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„Unzuverlässige ausländische Experten“

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Nur einer der Mitarbeiter, die sich Ceausescu kurz nach der Übernahme des Amtes des Parteichefs 1965 ins Parteisekretariat holte, ist heute noch in diesem wichtigen Gremium der rumänischen kommunistischen Partei tätig: der Wirtschaftsexperte Manea Manescu. Mit der Versetzung seines engsten Mitarbeiters Paul Niculescu-Mizil vom Sekretariat auf den unbedeutenden Posten eines der neun Vizepräsidenten der Regierung (beim letzten Plenum des Zentralkomitees am 19. April 1972) hat sich die personelle Unstabilität des sozialistischen Machtapparates Rumäniens neuerlich verdeutlicht.

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Nur einer der Mitarbeiter, die sich Ceausescu kurz nach der Übernahme des Amtes des Parteichefs 1965 ins Parteisekretariat holte, ist heute noch in diesem wichtigen Gremium der rumänischen kommunistischen Partei tätig: der Wirtschaftsexperte Manea Manescu. Mit der Versetzung seines engsten Mitarbeiters Paul Niculescu-Mizil vom Sekretariat auf den unbedeutenden Posten eines der neun Vizepräsidenten der Regierung (beim letzten Plenum des Zentralkomitees am 19. April 1972) hat sich die personelle Unstabilität des sozialistischen Machtapparates Rumäniens neuerlich verdeutlicht.

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Die verschiedenen personellen Veränderungen, die in der zweiten Hälfte des Monats April in Bukarest sowohl im Partei- als auch im Staatsapparat durchgeführt wurden, sind auf den ersten Blick etwas verwirrend, und das hat seine Ursache in der außerordentlich komplizierten Struktur der rumänischen KP, die insgesamt neun verschiedene leitende Organe aufweist; in den zwei wichtigsten Gremien (Präsidium und Sekretariat) sind, abgesehen von Ceausescu, nur zwei Personen gleichzeitig vertreten, und zwar Manea Manescu und Gheorghe Pana, und auch letzterer ist erst im September 1969 ins Sekretariat eingetreten.

Das deutet darauf hin, daß die Machtkonzentration um die Person Ceausescus sehr stark ist, was angesichts der ehrgeizigen Pläne und Absichten der gegenwärtigen rumänischen Führung auch verständlich ist. So hat der derzeitige Fünf jahresplan eine Erhöhung des Außenhandels um 61 bis 72 Prozent vorgesehen (der 1969 dem Parteikongreß vorge-gelegte Entwurf sah eine Zunahme des Außenhandelsumsatzes um nur 40 bis 45 Prozent vor). Auf die außenpolitischen Ziele Rumäniens, das sich innerhalb des Warschauer Paktes eine Sonderstellung geschaffen, hat, soll nicht besonders hingewiesen werden: Die Normalisierung der Beziehungen mit China, die neutrale Haltung Rumäniens im Nahostkonflikt, die seinerzeitige Ablehnung des Atomsperrvertrags durch Rumänien sind nichts anderes als ein klarer Ausdruck der weitgesteckten außenpolitischen Ziele des Staatsund Parteichefs Ceausescu.

Die Tatsache, daß Niculescu-Mizil jahrelang ein prominenter und exponierter Vertreter dieser Außenpolitik war, darf nicht zu der voreiligen Schlußfolgerung führen, daß sich hier etwas ändern wird. Wenn die Sowjetunion mit der Außenpolitik Rumäniens nicht einverstanden ist, wäre die Absetzung Niculescu-Mizils auf keinen Fall eine die Sowjetunion zufriedenstellende Konzession Ceausescus, weil ja Niculescu-Mizil nichts anderes war als ein ausgezeichneter und treuer Parteidiplomat Rumäniens. Niculescu-Mizil hat wohl im Plenum des Zentralkomitees im November vorigen Jahres eine Selbstkritik abgegeben, die eine solche Veränderung nahelegte; nur darf man nicht vergessen, daß sich die damalige Selbstkritik Niculescu-Mizils nicht auf seine Außenpolitik bezog, sondern vielmehr auf jene nebulose, aber auf jeden Fall streng ideologische Offensive Ceausescus vom Juli des Vorjahres.

Die zweite wichtige Entscheidung der letzten Tage in Rumänien war die Umgestaltung der Sicherheitsorgane. Aus dem Innenministerium und dem Rat für nationale Sicherheit wurde ein neues Ministerium für „interne Angelegenheiten“ geschaffen, dessen neuer Chef der bisherige Leiter des Sicherheitsrates, Ion Sta-nescu, wurde.

