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US-Politik als Einladung zur Invasion

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Die Amerikaner machen sich bereit, 6000 Mann ihres Kontingents von 33.000 Bodentruppen aus Südkorea abzuziehen. Damit erfüllt Präsident Carter eines seiner Wahlversprechen und zeigt augenfällig, daß bei ihm Imagepflege den Vorrang vor nüchterner Realpolitik hat. Der Stabschef der amerikanischen Truppen in Korea, General John Singlaub, wagte es in einem Interview, die von der Armeeführung mehrheitlich geteilte Ansicht zu äußern, der Truppenabzug werde zum Krieg führen. Der Grund dafür ist leicht einzusehen. Der „vielgeliebte“ Führer Nordkoreas, Kim II- sung, hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß er die Vereinigung mit dem Süden erzwingen will. Den ersten Krieg löste er 1950 aus, weil ein Jahr zuvor die USA ihre Truppen aus dem Süden abgezogen und der Staatssekretär Dean Acheson zudem erklärt hatte, Südkorea liege außerhalb der amerikanischen Einflußzone. Der Paranoiker Kim konnte dies nur als Einladung zum Angriff verstehen. Um den Preis von drei Millionen Menschenleben wurde er in einem dreijährigen Krieg über die Grenzen zurückgeworfen, doch setzte er mit allen Mitteln der Subversion und Infiltration seinen Angriff auf den Süden unblutig fort.

Die amerikanischen Truppen bewachen, von starken Festungsanlagen unterstützt, die klassischen Invasionsstraßen nach Seoul. Ihr früherer Kommandant erklärte in harter Söldnersprache, er könne jede Invasionsarmee in fünf Tagen „durch den Fleischwolf drehen“. Ihre bloße Gegenwart genügte bisher, die Angriffsgelüste Kims zu zügeln, denn weder Russen noch Chinesen wollten in einen Krieg mit den USA verwickelt werden. Der Truppenabzug aber könnte Kim erneut zu dem Schluß verleiten, ein Angriff auf den Süden werde nunmehr ungestraft bleiben. Das Beispiel der letzten Offensive gegen Südvietnam steht ihm dafür als Muster vor Augen.

Präsident Carter aber rief General Singlaub nach Washington und enthob ihn seines Kommandos. Zur gleichen Zeit sandte er General G. Brown, den Vorsitzenden des Generalstabs aller drei Staatskräfte, und den Unterstaatssekretär Ph. Habib nach Seoul und Tokyo, um die Regierungen zu beruhigen. Der Abzug bedeute nicht, daß die USA ihre Verbündeten abschrie ben, denn die Luftwaffe und die Siebente Flotte würden weiterhin den Schutz des Südens garantieren.

Niemand ist damit beruhigt, denn Vietnam zeigte deutlich, daß diese Streitkräfte einen entschlossenen Angreifer ohne Bodentruppen nicht nie- derkämpfen können, am wenigsten in einem unterentwickelten Land mit bescheidener industrieller Infrastruk tur. Sogar die christlichen Dissidenten, die in Opposition zu Präsident Park stehen, protestierten gegen den Abzug, denn sie wissen nur zu gut, was eine kommunistische Machtübernahme für sie bedeuten würde.

Der Süden verfügt zwar über eine vorzüglich ausgebildete Armee von 600.000 Mann, von denen die Hälfte sich in Vietnam aufs beste bewährt hat. Aber ihre Rüstung ist veraltet. In den letzten fünf Jahren sank die Zahl ihrer Tanks auf 840 Stück, während der Norden die Zahl seiner Tanks auf

2000 Stück verdoppelte. Der Norden besitzt des weiteren 750 Schützenpanzer gegen 500 des Südens, 3000 Geschütze gegen 2000, und 1300 Staiinor- geln, die dem Süden gänzlich fehlen. Außerdem besitzt er Frograketen, mit denen er Seoul zerstören kann, 5500 Flackgeschütze und 38 SA-Batterien, zudem viermal mehr Kriegsschiffe, darunter zehn U-Boote und 17 Rake tenschnellboote. Auch die Luftwaffe ist dem Süden um das Doppelte überlegen. Diese gewaltige Rüstung wurde einem unterentwickelten Land abgepreßt, mit dem klaren Ziel, in kürzester Frist einen entscheidenden Offensivschlag führen zu können. In das südliche Verteidigungspositiv werden nun durch den Truppenabzug gefährliche Lücken gerissen. Drei Hawk- Batterien in Ohsan bildeten bis jetzt die einzige effektive Verteidigung Seouls. Selbst wenn die abziehende Division ihre schweren Waffen zurücklas sen würde, fehlten doch die 600 atomaren Sprengköpfe, die sie abzuziehen gedenkt.

Noch vor fünf Jahren war der Süden gänzlich auf amerikanische Ausrüstung angewiesen. Nach gewaltigen Anstrengungen ist es ihm heute möglich, die Hälfte im Land zu produzieren. Im nächsten Jahr soll sogar die Produktion von Tanks und Helikoptern anlaufen, aber zehn Jahre sind zum mindesten nötig, um ganz auf eigenen Füßen zu stehen. Präsident Park erwägt sogar die Herstellung von Atomwaffen. Die koreanische Wirtschaft vermochte sogar in der Rezession die jährliche Zuwachsrate von 15 Prozent aufrechtzuerhalten und ist heute in der Lage, auch komplexe Systeme zu produzieren. Wird Kim dem Süden aber die erforderliche Gnadenfrist von zehn Jahren schenken, um die Lücken zu schließen? Nichts deutet darauf hin. So wird eine weitere

Bastion der Amerikaner ohne Gegenleistung geräumt und so wird, gänzlich unnötig, im gefährlichsten Wetterwinkel Asiens eine Krisensituation erzeugt.

Der Premier von Singapur, Lee Kuan Yew, gab bei einem Besuch in Tokyo unverblümt den Überlegungen der antikommunistischen Asiaten Ausdruck: Jedes Land müsse sich von nun an selbst verteidigen; auf die USA sei kein Verlaß. Nicht umsonst lud der japanische Premier die Verantwortlichen der japanischen Landesverteidigung erstmals nach 14 Jahren zu einem Lunch in seine Residenz. Die Zeichen in Nordasien stehen auf Sturm.

Der permanente Wahlredner Carter aber könnte mit Vorteil den Ausspruch überlegen, daß jene, die nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen wollen, sie zu wiederholen ver- urteüt sind.

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