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Urlaub als Entwicklungshilfe

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Eine Politik zur Entwicklung des Fremdenverkehrs kann nicht nur dessen ökonomische Aspekte allein betreffen. Die Lösung touristischer Probleme ist verbunden mit der Lösung der Probleme der Umwelt, des gesamten Ökosystems, des Menschen als soziales, kulturelles und psychologisches Phänomen.

Bei insgesamt 14.240 Beherbergungsbetrieben mit 222.319 Betten und 21,471 Millionen Ubernachtungen in den gewerblichen und nichtgewerblichen Beherbergungsbetrieben Südtirols, hat auch hier ein Umdenkungsprozeß begonnen, der inzwischen darauf zielt, die Auswüchse des Tourismus zumindest einzugrenzen.

Exemplarisch sei hier auf das Grödental (Gherdeina) verwiesen, das unter allen Tälern und Gegenden Südtirols eine nahezu unerträgliche Belastung durch den Fremdenverkehr erreicht hat.

Die landschaftliche, siedlerische, bauliche und verkehrsmäßige (Gestaltung Grodens ist dadurch schwer beeinträchtigt; die lokale Kultur, Sprache, Uberlieferung und Lebensweise auf weiten Strecken in die Defensive gedrängt; die traditionellen Kunst-und Wirtschaftsformen (vor allem Landwirtschaft und Handwerk) sind schon in hohem Maße verdrängt, und trotzdem wird auch weiterhin vor allem Sport und Fremdenverkehr gefördert, während andere Erwerbszweige gar nicht mehr aufkommen. Die

Identität und Eigenart Grodens sind auch dadurch schwer gefährdet.

Neue „Erschließungspläne“ werden von den mächtigen Kreisen der wirtschaftlich Interessierten vorangetrieben. Trotz der deutlichen Proteste der Bevölkerung und demokratischer Unterschriftensammlung gegen Verbauung und Ubererschließung gibt es immer wieder Kräfte, die den weiteren Ausverkauf CJrö-

dens forcieren möchten. Konkret geht es um den Ausbau und die Verbindung der insgesamt 457 Anlagen der Superski Dolomiti im Einzugsgebiet, die jährlich 32,248.786 Fahrten registrieren.

Umweltschützer und oppositionelle Gemeinderäte versuchen heute ihren gestalterischen Ermessensspielraum dahingehend zu nutzen, daß touristische Ballungsgebiete vor noch weiterer Belastung durch Fremdenverkehr, Erschließung, Landschaftszerstörung und soziale Monokultur bewahrt bleiben. Das weitere Wachstum touristischer Anlagen und Belastungen soll gebremst und zum Stillstand gebracht und dafür in Richtung eines „sanften Tourismus“ umgerüstet werden, um die Interessen der einheimischen Bevölkerung langfristig und nicht rein materiell-wirt schaftlich angemessen zu berücksichtigen.

Aber Südtirols Fremdenverkehr wäre natürlich nicht südtiro-lerisch, hätte nicht auch dieser seine ethnischen Implikationen. In den letzten Jahren sind die Ausländernächtigungen zwar leicht zurückgegangen und durch eine stärkere Präsenz italienischer Gäste ausgeglichen worden.

Das Gesamtkonzept unserer Fremdenverkehrsgewaltigen war aber lange Zeit völlig einseitig auf die Bundesrepublik ausgerichtet, woraus sich auch eine politische Bindung zu gleichgesinnten Strömungen in Deutschland entwik-kelt hat. Gerade ältere Gäste sahen im Südtirolurlaub auch eine effiziente Form der Entwicklungshilfe, eine Art völkischer Aufrüstung.

Das in Nürnberg erscheinende Blatt „Der Tiroler“ (von Kuf stein bis Salurn - für ein freies und einiges Tirol) führt seit einigen Monaten die Aktion “Deutschbewußte Gastbetriebe“ durch. Der Südtirolurlaub wird von diesen Leuten immer noch als Beitrag zum politischen Volkstumskampf um die Erhaltung des Deutschtums gesehen.

Ein sanftes Tourismuskonzept in Südtirol könnte durch die Förderung eines möglichst breiten Branchenspektrums nicht nur die touristische Monokultur verhindern, sondern auch die ethnische.

Der Autor ist Mitglied des Südtiroler Land-tags für die „Alternative Liste fürs andere Südtirol“ .

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