Das hatte seine Vorgeschichte: In jener Sitzung vom November, bei der Niculescu-Mizil seine Fehler öffentlich bekannte, erklärte der bis dahin verantwortliche Parteisekretär für Sicherheitsfragen, Vasile Patilinet, er sei sich bewußt, daß weder er noch die Funktionäre seiner Abteilung sich in genügendem Maß mit der ständigen Kontrolle der Erfüllung der Beschlüsse des Zentralkomitees bezüglich der politischen ideologischen Tätigkeit in den Einheiten des Ministeriums der Streitkräfte, des Innenministeriums, des Rates für Staatssicherheit und der Justiz beschäftigt hätten. Patilinet erklärte damals auch, daß in dem Maß, in dem das Volk einen „Eisernen Vorhang“ um die Partei und ihren Generalsekretär Ceausescu bilde, es für jeden schwer sein würde, ein Attentat gegen die Unabhängigkeit, die Souveränität und die territoriale Integrität Rumäniens zu wagen. Auch in diesem Fall ist ziemlich deutlich, daß Patilinet die von Ceausescu geprägte klassische Linie der Führung der nationalen Sicherheitsorgane bestätigte.

Wie bei Niculescu-Mizil scheint es auch hier unwahrscheinlich, daß Patilinet auf Grund irgendeines sowjetischen Druckes abgesetzt worden ist. Die Selbstkritik von Patilinet entspricht haargenau jener denkwürdigen Stellungnahme Ceausescus vom 7. Mai 1967, in der festgestellt wurde: „Kein Mitglied der Partei kann auf irgendeine Weise Kontakte anknüpfen oder unterhalten, indem es die Führung der eigenen Partei überspringt. Es kann auch keine Informationen weitergeben oder an Aktionen teilnehmen, die gegen die politische Linie der eigenen Partei gerichtet sind.“

Aus den verschiedenen Reden Ceausescus in den letzten Wochen ergibt sich ein ungefähres Bild der zentralen Anliegen des Parteichefs. Im allgemeinen ist ein harter Ton nicht zu überhören. Die planmäßige Erfüllung der ehrgeizigen Ziele soll, so sagte er im Zentralkomitee, ergänzt werden durch endgültige Maßnahmen zur Beseitigung solcher wirtschaftlichen Engpässe wie jenes vom vorigen Jahr.

Ceausescu betonte immer wieder die Notwendigkeit stärkerer Kontrollen und kritisierte auch technisehe Unzulänglichkeiten mit einigen unklaren Andeutungen auf die „Un-zuverlässigkeit ausländischer Experten“. An alle Parteimitelieder wurde appelliert, die ernsten Probleme des Landes an den Wurzeln zu packen, negative Erscheinungen sofort zu korrigieren und die Kräfte richtig zu verteilen.

Rumänien hat in der letzten Zeit eine gewisse Elastizität gegenüber Forderungen seitens der Sowjetunion gezeigt. Es hat nachträglich den Atomsperrvertrag unterzeichnet, obwohl Ceausescu selbst sich in einer Sitzung des politischen Konsultativkomitees des Warschauer Paktes in Sofia weigerte, ein entsprechendes Dokument zu unterschreiben. Rumänien hat auch — mit einiger Verspätung — seine Teilnahme an der internationalen Investitionsbank des COMECON zugesagt. Es hat auch in Ausnahmefällen eigene Stabseinheiten zu verschiedenen Manövern der Warschauer-Pakt-Truppen entsandt, obwohl in der rumänischen Presse vor, während und nach der militärischen Intervention in der Tschechoslowakei immer wieder vor Manövern fremder Truppen in anderen Ländern gewarnt wurde. Nun sind das Entscheidungen, die immer noch mit den ständigen Ansprüchen der rumänischen KP auf Respektierung der eigenen Souveränität vereinbar sind.

Persönliche Maßnahmen aber im Bereich einer koordinierten rumänisch-sowjetischen Politik dürften in Rumänien nicht zu erwarten sein. Hier dürfte sich Ceausescu, einziger Parteichef eines Landes des Warschauer Paktes, der es fertigbrachte, im Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion eine bemerkenswerte Konsultationsklausel einzubauen, hauptsächlich nach den inneren Bedürfnissen richten.

Es stimmt wohl, daß der sowjetische Botschafter in Bukarest von Ceausescu am 19. April empfangen wurde — wie sorgfältig in der Meldung der Agentur Agerpress vermerkt wurde „auf Wunsch des Botschafters“ —, aber falls hier personelle Fragen im Gespräch standen, dürfte das eher eine negative Wirkung gehabt haben. Die Absetzung des rumänischen Generals Serbs, über dessen offiziell gemeldete Erschießung bisher keine Bestätigung vorliegt, deutet auf sehr eigenständige Entscheidungen Ceausescus hin.

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