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Urquell statt „Galle"

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Der Name der Stadt ist weltweit ein Begriff. Viele kennen das „Pilsner Urquell", nur wenige die Stadt, die dem Besucher doch mehr als Bier zu bieten hat.

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Der Name der Stadt ist weltweit ein Begriff. Viele kennen das „Pilsner Urquell", nur wenige die Stadt, die dem Besucher doch mehr als Bier zu bieten hat.

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Wenn man sich Pilsen (Plzeii) von Südosten her nähert, findet man etwa elf Kilometer vor der Stadt einen Wegweiser nach Stary Plzenec (Alt-Pilsenetz), historisch gesehen das eigentliche Pilsen. Im Jahre 976 wurde nämlich hier vor den Pfemysliden auf dem Felssporn Hürka im Tale der Üs-lava eine herzogliche Burg erbaut. Die Herzöge nannten diesen Ort Plzerl und bestimmten ihn zum Verwaltungszentrum von Westböhmen. Als aber im 13. Jahrhundert der Handel aus Regensburg, Dresden und Prag immer mehr an Bedeutung gewann, wendete sich das Interesse einer kleinen Handelsniederlassung am Zusammenfluß von Mies (Mze) und Radbu-sa (Radbuza) zu. Der Verweser des Königs siedelte in dem kleinen Flecken bayrische Handwerker und Kaufleute an, die das nunmehrige von König Wenzel II. zur Stadt erhobenen Nova Plzna (Neu Pilsen) planmäßig in strenger Schachbrettform ausbauten.

Die Reste von Pilsenetz

Heute ist Stary Plzenec ein kleiner, unbedeutender Ort, von dem nur noch drei Kirchen und fünf Kapellen an die herzogliche Vergangenheit erinnern. Von der Pfemysliden-Burg sind nur noch die romanische Rotunde des heiligen Petrus und zwei im Grundriß freigelegte romanische Kirchen erhalten geblieben.

Wer den Abstecher nach Alt-Pilsenetz nicht scheut, kommt an der gotischen Burgruine Radyne" vorbei, ein auch noch heute imposanter Komplex, der Mitte des 14. Jahrhunderts von Kaiser Karl IV. erbaut wurde. Die Burgruine ist (täglich bis 18 Uhr, Montag geschlossen) zu besichtigen.

Aus Nova Plzefi wurde alsbald „Plzefi" und der herzogliche Marktflecken an der Üslava wurde in Alt-Pilsenetz umbenannt. In Pilsen wuchsen als bald mehr als dreihundert Stein-und Fachwerkhäuser aus dem Boden. Im strengen Schachbrettmuster formieren die Häuserzeilen 22 Blöcke, deren zwei in der Mitte der Siedlung für Markt und Versammlungszwecke freibleiben. Auf diese Weise entstand im Stadtzentrum von Pilsen der größte Marktplatz Böhmens (193 mal 139 Meter) heute der Näm&ti Republiky. Da aber in Böhmen und Mähren die Straßennamen laufend geändert werden, ist es durchaus möglich, daß Pilsens Hauptplatz bald wiederum - wie zu Zeiten der Monarchie - „Ring-Platz" heißen wird.

Bleiben wir auf dem Ring, wie er von Altpilsnern noch immer genannt wird: In der Mitte des Platzes erhebt sich die zweitürmige mehrschiffige Erzdekanalkirche aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, St. Bartholomäus. Wie beim Wiener Stephansdom wurde auch in Pilsen nur ein Turm völlig ausgebaut - hier ist es der 103 Meter hohe Nordturm, der höchste Kirchturm der CSFR. Manche sagen, wer die „Pilsner Madonna" am Hochaltar nicht gesehen hat, kennt Pilsen nicht. Das gilt aber auch für die Anfang des 16. Jahrhunderts erbaute Kapelle der Herren von Sternberg an der Südseite des Presbyte-riums, die aber leider nicht immer zugänglich ist.

