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Unvorstellbare Dimensionen!

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Eines hat der Maßnahmenkatalog der Regierung gezeigt: daß sich der Ernst der Situation bis zu ihr herumgesprochen hat. Den Ernst zeigt das Ausmaß an Einkommensumschichtungen vom privaten auf den öffentlichen Sektor, die von diesem „Paket“ erwartet werden. Welche österreichische Bundesregierung hat sich bisher genötigt gesehen, mit einem Maßnahmenpaket nicht weniger als 17 Milliarden Schilling- nach der Schätzung der Bundeswirtschaftskammer sogar 27 Milliarden Schilling - aus den Geldbörsen, Brieftaschen und von den Gehaltskonten seiner Bürger heraus und in den Staatssäckel hinein zu holen!

„Die Situation“, das ist das Bundesbudget, die Leistungsbilanz gegenüber dem Ausland, die Entwicklung der Verbraucherpreise und die Vollbeschäftigung.

An der Budgetfront ist das Debakel zuerst ruchbar geworden. Seit 1972 hat der Finanzminister hasardiert, zu Lasten der Steuerzahler, zu Gunsten seiner Partei - und wurde dafür mit dem zweithöchsten Regierungsrang honoriert. Aber die Rechnung ging nicht auf, die Defizite explodierten noch in der Hochkonjunktur von 7,7 Milliarden (1972) über 12,8 Milliarden (1973) und 18,5 Milliarden (1974) auf wahrscheinlich 50 Milliarden Schilling in diesem Jahr, ohne Besserung in Sicht: trotz extrem optimistischer Annahmen (die inzwischen weit zurückgenommen werden mußten!) hat der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen bis 1980 weiterhin steigende Defizite prognostiziert und eine Ausweitung der Gesamtverschuldung des Bundes von 133 Milliarden (1976) auf 280 bis 300 Milliarden (1980), wobei der Zinsendienst allein von 4,6 Prozent (1971) auf rund 12 Prozent des Steueraufkommens ansteigen wird. Was könnte ein Finanzminister mit zusätzlich verfügbaren 15 bis 20 Milliarden Schilling alles machen, die nun zur Verzinsung unproduktiver Kredite verwendet werden müssen!

Lange hat es gebraucht, bis sich die Regierung - zunächst von der Nationalbank und der Wirtschaftsforschung unterstützt - von der Illusion freigemacht hat, der plötzliche Einbruch in die Leistungsbilanz gegenüber dem Ausland im Jahre 1976 wäre auf Sonderfaktoren zurückzuführen gewesen. Inzwischen haben wohl alle erkannt, daß darin eine Strukturschwäche der österreichischen Wirtschaft sichtbar geworden ist, als Folge eines jahrelangen Fehlverhaltens der österreichischen Wirtschaftspolitik, deren Konsequenzen nicht über Nacht beseitigt werden können.

Nicht alle haben erkannt, daß die hohen Budgetdefizite und die jährlichen nominellen Einkommenssteigerungen damit in einem engen Kausalzusammenhang stehen. Die Schätzungen, wieviel von jedem Einkommenzuwachs nicht österreichischen Arbeitsplätzen zugute kam, sondern durch gesteigerte Importe und vermehrte Auslandsreisen die Leistungsbilanz verschlechtert hat, schwanken zwischen 50 und 80 Prozent! So rächt sich der Glaube, durch mehr Geldausgeben neue Arbeitsplätze schaffen zu können. Der Verlust von Währungsreserven läßt sich nicht leicht wieder stoppen, wenn er einmal eingesetzt hat, und wird immer wieder aufs neue eine Ursache neuer Schwächeanfälle des Schilling im Ausland sein, solange die unrealistische Bindung an die DM aus Prestigegründen beibehalten wird.

Und damit sind wir bei der Stabili- täts-„Situation“: der Erfolg um die Stabilisierung der Binnenkaufkraft unserer Währung darf heute weniger an den Inflationsraten selbst als vielmehr daran gemessen werden, wie rasch sich diese zurückbilden, und darf nicht an der gesamten übrigen Welt, sondern an den Erfolgen unserer wichtigsten Handelspartner gemessen werden: Unter diesen ragen die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz mit fast der Hälfte unseres Außenhandels heraus, den dominierenden Anteil an unserem Fremdenverkehr nicht berücksichtigt und die Konkurrenz auf Drittmärkten nicht ins Kalkül genommen. Die Budgetdefizite und die Belastungswelle (30pro- zentiger Mehrwertsteuersatz!) lassen eine verschärfte Tendenz zur Kosteninflation befürchten.

Bleibt die Situation der Vollbeschäftigung, mit deren Erhaltung alles begründet und zunächst offenbar auch noch manches geschluckt wurde und (noch) wird. Das dicke Ende des derzeitigen österreichischen Weges zur Erhaltung der statistischen Vollbeschäftigung steht uns noch bevor: Würden die in den Staatsdienst übernommenen, oder frühpensionierten und in den staatseigenen Betrieben gehorteten Arbeitskräfte - die verminderte Zahl der Gastarbeiter gar nicht mit eingerechnet - offen als Arbeitslose ausgewiesen werden, dann hätte auch Österreich eine Arbeitslosenrate von gut vier bis fünf Prozent und dazu hat noch das Wiener Institut für höhere Studien - ohne auf die Problematik der versteckten und zurückgestauten Arbeitslosigkeit einzugehen - für die künftige Entwicklung des österreichischen Arbeitsmarktes ein recht ernüchterndes Bild entworfen: Arbeitslosenraten von 2,5,4 und 5 Prozent im Zeitraum 1978/80.

Gemessen an diesen Dimensionen und angesichts der Gewißheit, mittels des bisherigen Kurses weder Arbeitsplätze für alle schaffen noch die Inflation auf das dazu erforderliche Maß reduzieren zu können, ist der eben getane Schritt einer, der noch andere nicht minder drastische erwarten läßt, was inzwischen vom Regierungschef auch schon angekündigt worden ist. Solange überdies lediglich versucht wird, den wachsenden Ausgaben durch Erhöhung der Einnehmen nachzulaufen, läuft die Regierung wirklich hinter der Entwicklung her.

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