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Urteil ohne Nachsicht

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Der Ruf der Politiker ist denkbar schlecht. Werden bei der Auswahl laxe Maßstäbe angelegt? Bertram Jäger nennt Bedingungen, die ein Politiker erfüllen soll.

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Der Ruf der Politiker ist denkbar schlecht. Werden bei der Auswahl laxe Maßstäbe angelegt? Bertram Jäger nennt Bedingungen, die ein Politiker erfüllen soll.

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Politik aus christlicher Verantwortung hat vor allem die Aufgabe, dem Menschen seine Entfaltung und seine Selbstverwirklichung zu ermöglichen, ja sie zu fördern.

Voraussetzung dafür ist, daß der Politiker selber eine hohe Auffassung von seiner Aufgabe hat. Das bedeutet, daß er das Gemeinwohl und nicht nur das Wohl einzelner einflußreicher Gruppen und schon gar nicht sein Eigenwohl zu verwirklichen sucht.

Er muß Politik als Dienst an der Gemeinschaft sehen und sich an Grundsätzen orientieren. Gerade heute besteht die Gefahr, daß sich der Politiker an Gruppeninteressen oder/und an Meinungsumfragen orientiert. Die öffentliche Meinung ist, wie Charles Maurice Talleyrand sagte, eine nützliche Kontrolle und ein gefährlicher Wegweiser für die Regierung.

Der Politiker muß weiter die Bereitschaft zum Kompromiß haben, der ein Element der demokratischen Politik ist. Aber auch der Kompromiß gelangt an Grenzen, wenn es um Grundsätze geht.

Der Politiker hat praktische Toleranz zu üben, das heißt, Duldsamkeit gegenüber den Mensehen, die andere Auffassungen, Meinungen und Grundsätze vertreten. „Toleranz ist die Vermutung, der Mitmensch könnte vielleicht doch nicht ganz Unrecht haben” (Rudolf Woller).

Die Toleranz darf aber nicht so weit gehen, daß man alle Uberzeugungen für gleichwertig betrachtet, also theoretische Toleranz. Jedenfalls können direkt widersprechende Wahrheiten und Auffassungen nicht zugleich wahr sein. So hat also der Politiker für die eigene Uberzeugung zu kämpfen, aber nicht gegen den beziehungsweise die Menschen mit einer anderen Uberzeugung.

Politik als Dienst bedeutet, daß der Politiker sein Mandat vor allem darin sieht, dem Gemeinwohl zu dienen. Dabei hat er nicht nur zum Wohle seiner Wähler, sondern zum Wohle aller Bürger tätig zu sein.

Gerade bei der Aufgabe, soziale Gerechtigkeit so weit als möglich zu verwirklichen, steht der Politiker oft vor sehr schweren Entscheidungen. Die soziale Gerechtigkeit aber erfordert, daß er sich im Zweifelsfalle auf die Seite der Schwachen und Unterprivilegierten stellt.

Allerdings erfährt auch der Politiker immer wieder die Wahrheit des Satzes: „Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst die niemand kann.” Letztlich ist der Politiker seinem Gewissen verantwortlich. Gewissen aber setzt moralische und charakterliche Qualitäten voraus.

Der Politiker hat auch ein Recht darauf, nach seinem Tun beurteilt zu werden — und nicht nach den Fehlern anderer verurteilt zu werden. Daher sind Verallgemeinerungen, wie sie derzeit oft geschehen, immer ungerecht.

Auch der Politiker hat dieselben Probleme der Urteilsfähigkeit und der Versuchung wie andere Menschen auch. Er ist deshalb vor Fehlentscheidungen und Fehlern nicht gefeit. Allerdings ist es berechtigt, an ihn strenge Maßstäbe anzulegen. Marie von Ebner-Eschenbach sagt treffend: „Wer in die Öffentlichkeit tritt, hat keine Nachsicht zu erwarten und auch keine zu fordern.”

Schließlich bedarf der christliche Politiker auch der christlichen Tugenden der Demut und der Geduld. Die Auffassung von Politik als Dienst am Bürger setzt Demut voraus. Und die Geduld bewahrt ihn davor, zum Mittel der Gewalt zu greifen, um eine Lösung beziehungsweise Änderung in seinem Sinne zu erreichen.

Gerade die Staatsform der Demokratie läßt nur eine evolutionäre Veränderung der Gesellschaft und ihrer Gegebenheiten zu. Der Nachteil, daß dadurch manche Veränderungen nur langsam geschehen und manche Probleme sehr lange auf eine Lösung warten, wird durch den Vorteil aufgewogen, daß nicht revolutionäre Umstürze und gewaltsame Problemlösungen erfolgen.

Geduld statt Gewalt erfordert immer auch Ausdauer und Uberzeugung für die gute Sache, um nicht in Resignation zu verfallen. Geduld schließt aber nicht aus, daß der Politiker mit allen legalen Mitteln für seine Uberzeugung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen kämpft. Oft muß gerade der christliche Politiker „in Liebe gegen den Strom schwimmen” (Millendorfer).

Nur Politiker, die den Mut haben, Politik nach ihrem Gewissen zu machen, nehmen die Verantwortung als christlicher Politiker wahr. Und nur Politiker, die sich diese Freiheit bewahren, werden auch in der Lage sein, die Freiheit des Staates und der Gesellschaft zu erhalten.

Der Autor ist Präsident der Vorarlberger Arbeiterkammer. Der Beitrag ist ein Auszug aus einem Referat vor der Katholischen Hochschulgemeinde an der Universität Innsbruck am 22. April.

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