„Langeweile" in der Stadt

Pilsen war immer ein Lieblingsort der Habsburger. Dazu folgende Anekdote: Kaiser Franz wollte Pilsen besuchen. Zu seinen Ehren wurde eine Triumphpforte errichtet, über und über mit Blumen geschmückt, die die Worte „Lange weile in unseren Mauern" bilden sollten. Dem Gärtner passierte aber leider ein Mißgeschick, er verschätzte sich beim Abstand und formte „Langeweile in unseren Mauern". Der Kaiser soll geschmunzelt haben, wußte er doch, daß das Wort Langeweile in der Geschichte Pilsen wahrscheinlich nicht angebracht schien. Allzu vieler Ruhe konnte sich die Stadt, die immer treu zum Kaiserhause stand, nicht erfreuen. Sie war besonders den Stürmen der Hussiten ausgeliefert. Ein Jan Zizka biß sich an „der ewig bitteren Galle im Rachen der Ketzer" - wie Kaiser Sigismund die Stadt nannte - die Zähne genauso aus wie die Heerscharen, die in den Jahrhunderten danach kamen.

1634 wurde in Pilsen jedoch Geschichte geschrieben: Die „Erste Pilsener Akte" sollte die Offiziere noch enger an Wallenstein auch wider den Kaiser binden. In Wien munkelte man dazu: „Der kaiserliche Generalissimus Herzog von Friedland hat alle seine Kriegsobristen und Colonellen beschreiben und zu Pilsen bei einander kommen lassen. Was ihnen vorgetragen, ist noch geheim." Bald wurde jedoch die Tragweite der am 12. Jänner abgeschlossenen Vereinbarung bekannt. Die Folge: Der Generalissimus wurde in Eger (Cheb) ermordet, die übrigen Verschwörer wurden auf dem Marktplatz von Pilsen exekutiert.

Verlassen wir den schaurigen Schauplatz, noch einen letzten Blick auf das Skribonius-Haus (Hauptplatz Nr. 12), in dem Wallenstein 1633/34 sein Winterquartier aufgeschlagen hatte, und das Rathaus (1554-1559, Giovanni de Statio), in dessen Ratssaale der verhängnisvolle Pakt abgeschlossen worden war, werfend. Am Ostende des „Ring-Platzes" verläuft die Frantiäkänskä, die Franziskanerstraße, in der sich das gleichnamige Kloster mit der Kirche Maria Himmelfahrt (14. Jahrhundert) befindet.

Warum diese Hervorhebung eines Klosters und einer Kirche in einer Stadt, die so viele Sehenswürdigkeiten hat? Nun, das Kloster wurde wiederum besiedelt und beherbergt zur Zeit einen Franziskanerpater. Er ist Mitinitiator einer sehenwerten Ausstellung mittelalterlicher und barok-ker religiöser Plastiken, die bis auf weiteres im Kreuzgang neben der Kirche präsentiert wird (täglich geöffnet).

Die „Urquell" des Bieres

Nach dem Kloster sollte man recht in die Zbrojnickä einbiegen und die Radbusa überqueren. Am jenseitigen Ufer befindet sich der Stadtteil U Prazdroje (Zum Urquell, früher auch Prager Vorstadt genannt). Hier hat man in der „Schwemme" bei einem babylonischen Völkergemisch und beim „Pilsner Bier" bald eine Vorstellung, was heute die Weltgeltung Pilsens ausmacht (Prazdroj-Urquell, hervorgegangen aus dem „Bürgerlichen Brauhaus Pilsen"). Aber auch von der ehemaligen Waffenschmiede des Emil Skoda kann man sich ein Bild machen: Bei einer Museumsund Werkbesichtigung der Skoda-Werke in der Koranova 1, zehn Minuten vom Tyl-Theater entfernt (Besichtigungsmöglichkeit nur werktags).

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