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Utopisches Ziel?

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Der Abbau der sogenannten Chancenungleichheit sei seit Jahren das oberste Ziel der Tiroler Bildungspolitik, erklärte Landeshauptmannstellvertreter Prior in einem Pressegespräch. Das vom Amt der Tiroler Landesregierung in Zusammenarbeit mit dem Raumordnungsbeirat geschaffene Bildungskonzept trägt diesem Bemühen Rechnung. Seit 1964 wurden in Tirol gigantische Beträge in den Schulbau investiert. So erreicht die Summe der in diesem Zeitraum für abgeschlossene Schulbauvorhaben aufgewendeten Mittel die Drei-Milliarden-Grenze. Eine weitere Milliarde wurde für Vorhaben aufgebracht, die sich derzeit noch im Bau befinden, und die bereits geplanten Projekte werden wiederum mindestens eine Milliarde verschlingen.

Die Zahl der Hauptschüler hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht, die Zahl der Schüler an Allgemeinbildenden Höheren Schulen ist um mehr als hundert Prozent gestiegen und die Zahl der Son'derschüler hat sich verdoppelt. Eine ähnliche Entwicklung war auch bisher an den berufsbildenden Schulen, sowie an den Anstalten zur Lehrerbildung festzustellen. Wie die Neuaufnahmen für das Schuljahr

1975/76 zeigen, ist der Zustrom zu den berufsbildenden Schulen und zu den Lehranstalten für Frauenberufe und Sozialarbeit besonders stark, während an den AHS eine gewisse Stabilisierung der Schülerzahlen eingetreten ist. Handelsakademie und Handelsschule verbuchen sogar einen Rückgang von sechs Prozent. Derzeit herrscht in Tirol noch Lehrermangel. Es fehlen rund 700 Pflichtschullehrer. Im nächsten Schuljahr jedoch ist bereits mit einer fühlbaren Besserung der Personalsituation zu rechnen.

Wie Prior betont, sei es nicht damit getan, Schulen aus dem Boden zu stampfen, Lehrer auszubilden und Stipendien zu verteilen. Der vor zehn Jahren einsetzende Wirtschaftsaufschwung und ein beträchtlicher Nachholbedarf hätten dazu angeregt, die Bildungsschleusen zu öffnen. Die Bildungspolitik sollte eigentlich der Wirtschaftsentwicklung um viele Jahre voraus sein. Leider seien von der Wirtschaft keine langfristigen, verläßlichen Prognosen zu erhalten. Inzwischen sei eine Situation eingetreten, die die Wichtigkeit einer intensiven Bildungsinformation und Ausbildungsberatung erkennen lasse. Lehrplätze begännen bereits knapp zu werden, auch für die Maturanten und Akademiker gebe es nicht mehr unbegrenzt geeignete Arbeitsplätze, viele „Traumberufe“ seien überlaufen. Eine gewisse Lenkung der Berufswahl werde zunehmend erforderlich, allerdings denke man in Tirol nicht daran, einen Numerus clausus wie in der Bundesrepublik einzuführen, denn ein solcher würde ganz sicher ein falsches Kriterium darstellen. Man wolle vielmehr ein differenziertes Bildungsangebot be-; reitstellen, das der Vielfältigkeit der Begabungen möglichst gerecht wird. Auch die Errichtung von Ganztagsschulen, Ganztagskindergärten und Tagesheimschulen werde forciert.

Im differenzierten Ausbildungsangebot, in der Führung oder Errichtung von SpezialSchultypen (Skigymnasium, Fachschule für Fremdenverkehr) und in der Tatsache, daß es in Tirol sowohl große Ausbildungsstätten als auch noch die Kleinstschule auf dem Lande gibt, sieht Prior das charakteristisch Tirolerische am Bildungskonzept. Tirol besitze leider keine Lehrplanhoheit und könne daher auf den Bildungsinhalt nicht einwirken. Das Land sehe jedoch seine Aufgabe darin, die äußeren Strukturen festzulegen und dafür zu sorgen, daß möglichst jedes Tiroler Kind eine seinen Fähigkeiten und Wünschen entsprechende Ausbildung erhalte. Man sei sich jedoch bewußt, daß die völlige Chancengleichheit ein utopisches Ziel bleiben müsse.

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