendig, die Möglichkeit, „Geschichte" (von Siegen, erfolgreichen Revolutionen, Befreiungskriegen) als legitimatorisches Element benützen zu können. Die bedeutungsschweren Jahre des 20. Jahrhunderts (1918,1934,1938,1945) lösen bei den Österreichern je nach politischem Lager unterschiedliche Empfindungen aus. Die große und wichtige Ausnahme: der Staatsvertrag 1955.

Dies sollte nicht unter-, aber auch nicht überschätzt werden. Österreichische Identität bedarf daher zu ihrer dauerhaften Grundierung der steten Erfahrung der Österreicher, dazuzugehören, teilzuhaben, teilzunehmen, kurz, bedarf einer ausgeprägten Kultur der politischen Partizipation. Es ist nicht verwunderlich, daß gerade jene politische Gruppierung, die am radikalsten solche neue Formen fordert, auch am deutlichsten österreichisch-national orientiert ist, die grünalternative Bewegung. Und es wird an den beiden österreichischen Großparteien liegen, ob solches Bewußtsein in Frustration und einem Auszug gerade politisch bewußter und engagierter Gruppen aus dem nationalen Konsens enden wird, oder in der Befestigung österreichischer Identität.

Ist solches „Österreich"-Bewußt-sein in der Tat ein Wert, für den zu werben sich lohnt? Oder bedeutet es kleinhäuslerische Schrebergartenmentalität, „Flucht vor der Größe"? Das Gegenmodell zur nationalen Identität der Österreicher ist bei jenen, die nicht „Deutschland" meinen (und das ist bei nicht wenigen Leuten der Fall, die „Europa " sagen), „ Welt-bürgerlichkeit". Freilich ist Weltbür-gerlichkeit nicht erreichbar als Flucht vor eigenen Identitätsproblemen - nur wer sich seiner selbst sicher ist (also, um es klar zu sagen, wer die Frage „österreichisch" oder „deutsch" ein für alle mal geklärt hat), gibt einen unverkrampften Weltbürger und Europäer ab.

Keine dritte Kolonne...

Nur wer seine lokale, regionale und überregionale Identität in sich verarbeitet und gesichert hat, kann daher sinnvoll den Anspruch auf eine Identität erheben, die sich an der gesamten Menschheit der freiwilligen Assoziation freier Nationen zeigt, werden die Österreicher auch nur als eine dieser Nationen angehören können - als dritte Kolonne der Deutschen wird man uns zu Recht mißtrauen.

Nur wer seine lokale, regionale und überregionale Identität in sich verarbeitet und gesichert hat, kann daher sinnvoll den Anspruch auf neue Identität erheben, die sich an der gesamten Menschheit zeigt.

Der Autor ist seit April 1991 Vorsitzender des Instituts für Österreichkunde. Auszug aus dem Beitrag „Das Österreichbewußtsein" in: POLITIK IN ÖSTERREICH. Hg. Wolfgang Mantl. Böhlau Verlag, Wien 1992, 1.084 Seiten, öS 980,-.

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