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Vater Dimitris eigenes Golgatha

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Zi um erstenmal in sowjetischer Geschichte ist in einem Parteiorgan der Name Gottes so geschrieben worden, wie ihn die Gläubigen zu Papier bringen - in Großbuchstaben. Der Anlaß hat freilich nichts mit Pietät und Ehrerbietung vor dem Schöpfer zu tun, geschweige denn, daß der atheistische Staat plötzlich auf religiöse Gefühle Rücksicht nähme:

Es ist das Geständnis des Priesters Dimitri Dudko in der Regierungszeitung „Iswestija”, tags zuvor durch den Autor selbst mit stockender Stimme im zentralen Fernsehen vom Manuskript abgelesen: „Ich habe eingesehen, daß ich nicht wegen meines Glaubens an GOTT, sondern wegen eines Verbrechens verhaftet worden bin.”

So spricht ein Mann, der jahrelang furcht- und kompromißlos gegen den atheistischen Staat, gegen dessen Methoden der Glaubensunterdrückung aufgetreten ist. Noch kurz vor seiner Verhaftung am 15. Januar 1980 schleudert der Geistliche den Machthabern die Worte entgegen:

„Gottlose! Ihr habt alles in Händen, ich habe nichts außer'meinem Glauben an Gott. Mit einer bewaffneten Armee einen wehrlosen Priester anzugreifen, das ist schmachvoll und beschämend!”

Fünf Monate in Untersuchungshaft, den ausgeklügelten sinistren Behandlungen der Schergen im Dienste der Partei ausgeliefert, haben zuwege gebracht, was achteinhalb Jahre in Gefängnissen und Lagern nicht vermochten: den Willen des orthodoxen Priesters zu brechen, ihn zum reuigen Tribut an die Partei zu bewegen.

Hier sind nur Vermutungen am Platze, welches Rezept aus dem dickleibigen Kreml-Handbuch über Unterdrückung Unliebsamer seine Wirkung bei Vater Dudko getan hat. Die Methoden moralischer, psychischer und physischer Gewalt sind vielfältiger, als sie in Orwellscher Phantasie erdacht wurden.

Und wo der zugefügte Schmerz nicht zum Ziel führt, tut es die Spritze des Nervenarztes im Dienste der Partei.

Bei Dudko haben diese Methoden Erfolg gehabt. Jeder Zweifel am gewaltlosen Zustandekommen des Geständnisses kann von den Verantwortlichen in gewohntem Zynismus außer Diskussion gestellt werden. Was zählt, ist die Tatsache, daß sich der Priester selbst diffamiert hat und daß damit die Schar seiner Freunde, Schäf-lein und Schutzbefohlenen enttäuscht, verwirrt und führerlos geworden ist.

Der Geständige kann sofort in die Freiheit entlassen werden, weil ihn dort der Unmut, vielleicht auch die Verachtung der Mitmenschen trifft. Vater Dimitri, der so eindringlich vom „russischen Golgatha”, der Prüfungszeit seiner Kirche unter dem Bolschewismus, geschrieben hat, tritt nun seinen neuen Leidensweg an.

Bei der breiten Masse ist dieser Fernsehauftritt ein großer Erfolg für die Partei, ein Schlag gegen den inneren Widerstand, insbesondere jetzt willkommen, da im Vorspiel zu den Olympischen Spielen ein Großreinemachen unter den Dissidenten inszeniert ist.

Dudko ist für das System eine größere Gefahr als viele kritische Intellektuelle. Sein Name ist untrennbar mit dem religiösen Wiederaufleben im atheistischen Staate verbunden.

In der kleinen Moskauer Nicholski-Kirche hat der streitbare Priester Predigten gehalten, Gespräche mit Gläubigen geführt, die allzubald größtes Aufsehen erregt, scharenweisen Zulauf bewirkt haben. In den beiden im Westen erschienen Büchern „Ich glaube an dich, Gott” und „Sonntagsgespräche” hat sich diese pastorale Tätigkeit niedergeschlagen.

Das mußte den Parteigewaltigen mißfallen. Der Priester hat sich auf seine Kultausübung zu beschränken, pastoraier Liebesdienst am Nächsten ist „religiöse Propaganda”, in alterund neuer Verfassung verboten. Dudko: „Der Feind will, daß wir überhaupt nichts tun, er will uns in seelische Hohlköpfe verwandeln, aus Gestalten und Ebenbildern Gottes in - Gliederpuppen”

Mitte der siebziger Jahre schritt die stets dem System willfährige Hierarchie ein. Dudko wurde das Hirtenamt wegen „Verletzung der kirchlichen Disziplin” vorerst ganz untersagt; später wurde er in eine Kirche an der Moskauer Peripherie strafversetzt, die Predigten unterbunden.

Nicht erst dann hat Vater Dudko seine geistlichen Vorgesetzten angeklagt, sich nur allzu leicht als Werkzeug der atheistischen Obrigkeit benützen zu lassen. Unmittelbar nach der Revolution konnte dem Versuch des 1925 gestorbenen Patriarchen Tichon, durch Loyalitätserklärungen an das System seine Kirche zu retten, noch Verständnis entgegengebracht werden. Heute aber ist diese Ergebenheit an die Partei nichts anderes als Selbstzerstörung, also genau das, was die Partei erstrebt.

Dudko griff die Unterwanderung der Kirche durch Atheisten an und die Preisgabe der kirchlichen Leitung im Sagorsker „goldenen Käfig” an die Partei: „Der Feind innerhalb der Kirche, das ist die schrecklichste Gefahr.”

Die Kirche hat zu Dudkos Verhaftung geschwiegen, wie zu jener des suspendierten Priesters Gleb Jakunin und Viktor Kapitantschuks. Das Reuebekenntnis liegt wohl auch im Sinne der Kirchenleitung. Zuvor hat sie mit keinem Wort auf die Anpöbelungen gegen einen ihrer Diener reagiert.

Am Tag der Freilassung Dudkos ist Patriarch Pimen mit dem Orden der Völkerfreundschaft ausgezeichnet worden. Zufall oder zeitliche Abstimmung der sowjetischen Ordensverleiher? In der Zeit der Dispensierung vom priesterlichen Dienst hat Dudko an den Patriarchen geschrieben: „Es fällt mir unsäglich schwer, vom Altar fern zu sein; das ist für mich das allerschwerste Kreuz!”

Als Freunde am Tag nach Dudkos Freilassung in der Wohnung des Priesters, in der Moskauer Dybenko-Straße 1 anriefen, wurde ihnen gesagt, die Familie sei am Kofferpacken. Noch weiß man nicht, wohin die Reise ging. Vielleicht in eine neue Pfarrei auf dem Lande.

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