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US-Außenpolitik = variabel Sowjetdiplomatie = konstant

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Es ist nicht zu überhören: Das Jammern und Klagen über die amerikanische Außenpolitik, über ihre Sprunghaftigkeit, ihre Inkonsequenz, ihre naiven Ansätze, haben in den letzten Jahren gerade auch bei den verbündeten und befreundeten Staaten der Vereinigten Staaten in Europa an Intensität ständig zugenommen; nicht nur bei linken Intellektuellen, auch in bürgerlichen Kreisen, in sozialdemokratischen und konservativen Regierungen gleichermaßen.

Und gewiß: Die US-Diplomatie bietet auch genügend Angriffs-

flächen für Kritiker, undjeder.der amerikanische Zeitungen oder Magazine liest, wird bemerken, wie scharf die amerikanische Öffentlichkeit selbst mit ihrer Außenpolitik und deren Machern ins Gericht geht.

Es ist kein neues Problem, das die Kritik anschneidet, wenn sie der US-Diplomatie Sprunghaf-tigkeit vorwirft. Politikwissenschafter, seit dem scharfsinnigen französischen Amerika-Beobachter Alexis de Toqueville, beschäftigt das Problem: Leidet die Außenpolitik des demokratischen Amerika möglicherweise an einer konstitutionellen Schwäche?

Man überlege: Alle vier, spätestens alle acht Jahre findet in Washington eine Art friedliche Revolution statt: Eine neue Elite bezieht ihre Positionen in den Regierungssitzen, Tausende erstund zweitrangige Ämter werden neu besetzt — insgesamt ein gewaltiger Umsturz!

Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Regierung. Die neue Führung, zumeist ein mehr oder weniger bunt zusammengewürfelter Haufen aus Freunden, Beratern und Geldgebern rund um den neuen Präsidenten, muß sich erst in Washington zurechtfinden lernen, einen gemeinsamen Stil entwickeln, sich in die Materien einarbeiten - alles in allem ein mühseliger Prozeß, der gerade auf das weitgefächerte und komplizierte Feld der Außenpolitik nicht ohne Folgen bleiben kann.

Toqueville hat dieses Dilemma erkannt: Nur mit Mühe könne die Demokratie die Einzelheiten eines großen Unternehmens in Ein-

klang bringen, an einem Plan festhalten und ihn hartnäckig durch alle Fährnisse durchbringen.

Da hält es die Sowjetführung konsequent mit dem Altmeister der Theorie der Machtpolitik, dem Italiener Niccolo Machia-velli.

Andrej Gromyko, seit 25 Jahren an der Spitze der sowjetischen Diplomatie, ist gewissermaßen als solcher „Fürst" im Sinne Ma-chiavellis, der,.Fürst der Außenpolitik" ist er allemal.

Man halte sich vor Augen, mit wie vielen Gegenübers im amerikanischen Außenamt es Andrej Gromyko im Laufe seiner Amtszeit bereits zu tun gehabt hat: Es sind deren acht (John Forster Dul-les, Christian Herter, Dean Rusk, William Rogers, Henry Kissinger, Cyrus Vance, Edmund Muskie, Alexander Haig).

Gromyko hatte gegenüber fast allen diesen amerikanischen Amtskollegen bedeutende Vorzüge aufzuweisen: seine langjährige

berufliche Erfahrung als Außenpolitiker, in der Diplomatie bestens bewandert, gewohnt, in Verhandlungen den Wert des Objektes und die Risiken genau gegeneinander abzuwägen.

Diese Voraussetzungen verleiten nur allzugerne zu der vereinfachten Formel: US-Außenpolitik = wechselhaft und deshalb schwer abschätzbar, Sowjetdiplomatie = konstant und deshalb beurteilbar. Indes wird diese Formel der Wirklichkeit keineswegs gerecht.

Denn einerseits weist die amerikanische Außenpolitik trotz des ständigen Wechsels in der politischen und diplomatischen Führung kontinuierliche Züge auf: Man denke an die US-Politik gegenüber Israel, gegenüber den europäischen und ostasiatischen Verbündeten, an die Haltung Washingtons gegenüber Kuba, wobei hier über die Parteilager hinweg mehr oder weniger dieselbe politische Linie verfolgt wird.

Anderseits macht die Doppel-

strategie der sowjetischen Außenpolitik (einerseits der Grundsatz der „friedlichen Koexistenz", anderseits der Grundsatz des „sozialistischen Internationalismus", der den weltweiten revolutionären Prozeß fördern soll) den Umgang mit der sowjetischen Macht zu einer ungemein komplizierten Angelegenheit.

Außerdem: Kontinuität und Stabilität schützen die sowjetische Außenpolitik keineswegs vor Rückschlägen: erinnert sei an das Ausscheren Jugoslawiens 1948, der Volksrepublik China 1963; der Hinauswurf aus Ägypten 1973, der Imageverlust in der Dritten Welt nach dem Einmarsch in Afghanistan 1979.

Und hier taucht das Phänomen auf, das die Schattenseite der Diplomatie eines totalitären Staates darstellt: Das Beharren der bürokratisch-konservativ eingestellten Führung auf Kontinuität und Stabilität widersetzt sich der Erneuerung, bewirkt Erstarrung. Darüber hinaus läßt die Ideologie keine Abweichungen zu, der doktrinäre Absolutismus setzt bei solchen automatisch Unterdrük-kungsmechanismen in Gang.

Hingegen bewirkt, zumindest erlaubt der permanente Wechsel in der amerikanischen Führung Dynamik in der Politik — auch in der Außenpolitik, was in einer immer komplizierter werdenden Welt nicht unbedingt Nachteile mit sich bringen muß.

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