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Urwald von Verordnungen

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Die Schule erstickt im Papier. Pädagogen werden zu Bürokraten. Beim Verordnungsurwald muß die Reform ansetzen. Das Ziel: Dezentralisierung und Selbstverwaltung.

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Die Schule erstickt im Papier. Pädagogen werden zu Bürokraten. Beim Verordnungsurwald muß die Reform ansetzen. Das Ziel: Dezentralisierung und Selbstverwaltung.

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Die „Schmetterlingsschule“ ist Lotte Ingrischs schöner Buchtraum: Mit dem Mut zum Träumen wächst die Kraft zu handeln. Um die autonome Schule geht es dem ÖVP-Arbeitskreis Bildung der „Aktion *95“ unter Leitung des Vizepräsidenten des Wiener Stadtschulrates Wolfgang Petrik.

Mittelfristig sollten Schulen am Ort wesentlich selbständiger handein können als bisher und Leiter, Lehrer, Eltern, Schüler einen breiteren Aktionsradius haben, ihrer Schule ein spezifisches Gepräge zu geben. Nichteffiziente Kompetenzen der Zentralstellen könnten dadurch entlastet werden. Um aber Einheitlichkeit im österreichischen Schulwesen zu sichern, ist nur ein Minimum an bundes- und landesweiten Reglements zu wahren.

Negativisten sei gesagt: Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom des „Da kannst' nix mach'n“.

Zu oft kurvt Schulgerede völlig einseitig um den Lehrer und vernachlässigt den institutionellen Rahmen. Was jeder Schul-Insider tagtäglich erfährt, darüber wurde nun offiziös laut nachgedacht. Auch sozialistischerseits werden ähnliche Forderungen laut.

Neu ist, daß darüber öffentlich diskutiert wird.

Mit wie vielen Erlässen müssen sich Lehrer, Schulleiter und Zentralstellen herumschlagen! Wertvolle Arbeits- und Pädagogenzeit geht durch aufgeblähten Bürokratismus verloren. Zuweilen laufen Experten Gefahr, sich selbst im Verordnungsurwald zu verirren. Der Papierverbrauch wächst proportional zur sozialen Stellung. Ist Papier, Kapieren und „Papierin“ heimliches Schulmotto?

Ein Durchforsten dieses Verwaltungswildwuchses setzt pädagogische und intellektuelle Energien frei. Denn durch übermäßigen Verwaltungsaufwand und Aufbürden diverser Anliegen, auch nicht-schulischer, kommt Unterrichts- und pädagogischer Auftrag aller Beteiligten, nicht zuletzt der Schuldirektoren, zu kurz. Schule selbst ist Leben und nicht nur Vorbereitung dafür.

Leitbildhaft ist der Lehrer ein kreativer Beamter. „Mit 1.000 Ideen zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit erfährt der initiative Junglehrer im Laufe seines Hineinwachsens in seinen Beruf immer mehr Hindernisse, und vor der Pensionierung ist er nur noch Verwalter“, meint eine Lehrerin mit privatwirtschaftlicher Erfahrung. Und ein Werbefachmann über seine Gattin: „Sie ist wie ein Manager!“

Das Uberhandnehmen der Verwaltung ist ein Mechanismus. Ohne einzelne Personen zu beschuldigen, ist Nachdenken notwendig, warum wohl „Funktionieren“ im Schulalltag so im Vordergrund steht und für Kreativität oft zu wenig Spielraum bleibt. Aber es gibt auch vorhandene, ungenützte Freiräume.

Junge Menschen sollten zur Lebenstüchtigkeit hinbegleitet werden: für sinnvollen Umgang mit Freizeit und nicht zuletzt, um Herausforderungen der in Leistung konkurrierender Arbeitswelt gewachsen zu sein. Jeder Schüler soll etwa lernen, einen Erlagschein auszufüllen und imstande sein, sich in Fairneß zu-sammenzustreiten und zu kooperieren. Dies alles sind Tüchtigkeiten (Tugenden), die wir Menschen und eine zukunftsorientierte Wirtschaft brauchen.

Es ist für unser Land nicht gleichgültig, wenn Kinder und Jungerwachsene viele Jahre ihres Lebens Strukturen erfahren, die so wenige Chancen zur verantworteten Selbsterfahrung bieten. Es nützt nichts, wenn dies „eh im G'setz“ steht. Ein prominenter Pädagoge zögert nicht, Schulbürokratie als „ostisch“ zu brandmarken (also an den Ostblock erinnernd). Sicherlich können viele Positivbeispiele zur Korrektur des Gesagten angeführt werden: aus dem Bereich kleinerer, überschaubarer Institutionen, Flexibilität an Zentralstellen und große Bemühungen in Personalfragen ...

Gerade ein Zeitpunkt budgetä-rer Enge wäre — nach Meinung von Wolfgäng Petrik — geeignet, qualitative Änderungen zu setzen. Wäre dies nicht ein neues Aktionsfeld von Berufsvertretungen?

Das Gelingen der Dezentralisierung und inneren Schulreform wird auch zur künftigen Hochschätzung des österreichischen Schulwesens beitragen. Kurzfristig kann relativ rasch - so Petrik - eine Durchforstung der Schulverordnungen stattfinden. Eine strukturelle Veränderung bestünde in organisatorischer Deregulierung, Dezentralisierung. Schulen am Ort sollten mehr Freiraum haben, über ein größeres, selbstverwaltetes Budget verfügen, die Lehrkräfte selbst wählen dürfen. Hauptansatz der neuen Strategie muß aber die Leiterbestellung sein. In der Steiermark beispielsweise gibt es hierfür bereits ein Hearing.

Der Autor ist Dozent im Bereich Pädagogische Akademie.

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