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US-Kirche im Rückblick

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Als die dreizehn Kolonien 1776 ihre Unabhängigkeit von der britischen Krone erklärten, machten die Katholiken römischen Bekenntnisses nur einen minimalen Anteil an der amerikanischen Bevölkerung aus.

Mit der Erschließung des amerikanischen Westens ging die Einverleibung einer Anzahl von Katholiken aus Louisiana und den mexikanischen Provinzen einher, wobei letztere nach 1848 annektiert worden waren. Doch diese französischen und spanischen Gemeinden waren klein und stagnierten, konnten also nicht wesentlich zum Wachsen des amerikanischen Katholizismus beitragen.

Der amerikanische Katholizismus ist das Kind der irischen — und zu einem geringeren Ausmaß der deutschen — Einwanderer- Wellen, die in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einsetzten.

Die neuen Emigranten stießen alsbald auf die Feindseligkeit der protestantischen Mehrheit. Eine anti-katholische politische Partei wurde gegründet - die,.Know Nothings“ (Nichtswisser) — und in den Städten des Nordostens brachen gewaltsame Auseinandersetzungen aus. Allein in Philadelphia mußten 1844 während drei Tagen der Plünderungen und Brandschatzungen 14 Katholiken ihr Leben lassen.

Aber die neuen Industrien benötigten die irischen Arbeiter. Und als die Krise, die schließlich zum amerikanischen Bürgerkrieg führte, sich allmählich verschärfte, flauten die antikatholischen Ressentiments ab, wenngleich sie nicht endgültig verschwanden: Noch bei den Wahlen 1928 mußte der erste katholische Präsidentschaftskandidat, Al Smith, eine schwere Niederlage einstecken, die zu einem Gutteil seiner Religion zuzuschreiben war.

Die irischen Emigranten, die das Rückgrat des amerikanischen Katholizismus bildeten, waren arm und wurden verschmäht. Dennoch paßten gewisse irische „Qualitäten“ prächtig in die neue Republik:

Obwohl der Katholizismus die Religion der Mehrheit in Irland war, wurde er nicht zur Staatsreligion. Die irischen Katholiken wahrten ihre Kirche gegen ein protestantisches Establishment. Auch die Ärmsten entrichteten ihren Beitrag zur Unterstützung des Klerus, zum Bau von Kirchen, Krankenhäusern, Klöstern und Schulen. Und im Gegensatz zu den katholischen Staatskirchen in Europa verlor der irische Katholizismus weder den Einfluß über die Männer noch über die Arbeiterschaft. (Fast das gleiche kann über die später in Amerika an- kommenden Polen gesagt werden.)

Die Iren brachten diese Besonderheiten mit über den Atlantik. Und so stand der Katholizismus in Amerika um 1850 auf festen Füßen — als eine „freie Kirche in einem freien Staat“.

Das vielleicht typischste Produkt des US-Katholizismus waren die konfessionellen Schulen,

wo den Katholiken Grundwissen vermittelt und ihr Glaube und Patriotismus gestärkt, die Kompro- mittierung des Protestantismus und Säkularismus aber weitestgehend vermieden wurden: Der amerikanische Katholizismus hielt sich von theologischer Spekulation und Hochkultur fern, gab sich praktisch, wettbewerbsbereit und wirklichkeitsbezogen.

Die irische — und im Mittelwesten: deutsche — Vorherrschaft der Einwanderer-Kirche hielt bis in die 1960er Jahre an. Freilich hatte diese Kontrolle ihre Vor- und Nachteile, als die späteren Wellen von italienischen, polnischen, austro-slawischen und (noch später) puertorikanischen und mexikanischen Einwanderern vor den Pforten der Kirche anschwollen.

Viele der männlichen Neuankömmlinge kamen in Amerika erstmals seit Generationen wieder in einen engen Kontakt mit der Kirche; andererseits waren viele irisch-stämmige Prälaten einfach unempfänglich und stur, trieben so eine Anzahl von Polen und Ukrainern aus der Kirche, die ihre eigenen schismatischen, nationalen Kirchen gründeten.

Die amerikanische Kirche kam nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihrer vollen Reife. Die US-Katho- liken leisteten die größte finanzi-

eile Unterstützung für den Vatikan. Dennoch blieb die Hierarchie konservativ, zurückhaltend — ja sträubte sich seltsamerweise dagegen, die Macht auszuüben, die ihr durch die Folgen des Krieges zugefallen war. Währenddessen standen die Gläubigen gehorsam hinter ihren Wortführern.

Die ersten Anzeichen liberalen Widerspruchs ergaben sich in Zusammenhang mit dem sogenannten „McCarthyismus“. Während ein Großteil der Hierarchie und viele Gläubige hinter McCarthy standen, wandte sich die katholische Intelligenz und vor allem die Jesuiten scharf gegen den kommunistenfressenden Senator aus Wisconsin.

Tatsächlich hatte sich die katholische Kirche der USA immer einen sozialen und liberalen Zug bewahrt: sie stand stets auf der Seite der Arbeiterschaft, trug wesentlich zur antikommunistischen Einstellung der amerikanischen Arbeiter bei, kämpfte auch immer mehr oder weniger heftig gegen die Rassendiskriminierung (die katholischen Schulen im Süden zählten zu den ersten, die die Rassenschranken aufhoben).

Während des Zweiten Vatikanischen Konzils gaben die amerikanischen Theologen allmählich ihre Zurückhaltung auf und entwik- kelten zunehmend Selbstbewußt sein. Insbesondere bestanden die amerikanischen Vertreter darauf, daß religiöse Toleranz zu einem Grundsatz erhoben wurde, und trugen wesentlich dazu bei, daß die katholische Kirche den Antisemitismus scharf verurteilte.

Zuhause war der katholische Liberalismus durch die Wahl des ersten katholischen und liberalen Präsidenten, John F. Kennedy, mittlerweile wesentlich gestärkt worden; gleichzeitig begannen sich die liberalen Katholiken aktiv in der Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung zu engagieren.

Immer mehr besetzten sie in der Folge die Amtssessel der wachsenden diözesanen Bürokratien und gaben den neuen liturgischen Reformen wesentliche Anstöße.

Doch der Triumph des katholischen Liberalismus in den letzten zwei Jahrzehnten, der sich auch in der Ernennung von immer mehr liberalen Bischöfen — viele aus ehedem benachteiligten ethnischen Gruppen — manifestierte, bleibt zum Teil mehr äußerer Schein als Sein. Viele Katholiken lehnen die liturgischen Reformen sowie die teilweise radikalen Ansätze im Klerus ab. Der Liberalismus mag denn auch dazu beigetragen haben, daß die Masse der Gläubigen ihren Bischöfen heute mit weniger Gehorsam als deren Vorgängern gegenübersteht.

Die sechziger und frühen siebziger Jahre erlebten einen Exodus von Priestern und Nonnen aus ihren Gelübden, und die früher beträchtliche Zahl von Berufungen ist im Sinken.

Von 50 Millionen amerikani- schenTCatholiken sind heute viele nicht praktizierend; und viele Gläubige sind weit konservativer als ihre Oberhirten. Insofern läßt sich leicht Voraussagen, daß der Friedenshirtenbrief der US-Bi- schöfe auf viel Widerstand, aber auch auf viel Gleichgültigkeit stoßen wird.

Der Autor ist amerikanischer Historiker und unterrichtet derzeit am Webster-College in Wien

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